Wirkungsgrad entscheidet über Umweltauflagen
Der tschechische Energiekonzern ČEZ hat im Braunkohlenrevier Nordböhmen in den 1990er-Jahren seine Kraftwerke modernisiert, mit Entschwefelungsanlagen ausgerüstet und einige Blöcke stillgelegt. Jetzt steht die zweite Modernisierungswelle an. Doch ČEZ spare beim Klima- und Umweltschutz, kritisieren Greenpeace und tschechische Umweltorganisationen.
Das liebliche Nordböhmen lädt im Erzgebirge an der Grenze zu Deutschland und im böhmischen Mittelgebirge zum Wandern ein. Zwischen beiden Bergzügen aber bestimmen Tagebau sowie Kühltürme, Schornsteine und Rauchschwaden das Bild: Der Konzern ČEZ verfeuert Braunkohle in 21 Blöcken in fünf Kraftwerken an vier Standorten.
ČEZ erneuert seinen nordböhmischen Kraftwerkspark. Das geht in Ledvice und im Kraftwerk Tušimice-II geräuschlos vonstatten – im Gegensatz zum geplanten Umbau des Kraftwerks Prunéřov-II. In Prunéřov stehen nebeneinander zwei Kraftwerke. „Sie sind die größte CO2-Quelle Tschechiens“, so Greenpeace-Kampaigner Ben Jasper. Aus Prunéřov-I emittierten 2009 fast 2,5 Mio. t CO2, aus Prunéřov-II rund 6,6 Mio. t CO2.
Die Umbaupläne führten im März 2010 zum Rücktritt von Umweltminister Jan Dusík. Er hatte zwei Monate zuvor das norwegische Gutachterbüro Den Norske Veritas (DNV) beauftragt, die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) von ČEZ zu prüfen.
Die Gutachter kritisierten, dass in der UVP nicht alle technischen Möglichkeiten untersucht wurden. Minister Dusík forderte ČEZ daher auf, die UVP zu überarbeiten. Der Minister stand mit seiner Kritik in der Regierung allerdings allein da und trat zwei Monate vor den Parlamentswahlen Ende Mai 2010 zurück. Seine Nachfolgerin Rut Bízková hat die UVP Ende April – kurz nach ihrem Amtsantritt – genehmigt.
Worum geht es? Die alten Kraftwerke in Nordböhmen sind mit Wirkungsgraden von etwa 33 % veraltet. Einige Blöcke werden die Grenzwerte für Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffoxide (NOx) und Staub, die die EU mit der Richtlinie über Industrieemissionen (IVU-Richtlinie) ab 2016 vorgibt, nicht einhalten können.
„Das heißt nicht, dass diese Blöcke dann stillgelegt werden“, kritisiert Jasper. Jeder EU-Staat darf in einem nationalen Übergangsplan alten Kohlekraftwerken einen Aufschub bis 30. Juni 2020 geben, bevor die Einhaltung der Grenzwerte verpflichtend wird.
Zurück nach Prunéřov. ČEZ will Prunéřov-I in den nächsten zehn Jahren ebenso stilllegen wie auch zwei Blöcke von Prunéřov-II. Doch drei Blöcke von Prunéřov-II sollen so umgebaut werden, dass sie mit einem Wirkungsgrad von mehr als 40 % Strom und Wärme liefern. Neue Turbinen, Generatoren und Entschwefelungsanlagen sollen eingesetzt werden.
„Hinzu kommen fundamentale Änderungen im Kessel“, so Pavel Randák. Er leitet bei ČEZ die Abteilung Technical Support. Die Stahlkonstruktion des Kessels, die Kühltürme und vieles mehr sollen jedoch erhalten bleiben. Das sei Umwelt- und Klimaschutz aus einer Hand, so Ingenieur Randák: rund 3 Mio. t weniger CO2, gut 50 % weniger SO2, 60 % weniger NOx und 40 % weniger Staub würden danach aus den Kühltürmen in Prunerov-II emittieren.
Für Randák ist das ein Umbau wie bei einem alten Pkw, der einen neuen Motor erhält. Für Jasper jedoch ist das „ein neues Auto in einer alten Karosse“. Von dieser Unterscheidung – Modernisierung oder Neubau – hängt ab, welchen Stand der Technik ČEZ einhalten muss. Denn nach dem EU-Merkblatt über die besten verfügbaren Techniken für Großfeuerungsanlagen von 2005 müssen neue Braunkohlekraftwerke mit Staubfeuerung einen Wirkungsgrad von mehr als 42 % aufweisen. Wird hingegen ein altes Kraftwerk erneuert, muss sich der Wirkungsgrad um mehr als 3 % verbessern und sollte bei etwa 36 % bis 40 % liegen.
Greenpeace fordert, die künftige Braunkohleverfeuerung in Prunéřov müsse den Stand der Technik für neue Kraftwerke einhalten. „Mit einem Neubau wie in Ledvice ließen sich weitere 5 % CO2-Emissionen einsparen“, so Jasper, sowie auch Staub-, NOx- und SO2-Emissionen.
ČEZ lässt das nicht gelten. Ein Neubau wäre unverhältnismäßig teuer. In Ledvice lohne sich ein Neubau, da in der Mine Bílina Braunkohle für 40 Jahre liege, betont Randák. Die Braunkohle in der Mine Nástup Tušimice neben dem Kraftwerkspark in Prunérov reiche hingegen nur für 25 Jahre.
„Neue Blöcke wären ökonomisch, wenn sie mehr als 30 Jahre laufen würden“, so Randák. Die schlechte Qualität der Braunkohle in Nástup Tušimice erlaube es zudem nicht, sie in einem hochmodernen Kraftwerk zu verbrennen.
Doch noch darf ČEZ nicht bauen. Während der Energiekonzern auf die Baugenehmigung und die emissionsrechtliche Genehmigung wartet, überlegen lokale Umweltorganisationen und Greenpeace, wie sie gegebenenfalls gegen eine Genehmigung vorgehen wollen. Möglicherweise entscheiden erst Gerichte darüber, ob es sich um einen Neu- oder einen Umbau handelt. „Letztlich kann Tschechien auf Prunéřov-II verzichten“, so Jasper. Das Land hat 2009 rund 13,6 TWh Elektrizität ausgeführt, das Kraftwerk produziert aber nur etwa die Hälfte des Stroms. RALPH AHRENS
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