Interview zum Flugzeugmarkt 16.09.2011, 12:07 Uhr

„Das wird auch für die Flugzeughersteller eine schwierige Entscheidung“

Rolls-Royce setzt auf die neuen Mittelstreckenflugzeuge von Airbus und Boeing, die wohl 2025 auf den Markt kommen werden. Chief Technology Officer Ric Parker erklärt im Gespräch mit den VDI nachrichten, wie er den Flugzeugmarkt der nächsten Jahre einschätzt, welche Chancen er sieht und welche Technologien sich abzeichnen.

VDI nachrichten: Kein Flugzeug verkauft sich derzeit so gut wie die A320neo von Airbus. Auch Boeing will mit seiner 737MAX in diesen Markt einsteigen. Zwei Triebwerke stehen für diese Flieger zur Verfügung, das LeapX von CFM und der Getriebefan von Pratt & Whitney/MTU. Warum bietet Rolls-Royce für diesen schnell wachsenden Markt kein Triebwerk an?

Ric Parker: Boeing hat im Grunde eine Exklusivvereinbarung mit CFM an diesem Flugzeug. Wir haben natürlich mit Airbus gesprochen, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass sich daraus für uns hier kein vernünftiger Business Case ergibt.

Rolls-Royce setzt also eher auf die Entwicklung eines komplett neuen Fliegers, der ab 2025 mit ebenfalls komplett neuen Triebwerken auf den Markt kommen könnte?

Ja. Die 737MAX und die 320neo sind im Grunde alte Flugzeuge mit neuen Triebwerken. Das spart um die 15 % Treibstoff. Dagegen gehen wir davon aus, dass mit einem komplett neuen Flieger, der parallel mit neuen Triebwerken entwickelt und optimiert wurde, gut 25 % bis 30 % Treibstoff eingespart werden können. Das macht für uns langfristig mehr Sinn.

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Welche Triebwerke werden wir an diesen neuen Flugzeugen sehen?

Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, sie werden den heutigen ähneln, aber leichter sein, weniger Treibstoff verbrauchen, neue Technologien haben. Oder es gibt eine Art Rückkehr zum Propeller, dem Open Rotor.

Propellermaschinen konnten ja bisher nicht hoch genug und nicht schnell genug fliegen.

Die neuen Open-Rotor-Triebwerke werden je zwei gegenläufig drehende Propeller haben. Die können dann alles, was ein Jettriebwerk kann und werden dabei 10 % bis 15 % weniger Treibstoff verbrauchen als ein vergleichbares Triebwerk im Jahre 2025.

Wäre das nicht ein zu großer Schritt, da ja auch Änderungen in der Geometrie der Flugzeuge nötig würden?

Einfach wird das nicht. Die Rotoren haben bis zu 4 m Durchmesser, damit wird die Installation schwierig, egal ob man sie am Flügel oder hinten am Flugzeugrumpf anbringt. Wir untersuchen deshalb mögliche Varianten mit Boeing und Airbus.

Sind diese Triebwerke nicht wesentlich lauter?

Das hängt davon ab, wo sie angebracht werden. Bei Versuchen, bei denen die Triebwerke hinten am Rumpf und über den Leitwerken angebracht waren, haben wir in Modellversuchen nachweisen können, dass sie sogar leiser als eine heutige A320 wären. So schlimm ist es mit dem Lärm also nicht.

Im Jahr 2025 wären aber auch die neuen Jettriebwerke deutlich leiser als heute.

So ist es. Deshalb wird auch diskutiert, wie leise ein Flugzeug sein muss und ob es wichtiger ist, weniger CO2 oder weniger Lärm zu produzieren. Das ist immer eine Frage der Abwägung.

Was die Forschung am Open Rotor nicht bremst?

Nein, zumal Rolls-Royce beim Open Rotor Technologieführer ist. Wir haben das Liftsystem für den US-Senkrechtstarter Joint Strike Fighter entwickelt. Das ist im Wesentlichen ein gegenläufiger Rotor mit einem Hochleistungsgetriebe. Aber ob der Open Rotor für Passagierflugzeuge wirklich kommt, ist offen. Das wird auch für die Flugzeughersteller eine schwierige Entscheidung. Denn dieser neuartige Antrieb muss komplett integriert und das Flugzeug eigens dafür entwickelt werden.

Und bei den klassischen Triebwerken, wohin geht da der Trend? Zu immer größeren Triebwerken?

Wir sind heute bei einem Nebenstromverhältnis von 1:12, werden aber sicher bei 1:15 oder noch darüber landen. Das heißt aber nicht zwingend, dass die Triebwerke größer werden, das Kerntriebwerk kann auch kleiner werden.

