Countdown mit Ritualen 28.05.2014, 14:48 Uhr

Alexander Gerst auf dem Weg zum Außenposten der Menschheit

Verläuft alles nach Plan, hebt die Trägerrakete Sojus heute Abend um 21.56 Uhr (MEZ) vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan ab. Sechs Stunden später wollen Alexander Gerst und seine beiden Astronautenkollegen in 410 Kilometer Höhe an der Internationalen Raumstation ISS andocken. Die letzten Stunden vor dem Start sind vollgepackt mit Ritualen.

Der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst beim Notfall-Training in den USA.

Foto: NASA

Alexander Gerst (v.l.), Maxim Surajew und Reid Wiseman trainierten im Januar 2013 in der Nähe des Sternenstädtchens bei Moskau das Überleben nach einer Landung in unerwartetem Gebiet – ein unverzichtbarer Teil des Sojus-Trainings.

Foto: GCTC

Für seine Mission "Blue Dot" zur Internationalen Raumstation ISS hat der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst auch am Juri Gagarin-Kosmonauten-Trainingszentrum in Russland lange Zeit trainiert. Auf dem Bild sieht man ihn während des Trainings in einer Sojus-Raumkapsel.

Foto: GCTC

Mit einer russischen Sojus-Rakete vom Typ FG wird Alexander Gerst zur ISS aufbrechen. Seit dem Erststart dieser Version im Jahr 2001 hat die Rakete bisher 13 unbemannte und 34 bemannte Missionen erfolgreich gemeistert.Sie wird von 26 Millionen PS angetrieben.

Foto: Ingalls/NASA

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Den ersten, unangenehmen Vorgeschmack auf ihre Mission haben die drei Astronauten bereits hinter sich. Vor zwei Wochen erreichten Alexander Gerst (38), der amerikanische Bordingenieur Gregory Wiseman (38) und der russische Kommandant Maxim Surajew (42) das Kosmodrom in Baikonur, Kasachstan. Zu den Flugvorbereitungen gehört auch eine Prozedur, in der die Astronauten kopfüber auf einen Stuhl geschnallt und heftig im Kreis gedreht werden. Was danach geschieht, kann sich jeder vorstellen… Aber die russischen Ärzte glauben, dass die Tortur wichtig ist. Die inneren Organe sollen vorbereitet werden auf das, was sie erwartet. Fast alle Astronauten leiden in den ersten Tagen im All unter Übelkeit, wenn im Gehirn gegensätzliche Signale des Sehsinns und des Bewegungssinns ankommen. Trotzdem muss die Sojus-Rakete von den Astronauten direkt nach dem Start sicher gesteuert werden. Für Übelkeit bleibt da keine Zeit.

Astronauten schauen gemeinsam einen russischen „Eastern“

Inzwischen sind Gerst, Wiseman und Suraev längst in Quarantäne und der Kontakt zu ihren Mitmenschen, außer zu den Ärzten und dem wichtigsten Personal, ist auf ein Minimum reduziert. Eine banale Erkältung könnte den Start gefährden und das Training der letzten zweieinhalb Jahre wäre im schlimmsten Fall umsonst gewesen. Wahrscheinlich hat der 38-jährige Alexander Gerst sich auch bereits von seiner Familie, den Freunden und der Freundin, die in Baikonur dabei sind, verabschiedet. Gersts Freundin weiß genau, was ihn erwartet: Sie arbeitet selbst als Astronautentrainerin bei der ESA.

Baikonur ist ein geschichtsträchtiger Ort, denn von hier aus startete am 12. April 1961 Juri Gagarin als erster Mensch ins All. Im Laufe der Jahrzehnte haben sich etliche Rituale entwickelt, die auch von den rational denkenden Astronauten gerne eingehalten werden. Schaden kann es schließlich nicht. Der obligatorische Baum, den jedes Crewmitglied hinter dem Kosmonautenhotel pflanzt, ist bereits in der Erde. Am Abend vor dem Start steht dann traditionell das gemeinsame Gucken des russischen Films „Weiße Sonne der Wüste“ auf dem Programm. Der russische „Eastern“ aus dem Jahre 1969 – die sowjetische Antwort auf den Western – verbindet Action mit Humor und ist längst zum Kultfilm geworden.

Nach dem Vorbild von Juri Gagarin: Die Astronauten erleichtern sich in der Steppe

Heute Morgen dann haben die drei Astronauten beim Verlassen ihrer Hotelzimmer noch schnell die Türen signiert, bevor sie mit dem Bus zum Startplatz gebracht werden. Auf dem Weg dorthin steht ein weiteres Ritual an: Gerst, Wiseman und Surajew werden, bei einem kurzen Stopp des Buses, gegen einen der Reifen pinkeln, denn das hatte Juri Gagarin vor 53 Jahren ebenfalls getan. Schließlich steht noch der offizielle Segen eines orthodoxen Priesters an, bevor es in den Aufzug geht, der die drei zum Einstieg in die Rakete auf eine Höhe von 45 Metern bringen wird.

Dann wird es ungemütlich und spannend. Zwei Stunden lang müssen die Astronauten in dem winzigen Cockpit wie zusammengefaltet ausharren, während die Techniker die letzten Vorbereitungen für den Start treffen. Der Start selbst, vorgesehen für 21.56 Uhr mitteleuropäischer Zeit heute Abend, soll ein spektakulärer Nachtstart werden. Ein rot-gelb-weißer Feuerstrahl aus den Triebwerken wird die kasachische Steppe für kurze Zeit in gleißende Helligkeit tauchen. 274 Tonnen Treibstoff werden auf dem Weg ins Orbit verbraucht.

Kopplung an die ISS ist eine besonders kritische Phase

In weniger als zehn Minuten wird die Crew auf ihrer Mission „Blue Dot“ 1640 Kilometer reisen und auf eine Geschwindigkeit von 28.000 Stundenkilometer beschleunigen. Sechs Stunden und vier Erdumkreisungen später werden die Astronauten ihr Ziel auf 410 Kilometern Höhe erreichen. Jetzt folgt eine der kritischsten Phasen der Mission, die Kopplung. Sollte sie automatisch nicht möglich sein, dockt der Kommandant per Handsteuerung an die Station an. Die drei Neuankömmlinge werden von der dreiköpfigen ISS-Stammbesatzung um Kommandant Steven Swanson, Alexander Skworzow und Oleg Artjomjew bereits sehnsüchtig erwartet.

Im Rahmen der ISS-Expeditionen 40 und 41 wird Alexander Gerst sechs Monate lang als Bordingenieur seinen Dienst auf der Raumstation tun. Er ist damit der siebte ESA-Astronaut, der eine Langzeitmission absolvieren wird und der dritte deutsche ESA-Astronaut auf der ISS. Und der elfte Deutsche im All.

Live-Übertragungen des Raketenstarts:

Ab 20 Uhr wird es heute Abend in Köln auf dem Alter Markt ein Public Viewing geben.

Der Livestream des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR zum Start beginnt ab 20:45 Uhr.

Der Nachrichtensender n-tv beginnt seine Übertragung heute Abend ab 21.10 Uhr.

 

Ein Beitrag von:

  • Gudrun von Schoenebeck

    Gudrun von Schoenebeck

    Gudrun von Schoenebeck ist seit 2001 journalistisch unterwegs in Print- und Online-Medien. Neben Architektur, Kunst und Design hat sie sich vor allem das spannende Gebiet der Raumfahrt erschlossen.

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