Zweirad-Faszination für Ingenieure mit Leidenschaft
Obwohl in Deutschland rund 3,7 Mio. Motorräder unterwegs sind, ist der Arbeitsmarkt Motorrad ein bescheidener für Ingenieure. Allein BMW baut in Deutschland Motorräder und ist damit der bedeutendste Arbeitgeber für Zweirad-Ingenieure. Eine eigene Ausbildung gibt es nicht, wohl aber wenige Hochschulen, die Motorradtechnik lehren. Wer im Motorradbereich arbeitet, der ist meist auch selbst begeisterter Fahrer.
Dieses Jahr wird ein trauriges für so manchen Ferrari- oder Porsche-Fahrer werden, denn jede Serien-BMW S 1000 RR lässt die schnellen Sportwagen locker stehen. Die Entwicklung des Hochleistungstriebwerks war die eine Herausforderung für die BMW-Ingenieure, ein Chassis zu konstruieren, das der schieren Kraft des Motors mindestens ebenbürtig ist, war die andere Herausforderung. Dahinter steckt Ingenieurskunst.
Hermann Winner, Leiter des Fachgebiets Fahrzeugtechnik an der TU Darmstadt, schätzt, dass in Deutschland auf einen Ingenieur im Zweirad-Bereich mindestens 100 Ingenieure kommen, die sich mit Pkw- oder Lkw-Technik beschäftigen. „Deshalb lohnt sich aus Sicht des Arbeitsmarkts ein selbstständiger Studiengang nicht.“
In Darmstadt ist die Vorlesung Motorradtechnik als Vertiefungsfach im Fahrzeugtechnik-Schwerpunkt des Maschinenbau-Masterprogramms mit zwei Semesterwochenstunden integriert. Motorradfahren, das weckt Emotionen und wer die wahre Liebe zum Zweirad gefunden hat, der bleibt dabei. „Mit 32 Jahren habe ich mein erstes Auto gekauft, davor war ich auf zwei Rädern unterwegs“, sagt Ruprecht Müller voller Stolz. Und auch heute noch, mit fast 50, fährt er voller Leidenschaft. Als Motorradexperte beim ADAC hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. „Ich teste teilweise neue Modelle, hauptsächlich aber beschäftige ich mich mit dem Verbraucherschutz, etwa Sicherheitszubehör wie Helme und Bekleidung.“Müller studierte an der FH München Fahrzeugtechnik. Dort wie auch an der TU München ist das Thema Motorrad im Studium der Fahrzeugtechnik integriert.
BMW, der einzige deutsche Hersteller von Motorrädern, beschäftigt etwa 500 Ingenieure in seinem Produktbereich Motorrad und damit etwa die Hälfte aller geschätzten Motorradingenieure in Deutschland. 300 sind in der Entwicklung, 150 in der Produktion, 40 im Einkauf und 25 im Vertrieb tätig. „Ausnahmslos alle sind begeisterte Motorradfahrer“, weiß Bernd Gobmeier, Leiter Fahrwerkentwicklung beim BMW Motorrad in München. Gobmeier hat an der TU München Maschinenbau studiert und 25 Jahre in der Automobilentwicklung bei BMW und Porsche gearbeitet, seit zwei Jahren leitet er die Fahrwerksentwicklung Motorrad. „Simulationen in Forschung und Entwicklung, Produktionstechnologien, Projektmanagement: Das Handwerkszeug unterscheidet sich beim Motorrad nicht wesentlich vom Auto.“
Anders ist es bei den speziellen Applikationen, wie Fahrdynamik und Kinematik. Beides sei auf zwei Rädern deutlich komplizierter als auf vier. Gobmeier hat sich das spezifische Fachwissen von Kollegen, durch den Austausch mit anderen Herstellern und Lieferanten sowie in Seminaren angeeignet. Weil man im Bereich Motorrad aber viel weniger Kollegen habe als bei den Autos, müsse man im Zweiradsegment einerseits eher Generalist als Spezialist sein, andererseits sei man durch die sehr spezifische fachliche Materie stark fokussiert.
Wie klein der Markt ist, zeigen Zahlen von BMW: Etwa 2 % des Konzernumsatzes werden mit Motorrädern erwirtschaftet – dabei sind die Münchner europaweit der größte Motorradhersteller.
Andererseits heißt das aber auch: Wer in den Zweiradbereich will, der muss schon zeigen können, dass ihn das Produkt fasziniert. PETER ILG
Ein Beitrag von: