Wie das Coronavirus die globalen Wertschöpfungsketten beeinflusst
Zwei Wissenschaftler vom KompetenzCentrum für angewandte Volkswirtschaftslehre der FOM Hochschule haben sich aktuell damit beschäftigt, wie stark Deutschlands Wirtschaft von internationalen Gütern abhängig ist, welche Sektoren besonders betroffen sind und welche künftigen Entwicklungen denkbar wären.
Als globale Wertschöpfungskette bezeichnet man es, wenn Teile des Produktionsprozesses in mindestens zwei unterschiedlichen Ländern stattfinden. Inzwischen gilt das für nahezu alle Länder dieser Erde – auch für den afrikanischen Kontinent, auf dem viele Länder im globalen Welthandel zwar eine geringe Rolle spielen, aber aufgrund ihrer Rohstoffe, etwa Seltene Erden, einen entscheidenden Beitrag in den globalen Lieferketten leisten. Nach Angaben von Monika Wohlmann und Luca Rebeggiani vom KCV KompetenzCentrum für angewandte Volkswirtschaftslehre der FOM lässt sich die Welt in verschiedene Gruppen einteilen. So fänden in den entwickelten Industrieländern wie den USA oder Europa hauptsächlich Forschungs- und Entwicklungsarbeiten statt, während die technische Verarbeitung größtenteils in Asien erfolge und die Rohstoffe meist aus Afrika stammten. Nun zeige sich in der weltweiten Ausnahmesituation bedingt durch die Coronaviruskrise, dass die globalen Wertschöpfungsketten nicht nur Chancen, sondern auch Risiken mit sich brächten.
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Beispiel Automobilindustrie zeigt die Abhängigkeit Deutschlands von globalen Wertschöpfungsketten
Die Hochphase der Globalisierung haben wir in den 1990er und 2000er Jahren erlebt. Sie war gleichbedeutend mit einem wirtschaftlichen Aufschwung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es sinnvoll, einzelne Produktionsstufen zu verlagern. Beispiel: In Asien ist das Lohnniveau niedriger, dementsprechend günstiger kann man manuelle Arbeiten dort einkaufen. Damit einher geht eine zunehmende Spezialisierung, die sich ebenfalls positiv auswirkt. Doch diese Aufteilung des Produktionsprozesses oder das Ausgliedern einzelner Stufen kann auch Risiken bedeuten. Schließlich begibt man sich als Unternehmen und Land in die Abhängigkeit anderer Länder, ohne aber die dort herrschenden Rahmenbedingungen zu eigenen Gunsten beeinflussen zu können. Kommt es in einem Land zu Schwierigkeiten oder Störungen – ganz gleich welcher Art – übertragen sich diese automatisch auf die anderen Länder, aufgrund der Zusammenarbeit.
Wie abhängig ist Deutschland von den globalen Wertschöpfungsketten? Wie verwundbar ist die große Exportnation? Die beiden Wissenschaftler zeigen dies an dem Beispiel der Automobilindustrie. Autos zählen zu den besonders hochentwickelten Industrieprodukten. Die Wertschöpfungskette ist derart verzweigt, dass sie für die Unternehmen kaum noch nachvollziehbar ist. Der Hersteller Daimler arbeitet mit 213 direkten Zulieferern zusammen. Allein die 10 größten davon haben gemeinsam 588 Zulieferer, die ihrerseits von mehr als 2.900 weiteren Firmen abhängen. Sie sind nicht nur weltweit verteilt, sondern es bestehen verschiedene Querverbindungen sowie mehrfache Beziehungen untereinander. Die Automobilbranche gelte als besonders anfällig für Störungen in der chinesischen Produktion, da in fast jedem Auto Bauteile aus China enthalten sind.
Produktion in Deutschland sichern – auch im Hinblick auf die nationale Sicherheit
Die ausländische Wertschöpfung trägt mit rund 25 % zur Gesamtwertschöpfung in Deutschland bei (Quelle: Berechnungen der FOM, basierend auf Zahlen für Deutschland der Datenbank Trade in Value Added der OECD). Die Anteile in Frankreich (23 %) und Großbritannien (22 %) liegen knapp darunter, während die USA mit nur 12 % noch deutlicher abfallen. In den Branchen Bergbau und Agrar macht sich der höchste Anteil bemerkbar, da nicht vorhandene Rohstoffe und Nahrungsmittel importiert werden müssen. Das verarbeitende Gewerbe weist mit 50 % ebenfalls einen hohen Anteil auf. Grund dafür ist die Textilindustrie, die manuelle Arbeiten besonders häufig in Niedriglohnländer auslagert. Ähnliches gilt auch für die Chemieindustrie sowie die Computer- und Elektronikbranche.
Neben der inländischen Wertschöpfung muss nach Angaben der Wissenschaftler auch der Anteil der ausländischen Wertschöpfung an den Exporten betrachtet werden. Die Automobil- und Chemieindustrie sowie der Maschinenbau gehören zu den wichtigsten Branchen der deutschen Exportwirtschaft. Für sie gelten die USA, Frankreich und China als die relevantesten Absatzmärkte. Kommt es in diesen Ländern zu Schwierigkeiten, wirke sich das direkt auf Deutschland aus. Seit der internationalen Finanzkrise 2008 ließe sich ein Trend zur Deglobalisierung erkennen. Wohlmann und Rebeggiani gehen davon aus, dass die Coronaviruskrise diesen Trend weiter verstärken wird. Der Grund: Hier zeige sich, wie bedeutsam es sei, die Herstellung von lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen zu sichern, auch unter dem Aspekt der nationalen Sicherheit. Die beiden Forschenden gehen davon aus, dass nicht nur die Angebotsseite betroffen ist, also Ausfälle entstehen oder ganze Produktionsstätten geschlossen werden, sondern zugleich die Nachfrageseite Rückgänge verzeichnen wird. Dies entstünde in Folge von Quarantänemaßnahmen, durch welche die Teilnahme am öffentlichen Leben zurückginge. Ein gleichzeitiger Rückgang von Angebot und Nachfrage könne einigen Branchen helfen, Engpässe zu vermeiden. Dies träfe sicher nicht auf Güter wie Mundschutz, Desinfektionsmittel oder Lebensmittel zu, die infolge der Krise stark nachgefragt werden. Deshalb dürfte der Aspekt der nationalen Sicherheit bei lebensnotwendigen Gütern wie Medikamenten wieder stärker in den Vordergrund rücken und nach Einschätzung der Wissenschaftler gäbe es zwei Resultate: Entweder man hole die Produktion wieder zurück nach Deutschland oder verteile das Risiko breiter – zum Beispiel auf mehrere Lieferanten.
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