Astrophysiker stellt Einsteins Theorien in Frage
Ein Forscher im Bereich der Astrophysik hat Umstände identifiziert, unter denen die Theorien von Albert Einstein nicht zutreffen sollen. Was steckt hinter seiner Entdeckung?
Der Astronom Kyu-Hyun Chae von der Sejong-Universität in Seoul behauptet, möglicherweise „unmittelbare Beweise“ für den Zusammenbruch der Schwerkrafttheorien gefunden zu haben. Er hat seinen Artikel mit einer ziemlich sensationellen Überschrift versehen: „Zusammenbruch der Newton-Einstein Standardgravitation bei geringer Beschleunigung in der internen Dynamik von weiten Doppelsternen“, die von einigen Medien aufgegriffen wurde. Viele haben darauf aber eher skeptisch reagiert. Denn eine solche grundlegende Theorie zu widerlegen, stellt bereits eine enorme Herausforderung dar. Doch was ist wirklich dran? Um der Sache auf den Grund zu gehen, müssen wir zunächst einige Begriffe auseinanderhalten.
Was versteht man unter Schwerkraft?
Die Schwerkraft ist eine fundamentale physikalische Kraft, die die Wechselwirkung zwischen Massen miteinander beschreibt. Sie ist dafür verantwortlich, warum Gegenstände auf der Erde fallen und Planeten in ihren Umlaufbahnen um die Sonne bleiben. Grundsätzlich besagt das Gesetz der Schwerkraft, dass jede Masse eine anziehende Kraft auf jede andere Masse ausübt.
Das klassische Schwerkraftgesetz wurde von Sir Isaac Newton formuliert und besagt, dass die Gravitationskraft zwischen zwei Massen proportional zum Produkt ihrer Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands zwischen ihnen ist.
Was besagt die Relativitätstheorie von Albert Einstein?
Die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein revolutionierte das Verständnis der Schwerkraft. Sie beschreibt Gravitation nicht mehr als eine Kraft, sondern als eine Krümmung der Raumzeit um Massen. Objekte bewegen sich auf gekrümmten Bahnen in dieser Raumzeit, was die Schwerkraft erklärt. Die spezielle Relativitätstheorie behandelt Bewegung in Bezug auf Lichtgeschwindigkeit, während die allgemeine Relativitätstheorie die Gravitation als Krümmung der Raumzeit erklärt.
In beiden Theorien – der klassischen Newtonschen Schwerkraft und der relativistischen allgemeinen Relativitätstheorie – ist die Schwerkraft eine entscheidende Kraft, die das Verhalten von Himmelskörpern, Planeten, Sternen, Galaxien und anderen Massen beeinflusst.
Was beinhaltet die MOND-Theorie?
Die MOND-Theorie (Modified Newtonian Dynamics) ist eine alternative Hypothese zur Erklärung der Rotationskurven von Galaxien, ohne die Notwendigkeit von Dunkler Materie. Dunkle Materie ist eine hypothetische Form von Materie, die bisher nicht direkt beobachtet wurde, aber angenommen wird, um die beobachtete Gravitationswirkung in Galaxien und Galaxienhaufen zu erklären, die mit den sichtbaren Massen allein nicht erklärbar wäre.
Die MOND-Theorie wurde von dem israelischen Physiker Mordehai Milgrom in den 1980er Jahren entwickelt. Sie postuliert, dass bei sehr geringen Beschleunigungen – also bei extrem schwachen Gravitationsfeldern – die Newtonsche Gravitationsgesetze modifiziert werden müssen.
Die MOND-Theorie wurde ursprünglich entwickelt, um die beobachteten Rotationseigenschaften von Galaxien zu erklären, die sich bei größeren Entfernungen von ihrem Zentrum langsamer bewegen als nach den Vorhersagen der Newtonschen Gravitationstheorie.
Vor nicht allzu langer Zeit entdeckte eine Gruppe von Forschern unter der Leitung des Astrophysikers Pavel Kroupa, dass das Verhalten von losen Sterngruppen eher mit den Vorhersagen der MOND-Theorie in Einklang steht.
Beweise für Zusammenbruch der Theorie?
