Raumfahrt 03.12.2010, 19:50 Uhr

Auf dem Weg zum Mars – Tausend Tage Einsamkeit

Vergangene Woche schlossen die neuen Astronauten der ESA die erste Phase ihrer Ausbildung ab. Wie oft und wie lange sie in den Weltraum fliegen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Geld die europäischen Länder bereit stellen. Die Bundesregierung will sich bis 2020 an der Internationalen Raumstation zu beteiligen. Für die europäischen Raumfahrer wächst damit die Chance, auch für längere Zeit ins All zu reisen. Eins ist dabei aber sicher: Ein reines Vergnügen wird es nicht.

Die neue Generation europäischer Astronauten – fünf Männer und eine Frau – haben in der vergangenen Woche ihr Grundlagentraining offiziell abgeschlossen. Sie sind, so Michel Tognini, ehemaliger ESA-Astronaut und derzeit Chef des Europäischen Astronautenzentrums in Köln, mehr als ihre Vorgänger unter dem Blickwinkel möglicher Langzeitmissionen ausgewählt worden.

Da passt es gut, dass die Bundesregierung diese Woche verkündet hat, sie werde sich mindestens bis 2020 an der Nutzung der Internationalen Raumstation (ISS) beteiligen. Denn das bedeutet auch, dass auf der ISS noch mindestens zehn Jahre regelmäßig bis zu sechs Astronauten arbeiten können. Darunter auch Europäer – und zwar für längere Zeiträume.

Weltweit wird bereits über die nächsten Schritte nach der ISS nachgedacht: Missionen zum Mond und Mars. Während Mondmissionen – solange es keine Mondstation gibt – nur wenige Tage dauern, geht die Nasa derzeit bei einer Marsmission von knapp 1000 Tagen aus. Ein Missionsmodell etwa sieht 150 Tage Hinflug vor, 619 Tage Aufenthalt und 110 Tage Rückflug.

Noch sind solche Missionen Zukunftsmusik. Um die Astronauten aber wenigstens darauf vorzubereiten und wissenschaftliche Daten über die zu erwartenden Belastungen zu erheben, bleibt nur die Internationale Raumstation.

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Missionen europäischer Astronauten zur ISS dauern in der Regel kaum länger als ein paar Wochen. Es gibt aber Ausnahmen: So blieb der ESA-Astronaut Thomas Reiter 166 Tage auf der ISS – immer noch wenig im Vergleich zu dem Russen Waleri Poljakow, der 437 Tage auf der russischen Mir-Station ausharrte.

Zählt man die bisherigen bemannten Weltraumflüge zusammen, so haben Astronauten insgesamt an die 100 Jahre im Weltraum verbracht. Die durchschnittliche Missionsdauer, so Hanns-Christian Gunga, Sprecher des Zentrums für Weltraummedizin an der Charité in Berlin, liegt aber nur bei 28 Tagen. Was deshalb noch immer fehlt, ist eine hinreichend große statistische Basis über Erfahrung von Raumfahrern bei langen Missionen.

Einiges weiß man heute schon. Und das legt nahe, dass es keine Vergnügungsreise wird.

Bereits der Flug zur ISS ist nicht jedermanns Sache. Ein Flug mit dem US-Shuttle – das nächstes Jahr allerdings eingemottet wird – mag noch als komfortabel gelten. Fliegen drei Astronauten aber in der recht beengten Sojus-Kapsel zur ISS, müssen sie sich in der Regel vor dem Start einem Einlauf unterziehen und wassertreibende Medikamente nehmen. Denn die Flugzeit zur Station dauert gut zwei Tage und in der engen Kapsel soll jede einschlägige Regung unterdrückt werden.

Einmal an Bord der Station, wird fast der Hälfte aller Astronauten schlecht. Schuld daran sind die kleinen Schweresteinchen im Innenohr, die Otolithen, die in Schwerelosigkeit durch das Innenohr driften und das Gehirn mit verwirrenden Signalen versorgen, was zu Übelkeit führt. Nach wenigen Tagen klingen die Beschwerden in der Regel ab. Sie können aber auch so heftig werden, dass sie Astronauten an den ihnen zugedachten Arbeiten an Bord der ISS hindern. Zugleich ändert sich das Aussehen der Astronauten: Das Blut, das die Schwerkraft auf der Erde in die Beine zieht, verteilt sich in Schwerelosigkeit gleichmäßig im Körper. Als Folge schwillt einerseits das Gesicht an, „puffy face“ nennen es die Raumfahrer, andererseits werden die Beine dünner.

