Astronaut de Winne: „Man braucht lange, um sich auf der ISS einzugewöhnen“
Zweimal ist Frank de Winne, belgischer Ingenieur, Pilot und Astronaut, auf der Internationalen Raumstation ISS gewesen. Der 52-Jährige hat insgesamt fast 200 Tage im All verbracht und wurde 2009, während seiner zweiten Mission, als erster und bisher einziger Westeuropäer zum Kommandant der ISS ernannt. ingenieur.de-Redakteurin Gudrun von Schoenebeck hat de Winne gesprochen.
Seit gut einem Jahr ist Frank de Winne, der vom belgischen König in den Adelsstand im Rang eines Vicomte erhoben wurde, Leiter des EAC, des europäischen Astronautenzentrums. Hier, auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln-Porz, werden die europäischen Astronauten ausgewählt, trainiert und für Missionen zur Internationalen Raumstation vorbereitet.
Im EAC trainieren die Astronauten und das mit der Flugüberwachung beauftragte Bodenpersonal den Betrieb sämtlicher europäischer Komponenten der ISS. Dazu gehört das Columbus-Raumlabor und die Steuerungssysteme des Automatischen Transferfahrzeuges ATV. Das anspruchsvolle Kopplungsmanöver des ATV an die ISS wird im Astronautenzentrum geübt.
Zum Tag- der Luft- und Raumfahrt am 22. September 2013 öffnet auch das Astronautenzentrum seine Türen für die Öffentlichkeit. Besucher können die großen Trainingsmodelle des Columbus-Labors und des ATV besichtigen oder sich am Tauchbecken erklären lassen, wie Astronauten dort auf Außenbordeinsätze an der ISS vorbereitet werden. Neben den Technikern beantworten zehn Astronauten die Fragen des Publikums. Vorgesehen ist auch eine Life-Schaltung zu ESA-Astronaut Luca Parmitano, der gegenwärtig auf der ISS im Einsatz ist.
Frank de Winne: Vom Standpunkt des Ingenieurs aus gesehen ist das All eine große Herausforderung und fordert ständige Kompromisse. Wir wollen viel Energie, viel Ausrüstung und viele Experimente dort oben haben. Aber je größer das Gewicht, desto schwieriger und teurer wird die Mission. Wir müssen also ständig einen Ausgleich finden zwischen dem, was wir wollen und dem was physikalisch möglich ist – egal ob es um das Kühlsystem oder die Energieversorgung geht. Hierfür brauchen wir dauernd innovative Ingenieurlösungen, die fehlerlos zusammenarbeiten.
Das alleine ist schon schwierig genug, aber jetzt müssen Sie noch bedenken, dass die Entwicklung der Systeme in verschiedenen Ländern geschieht, in Europa, Japan, Russland, Kanada, den USA. Das sind globale Ingenieurprojekte, in denen unterschiedliche Kulturen und Standards zusammengebracht werden müssen. Das alles muss dann, wie die Computerleute sagen, fähig sein zum „plug and play“. Das größte System dieser Art ist das europäische Columbus-Labor. Dieses riesige Modul wurde hier in Europa gebaut, ins All gebracht, dort an die ISS angedockt und musste sofort funktionieren. Das Anschließen der Kabel war damals ein sehr spezieller Moment für die Astronauten.
Wir haben zwei wichtige Beiträge aus Europa: Das Columbus-Modul mit dem wissenschaftlichen Labor, in dem viele Experimente auf der ISS durchgeführt werden, und das ATV, das automatische Transferfahrzeug. Ich denke, sie sind beide gleich wichtig. Mit Columbus gibt es einen Ort der Forschung und mit dem ATV haben wir einen unbemannten und wiederverwendbaren Weltraumfrachter gebaut, der den nötigen Nachschub transportiert.
Als nächstes werden wir ein Servicemodul bauen, das zur Kapsel gehört, mit dem die NASA ihre Crew transportieren wird. Damit wird Europa einen wichtigen Baustein in einem Transportsystem haben, das jenseits der ISS zum Mond oder zum Mars fliegen könnte. Diese wichtige Entscheidung, dass die europäische Industrie dafür Hardware baut, ist erst im letzten Jahr gefallen.