Der Koreaner Kyu-Hyun Chae hat die beiden Gravitationsmodelle verglichen, indem er die Beschleunigung von 26.500 Doppelsternen analysierte, die zuvor vom Weltraumteleskop „Gaia“ der europäischen Raumfahrtorganisation ESA erfasst wurden. Die neuesten Daten, die Chae in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „The Astrophysical Journal“ veröffentlicht hat, könnten Auswirkungen haben: Laut dem Forscher deuten die Daten darauf hin, dass sich die Sterne eher im Einklang mit dem MOND-Modell bewegen, wenn ihre Beschleunigung unter einen Wert von einem Nanometer pro Quadratsekunde fällt.
Chae erklärte zu seiner Methode in einer Pressemitteilung: „Von Anfang an schien es mir klar zu sein, dass die Schwerkraft am direktesten und effizientesten durch die Berechnung von Beschleunigungen getestet werden könnte, weil das Gravitationsfeld selbst eine Beschleunigung ist. Meine jüngsten Forschungserfahrungen mit galaktischen Rotationskurven haben mich zu dieser Idee geführt. Galaktische Scheiben und weite Doppelsterne weisen gewisse Ähnlichkeiten in ihren Umlaufbahnen auf, obwohl weite Doppelsterne stark gestreckte Bahnen verfolgen, während Wasserstoffgasteilchen in einer galaktischen Scheibe nahezu kreisförmige Bahnen verfolgen.“
Abweichungen von der Vorhersage des newtonschen Gravitationsgesetzes und der allgemeinen Relativitätstheorie
Die Studie von Kyu-Hyun Chae ergab, dass wenn zwei Sterne mit Beschleunigungen von weniger als etwa einem Nanometer pro Quadratsekunde umeinander kreisen, sie von der Vorhersage des newtonschen Gravitationsgesetzes und der allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein abzuweichen beginnen.
Bei Beschleunigungen von weniger als etwa 0,1 Nanometer pro Quadratsekunde ist die beobachtete Beschleunigung etwa 30 bis 40 Prozent höher als die Vorhersage nach Newtons und Einsteins Theorien. In einer Stichprobe von 20.000 weiten Doppelsternen innerhalb einer Entfernungsgrenze von 650 Lichtjahren zeigen zwei unabhängige Beschleunigungsintervalle Abweichungen von über 5 Sigma Signifikanz in dieselbe Richtung.
Mit anderen Worten: Es gibt Unregelmäßigkeiten in der Gravitation. Sobald die Beschleunigung der Sterne einen Schwellenwert von einem Nanometer pro Sekunde unterschreitet, stimmen ihre Bewegungen nicht mehr mit den Schwerkraftmodellen von Newton und Einstein überein.
„Die Ergebnisse sind echt“
Zu den Ergebnissen sagt Chae: „Es scheint unmöglich, dass eine Verschwörung oder unbekannte systematische Fehler diese beschleunigungsabhängige Unterbrechung der Standardgravitation im Einklang mit AQUAL verursachen kann. Ich habe alle möglichen systematischen Fehler geprüft, wie im recht umfangreichen Artikel beschrieben. Die Ergebnisse sind echt. Ich erwarte, dass die Ergebnisse in Zukunft mit besseren und größeren Daten bestätigt und verfeinert werden. Ich habe auch alle meine Codes für Transparenz veröffentlicht und stelle sie allen interessierten Forschern zur Verfügung.“
Xavier Hernandez, Professor an der UNAM in Mexiko, der vor einem Jahrzehnt erstmals Tests der Schwerkraft mit weiten Doppelsternen vorgeschlagen hat, kommentierte in einer Pressemitteilung: „Es ist aufregend, dass die Abweichung von der newtonschen Gravitation, die meine Gruppe seit einiger Zeit behauptet hat, nun unabhängig bestätigt wurde, und es ist beeindruckend, dass diese Abweichung zum ersten Mal korrekt als genaues Abbild eines detaillierten MOND-Modells identifiziert wurde. Die beispiellose Genauigkeit des Gaia-Satelliten, die große und sorgfältig ausgewählte Stichprobe, die Chae verwendet, und seine detaillierte Analyse machen seine Ergebnisse ausreichend robust, um als Entdeckung zu gelten.“
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