Rätselhafte Sternenruinen: Mit Chandra auf Spurensuche im All
Wer sagt, dass Archäologie nur auf der Erde stattfinden kann? Mit Hilfe des Weltraum-Teleskops Chandra rekonstruieren Astronomen die Geschichte eines toten Sterns.

Diese künstlerische Darstellung zeigt die Auswirkungen des Kollapses und der Supernova-Explosion eines massereichen Sterns. Beim Kollaps entstand ein Schwarzes Loch (rechts), und Trümmer der Supernova-Explosion regnen auf einen Begleitstern (links) herab und verschmutzen dessen Atmosphäre.
Foto: CXC/SAO/M. Weiss
Ein internationales Forschungsteam hat mithilfe des Nasa-Röntgenobservatoriums Chandra das Relikt einer uralten Supernova untersucht. Im Doppelsternsystem GRO J1655-40 fanden sie Hinweise auf ein Schwarzes Loch, das einst aus einem Stern mit der 25-fachen Sonnenmasse hervorging. Die im Röntgenlicht eingefangenen Daten ermöglichen eine Art archäologische Analyse im All und eröffnen neue Wege in der Erforschung kosmischer Entwicklungen.
Inhaltsverzeichnis
Spurensuche im All mit Chandra
Wenn wir an Archäologie denken, fallen uns meist Ausgrabungen in alten Städten oder versunkenen Tempeln ein. Doch eine Gruppe von Astronominnen und Astronomen zeigt, dass sich auch im All Spuren der Vergangenheit lesen lassen. Die sogenannte „Supernova-Archäologie“ nutzt die Überreste explodierter Sterne, um deren Geschichte zu rekonstruieren. Im Fokus: das System GRO J1655-40, ein Doppelsternsystem, das heute ein Schwarzes Loch und einen masseärmeren Stern beherbergt.
Ursprünglich bestand GRO J1655-40 aus zwei leuchtkräftigen Sternen. Doch einer von ihnen war massereicher und durchlief seinen Lebenszyklus schneller. Er verbrannte seinen nuklearen Treibstoff und explodierte schließlich in einer Supernova. Bei dieser extremen Explosion wurden seine äußeren Schichten ins All geschleudert – ein Teil davon traf den verbleibenden Stern.
Was von dem explodierten Himmelskörper übrig blieb, stürzte unter seiner eigenen Schwerkraft in sich zusammen und wurde zu einem Schwarzen Loch. Heute besitzt dieses Schwarze Loch etwa die siebenfache Masse unserer Sonne. Sein Begleiter, der überlebt hat, bringt etwa halb so viel Masse auf die kosmische Waage.
Gravitation zieht Kreise
Im Laufe der Zeit veränderte sich das System weiter. Durch Energieverluste, unter anderem durch Gravitationswellen, rückten das Schwarze Loch und der überlebende Stern näher zusammen. Schließlich war der Abstand so gering, dass das Schwarze Loch begann, Material von seinem Nachbarn abzuziehen.
Dabei fiel ein Großteil dieser Materie direkt in das Schwarze Loch. Doch ein kleiner Teil sammelte sich in einer rotierenden Scheibe um das Schwarze Loch – eine sogenannte Akkretionsscheibe. In dieser Scheibe wirken starke Magnetfelder und Reibungskräfte, die einen Teil der Materie in Form heißer, schneller Winde in den Weltraum schleudern.
Röntgenlicht als Zeitmaschine
An dieser Stelle kommt das Nasa-Weltraumteleskop Chandra ins Spiel. Im Jahr 2005 beobachtete das Forschungsteam GRO J1655-40 mit Chandra, als das System besonders hell im Röntgenbereich strahlte. Das Röntgenobservatorium registrierte detaillierte Spektren – also die Intensität des Lichts bei verschiedenen Wellenlängen. Diese Spektren enthalten Signaturen bestimmter chemischer Elemente, die in den Winden des Schwarzen Lochs enthalten sind.
Diese Signaturen sind vergleichbar mit einem chemischen Fingerabdruck. So konnten die Forschenden einzelne Elemente wie Eisen, Magnesium, Nickel, Kobalt und Silizium identifizieren. Die Analyse dieser Elemente ermöglichte Rückschlüsse auf den Ursprung des Materials – also auf den explodierten Stern selbst.
Was ein Wind verrät
Die Forschenden verglichen die gemessenen Spektren mit Modellen von Supernovae – also Sternexplosionen – und bestimmten dabei die ursprüngliche Masse und Zusammensetzung des zerstörten Sterns. Das Ergebnis: Der Stern hatte rund 25 Sonnenmassen und war im Vergleich zu unserer Sonne sehr reich an schweren Elementen, also solchen, die schwerer als Helium sind.
Dieser Befund spricht dafür, dass der Stern vor seiner Explosion bereits durch mehrere Phasen der Kernfusion gegangen war – von Wasserstoff zu Helium, weiter zu Kohlenstoff, Sauerstoff und schließlich zu Eisen. Letzteres ist das Endstadium in der Energieerzeugung eines Sterns. Sobald Eisen im Kern überwiegt, kann der Stern keinen weiteren Fusionsprozess zur Energiegewinnung nutzen – der Kollaps ist unausweichlich.
Supernova-Archäologie: ein neues Forschungsfeld
Die Analyse von GRO J1655-40 zeigt: Röntgenstrahlen liefern nicht nur Momentaufnahmen des Weltalls, sondern auch Einblicke in die Vergangenheit. Die Forschenden sprechen daher von einer Art archäologischer Spurensuche. Statt Tonscherben oder antiken Mauern untersuchen sie die chemischen Spuren, die ein toter Stern in seinem Umfeld hinterlassen hat.
In ihrer Fachpublikation im Astrophysical Journal beschreiben Noa Keshet und Ehud Behar vom Technion – Israel Institute of Technology – sowie Timothy Kallman vom NASA Goddard Space Flight Center ihre Ergebnisse. Ihr Ansatz könnte künftig auch bei anderen Doppelsternsystemen Anwendung finden, die ein ähnliches Schicksal durchlebt haben.
Das Chandra-Röntgenobservatorium der Nasa wurde entwickelt, um genau solche Phänomene sichtbar zu machen. Es kreist in einer hochgelegenen Umlaufbahn um die Erde und kann extrem energiereiches Licht – also Röntgenstrahlen – aus dem All empfangen. Auf der Erde wäre das wegen der schützenden Atmosphäre nicht möglich. Die wissenschaftliche Steuerung erfolgt durch das Chandra X-ray Center des Smithsonian Astrophysical Observatory in Cambridge, Massachusetts.
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