Auch die Schleimhäute schwellen an, die Geschmacksknospen auf der Zunge schwellen zu, das Essen schmeckt fade. Positiver Nebeneffekt: der sprichwörtliche Gestank auf der Raumstation wird kaum noch wahrgenommen.

Doch nicht nur das Gesicht ändert sich. Innerhalb der ersten Woche „wachsen“ Astronauten dank fehlender Schwerkraft um bis zu 8 cm. Die Folge sind Rückenschmerzen, so Rupert Gerzer, Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln, und bei 10 %, der Betroffenen können diese Schmerzen „sehr heftig“ werden. Da überrascht nicht, das nach einer Studie der Nasa aus den 90er-Jahren fast 50 % aller an die damaligen Astronauten ausgegebenen Medikamente Schmerzmittel waren. Nur halb so oft wurden Medikamente gegen Schlaflosigkeit oder Übelkeit nachgefragt.

Doch nicht allein das Aussehen ändert sich in Einsamkeit und Schwerelosigkeit. Die Körpertemperatur, ein wesentlicher Faktor für die Hormonbildung, sinkt, das zeigen Experimente. Auch die roten Blutkörperchen verändern ihre Form und werden weniger. Selbst das Schlafverhalten ändert sich, je länger die Astronauten im All sind: Sie schlafen weniger tief und fest – nicht zuletzt durch den dauernden Lärm der Ventilatoren an Bord der Raumstationen, die die Luft umwälzen und mit bis zu 80 dB das Niveau von Innenstadtverkehr erreichen können.

Dieser Stress wiederum kann zu einer Schwächung der T-Lymphozyten führen, die das Immunsystem steuern und damit Astronauten anfälliger für Virusinfektionen, aber auch für Pilze und Bakterien, werden lassen.

Denn die Astronauten haben gefährliche Passagiere an Bord: Mikroorganismen. Bakterien und Pilze kommen bisweilen lange vor den ersten Astronauten schon mit den ersten Bauteilen in die Raumstation. Sind die Astronauten erst einmal an Bord, blühen die blinden Passagiere auf. Zum einen, so Gerzer, scheinen manche Mikroorganismen die Schwerelosigkeit geradezu zu lieben. Zum andern schaffen die Astronauten die nötige Grundlage für das schnelle Ausbreiten von Pilzen und Bakterien.

Gut 2,5 l nimmt ein Astronaut am Tag an Flüssigkeit zu sich, die schwitzt oder scheidet er wieder aus. Dazu kommt der alltägliche Schmutz: Hautzellen, die vermehrt etwa dadurch verloren gehen, dass sich an den Füßen mangels Belastung in der Schwerelosigkeit die Hornhaut zurückbildet, aber auch winzige Essensreste. Auch Aerosole aus Flüssigkeiten schlagen sich an den Wänden der Station nieder.

Da auf der Raumstation der natürliche Luftaustausch wie auf der Erde fehlt, wuchern die Mikroorganismen in der Wärme und Feuchtigkeit, insbesondere an schwer zugänglichen Stellen der Raumstationen. Allein auf der russischen Salyut-7-Station fanden Wissenschaftler 77 verschiedene Arten von Bakterien und Pilzen.

Da das Immunsystem der Astronauten offenbar an Widerstandskraft verliert, je länger sie im Weltraum sind, werden sie angreifbarer. Pilzinfektionen und schwer heilende Wunden sind die Folge. Doch Pilze und Bakterien greifen nicht nur Menschen an. Sie befallen Kunststoffe, Gummi, selbst Metalle wie Titan, sogar Quarzglas. Doch nicht nur das – sie können die Detektoren von Feuermeldern in den Raumstationen anfressen, sammeln sich auf den Verbindungen von Kabelbäumen.