Wird man den Getriebefan, wie
Pratt & Whitney ihn mit MTU entwickelt hat, bald an anderen Triebwerken sehen?

Wenn die Triebwerke immer größer werden, könnte der Getriebefan schon wichtig werden. Wir verwenden eine fundamental andere Triebwerksarchitektur – mit drei statt zwei Wellen. Wir können heutzutage ein sehr effektives Triebwerk auch ohne diese Art Getriebe bauen.

Wenn bis 2025 auch klassische Triebwerke 25 % bis 30 % weniger Treibstoff verbrauchen sollen, mit welchen Technologien lässt sich das erreichen?

Es wird ein ganzer Mix aus Technologien sein. Um die Triebwerke leistungsfähiger zu machen, werden wir Druck und Temperatur erhöhen müssen. Dafür brauchen wir neue Materialien. So arbeiten wir mit den Chinesen, aber auch mit dem deutschen Unternehmen Access zusammen, um Triebwerksschaufeln für die Niederdruckturbine aus Titan-Alumnid zu entwickeln. Wir forschen auch an neuen Fertigungstechnologien für Triebwerkskomponenten wie dem „direct laser deposition“ oder an dem sogenannten „Hipping“, bei dem Triebwerksteile unter hohen Temperaturen und hohen isostatischem Druck in Formen gepresst werden. Hier sind die Herstellungskosten allerdings noch sehr hoch. Aber es macht Sinn, wenn man schnell Prototypen entwickeln will. Auch Kohlenstofffaser- und Keramikverbundwerkstoffe werden immer stärker in die Triebwerke wandern.

Aufgrund welcher Kriterien würde man sich für die eine oder andere Technologie entscheiden?

Das ist immer eine Abwägungsfrage. Erhöht man Druck und Temperatur im Triebwerk, kann das mehr Stickoxide produzieren. Auf einem Flug von Europa nach New York könnte das bedeuten, dass man, um 0,1 t Stickoxide zu vermeiden, 5 t mehr CO2 produziert.

Eine Abwägung, die letztlich auch politisch determiniert ist?

Genau. Die sogenannten Chevron Nozzles, Triebwerksdüsen mit einem Zackenkranz, machen das Flugzeug zwar leiser, kosten aber mehr Treibstoff. Letztlich ist es eine Entscheidung des Gesetzgebers, was ihm wichtiger ist – Lärm reduzieren oder CO2. Wir versuchen aber, die Düse mit Formgedächtnis-Metallen beweglich zu machen, sodass sie sich im Reiseflug weiter öffnet als am Boden. Aber hier sind wir noch ganz am Anfang.

Industrie und Politik haben sich 2001 darauf geeinigt, dass bis 2020 die Flugzeuge 50 % weniger CO2 und 80 % weniger Stickoxide ausstoßen, dabei den Lärm um die Hälfte reduzieren sollen. Ist das realistisch?

Wir sind auf einem guten Weg. Die Triebwerkshersteller sind an den 50 %  CO2-Reduktion mit 20 % beteiligt. Die Daumenregel besagt, dass wir pro Jahr den Treibstoffverbrauch um 1 % senken.

Spielt der Trend zu immer mehr elektrischen Systemen im Flugzeug da auch eine Rolle?

Zunehmend. Die Triebwerke werden zwar wegen der großen Generatoren etwas schwerer und haben mehr Luftwiderstand, dafür kann man im Flugzeug auf viele hydraulische Systeme verzichten. So kann man bei einem Transatlantikflug bis zu 6 t Treibstoff sparen. Unsere Trent 1000-Triebwerke für die 787 produzieren jeweils 0,5 MW, das Doppelte dessen, was die Trent 900 der A380 produzieren – für ein Flugzeug, das dreimal so groß ist.

Wohin geht hier der Trend?

Wir versuchen, den Generator ins Innere des Triebwerks zu legen. Dort würde er am effizientesten angetrieben und könnte kleiner gebaut werden. Dafür muss er aber viel höhere Temperaturen aushalten können.

Eine große Hoffnung für sauberes Fliegen ruht auf den Biotreibstoffen der zweiten Generation. Teilen Sie diese Zuversicht?

Ja. Man muss aber genau hinsehen, ob sie wirklich umweltverträglich, also nachhaltig hergestellt werden, wie hoch das Energieaufkommen für Herstellung, Dünger und Transport ist. Und sie müssen auch die selben Eigenschaften haben wie herkömmliche Treibstoffe. Schließlich muss die Herstellung auch noch kommerziell interessant sein. Da muss alles passen.

 

Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Mock

    Redakteur und Reporter VDI nachrichten. Fachthemen: Wissenschafts- und Technologiepolitik, Raumfahrt, Reportagen.

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