Zunächst einmal unterscheiden sich die technischen Aufgaben, die man als Kommandant hat, nicht von denen der anderen Crew-Mitglieder. Jeder weiß auf der ISS, was er zu tun hat. Die wichtigste Aufgabe eines Commander ist es, ein Klima der guten Zusammenarbeit zu schaffen. Das ist manchmal nicht einfach, denn der Platz ist sehr begrenzt, man ist weit weg von zu Hause und isoliert. Es gibt kaum Annehmlichkeiten und zum Entspannen kann man nicht mal eben vor die Tür gehen und eine Zigarette rauchen. Also die Motivation des Teams, wozu auch das Team am Boden gehört, ist sehr wichtig.
Technisch gesehen leitet sowieso das Kontrollzentrum am Boden die Raumstation und der Flugdirektor ist auch der Chef der ISS. Er trifft die Entscheidungen. Nur wenn ein Notfall eintritt, wie etwa bei einem Feuer oder Druckabfall, übernimmt automatisch der Commander an Bord das Kommando. Er trifft alle Entscheidungen und hat die Aufgabe zuerst die Crew zu retten, dann das Raumfahrzeug und dann die Mission. Für solche möglichen Notfälle haben wir viel trainiert, denn die richtigen Entscheidungen müssen innerhalb kürzester Zeit in einer stressreichen Situation getroffen werden.
Mit unseren Simulatoren und Modulen können wir die Astronauten gut auf den Alltag im All, auf die Durchführung von Experimenten, aber auch auf das Verhalten im Notfall vorbereiten. Was man nicht trainieren kann, ist die Schwerelosigkeit. Jeder Astronaut weiß zwar, dass die Dinge, wenn er sie loslässt, wegfliegen. Aber trotzdem braucht jeder eine längere Zeit sich daran zu gewöhnen. Jeder Astronaut verliert Sachen auf der ISS, das ist normal. Ich habe ein bis zwei Monate gebraucht, um meine Arbeit dort oben wirklich effektiv zu machen. Auf der Erde muss man sich dann natürlich wieder umgewöhnen.
Zunächst einmal ist die Technologie, mit der wir komplexe, leichte und sichere Systeme für die Raumfahrt bauen, auch für Produkte auf der Erde übertragbar, auch wenn die Ingenieurleistung nicht immer sofort sichtbar ist. Außerdem machen wir auf der ISS Grundlagenforschung und normalerweise keine Experimente, die in zwei Jahren ein neues Produkt ergeben. Ich kann Ihnen aber trotzdem ein Beispiel von meinem Flug geben, in dem die Forschung wahrscheinlich ein anwendbares Ergebnis haben wird.
Wir hatten ein Experiment an Bord, in dem es um neue Metalllegierungen ging. Während bisher Legierungen durch Kristallisation entstehen, gibt es auch Forschungen, bei denen das Metallpulver verbrannt wird. Nach diesem Schmelzprozess ist die Legierung sehr hitzebeständig und extrem dauerhaft. Wenn solche Metalllegierungen verbaut würden, könnte die Verbrennungstemperatur der Motoren erhöht werden, was wiederum den Treibstoffverbrauch reduzieren würde.
Das Problem ist allerdings, dass die neue Legierungstechnik auf der Erde nicht immer korrekt funktioniert. Woran das liegt, ist bislang noch unbekannt. Jetzt machen wir systematische Experimente auf der ISS, um diese Wissenslücke hoffentlich schließen zu können. Die neue Legierungstechnik könnte dann eines Tages in der Industrie für Auto- und Flugzeugmotoren angewendet werden und helfen Treibstoff zu sparen.
Mit der NASA zusammen haben wir bereits einige technische Vorbereitungen getroffen, um den Betrieb der ISS bis 2028 zu verlängern. Das müssen aber alle beteiligten Partner – Amerikaner, Russen, Europäer und Japaner – gemeinsam entscheiden. Einig sind sich alle darin, dass Arbeit und Forschung im niedrigen Orbit wichtig ist für zukünftige Expeditionen, zum Mond oder zum Mars. Die spannende Diskussion über die Zukunft der ISS findet also momentan statt. In den kommenden zwei bis drei Jahren muss die Entscheidung über die Verlängerung getroffen sein, damit wir entsprechende Vorbereitungen treffen können.
Ich bin überzeugt davon, dass eine Frau als erste auf dem Mars landen wird. Wir hatten einen Mann auf dem Mond, jetzt sind die Frauen dran. Die Frage ist nur, wann das geschehen wird. Wir sollten aus der Marslandung keinen Wettlauf machen, wie wir das beim Mond hatten. Der Mars wird auch noch in 50, 100 oder 1 000 Jahren dort sein. Wir sollten die Mission dorthin sehr strukturiert vorbereiten und es sollte eine Mission der gesamten Menschheit werden. Das wäre mein Traum.
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