Dazu kommt eine weitere Gefahr: Auch Pilze und Bakterien sind im Weltraum der Strahlung ausgesetzt. „Nicht auszuschließen“, so Gerzer, sei deshalb, dass sich dadurch „eine besonders aggressive Art“ entwickeln kann. Schon auf der Raumstation beträgt die Strahlung das 200- bis 300-Fache, verglichen mit der der Erde, bei einer Reise zum Mars gut das 600-Fache. „Durch mikrobiell induzierte Korrosion“, so Uwe Landau, „können lebenswichtige Systeme beschädigt und so Astronauten wie auch die Raumstation gefährdet werden.“ Landau ist Gesellschafter der Largentec Vertriebs GmbH, die mikroporöse Beschichtungen entwickelt, deren antimikrobieller Wirkung die Ansiedlung von Pilzen und Bakterien auch in Raumfahrzeugen verhindern soll.

Je länger die Astronauten im All bleiben, umso mehr bilden sich nicht allein die Muskeln zurück, sondern auch die Knochen, da die Raumfahrer in Schwerelosigkeit vermehrt Kalzium ausscheiden. Betroffen sind vor allem Ferse, Lendenwirbelsäule und Becken. Auch die Gefahr von Nierensteinen erhöht sich.

Und wenn die Astronauten die Station verlassen, um außen an der Station neue Geräte anzubringen, kann es schon einmal vorkommen, dass sie sich trotz ihrer Handschuhe Erfrierungen an den Fingern holen.

Zu den körperlichen Problemen in der Schwerelosigkeit gesellen sich die psychischen – je länger die Reise dauert, umso deutlicher. Lang anhaltende Isolation, monotone Arbeit, begrenzte Bewegungsfreiheit, aber auch die Trennung von Freunden und Familie, können zu Depressionen, Ängsten und Konflikten führen.

Und was geschieht, wenn einmal die Erde nicht mehr vor der Raumstation leuchtet, sondern nur noch als kleiner Punkt vom Raumschiff aus am Himmel erscheint, und endgültig klar ist, dass schnelle Hilfe nicht mehr möglich ist?

Was, wenn eine Nachricht, etwa vom Mars, 20 min zur Erde und noch einmal die gleiche Zeit wieder zurück benötigt?

Das muss nicht gleich zu Depressionen oder Krankheit führen, schon reduzierte Aufmerksamkeit oder eine Verlangsamung von Merk- und Entscheidungsfähigkeit kann Folgen haben.

Gut beobachtbar ist – etwa bei Teilnehmern langer Forschungsmissionen auf dem Nord- und Südpol –, dass nach einer anfänglichen Phase der Begeisterung massiver Motivations- und Interessenverlust erkennbar ist, besonders intensiv im dritten Viertel einer Mission.

Das kann fatale Konsequenzen haben. So sollen Stress und fehlender Schlaf in Verbindung mit einer latenten Überforderung der Astronauten zu dem Unfall auf der Mir-Station in Juni 1997 geführt haben. Damals kollidierte die russische Progress-Versorgungskapsel mit der Mir-Station beim Andocken.

Wichtig ist es deshalb, schon in der Planung zukünftiger Langzeitmissionen für die Astronauten immer wieder „Reize zu setzten“, so Gunga, um sie psychisch fit zu halten.

Erst kurz vor der Rückkehr zur Erde dürfte die Stimmung wieder steigen. Kommen die Astronauten mit einer Kapsel zurück, könnte es beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre allerdings noch einmal schmerzhaft werden. Spitzenbelastungen von bis zu 6,5 g wirken auf die Astronauten – was sogar zu Knochenbrüchen führen kann.

Völlig offen sind die Folgen von Langzeitmissionen, auch was die erhöhte Strahlung angeht. Es gibt Hinweise darauf, so Gerzer, dass bei Astronauten eine „etwas erhöhte“ Neigung zu grauem Star erkennbar ist, auch eine leichte Taubheit als Folge des ununterbrochenen Lärms durch die Ventilatoren an Bord russischer Raumstationen ist vorgekommen. Das aber dürfte angesichts der 1000 Tage zum Mars und zurück aber das geringste Problem sein. W. MOCK

Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Mock

    Redakteur und Reporter VDI nachrichten. Fachthemen: Wissenschafts- und Technologiepolitik, Raumfahrt, Reportagen.

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