Kosmologisches Standardmodell 27.08.2024, 12:51 Uhr

Deckt KI neue Geheimnisse des Universums auf?

Eine neue KI-Methode ermöglicht präzisere Berechnungen des kosmologischen Standardmodells. Enthüllt sie neue Geheimnisse des Universums?

Universum Milchstraße

Im Universum lauern noch zahlreiche Geheimnisse, mit Hilfe künstlicher Intelligenz könnten einige davon aufgedeckt werden.

Foto: PantherMedia / sripfoto

Die moderne Kosmologie steht an der Schwelle einer neuen Ära. Dank künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich die grundlegenden Parameter des kosmologischen Standardmodells nun mit einer bisher unerreichten Präzision berechnen. Forschende des Flatiron-Instituts in den USA haben in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Methode entwickelt, die verborgene Informationen in der Verteilung der Galaxien nutzt. Diese neue Herangehensweise erlaubt es, fünf der sechs zentralen kosmologischen Parameter deutlich genauer zu bestimmen als bisher.

Das kosmologische Standardmodell: Sechs Zahlen, die das Universum beschreiben

Das kosmologische Standardmodell, das den Aufbau und die Entwicklung des Universums beschreibt, beruht auf sechs grundlegenden Parametern. Diese Parameter umfassen die Anteile der gewöhnlichen Materie, der dunklen Materie und der dunklen Energie im Universum sowie weitere Aspekte, die mit den Bedingungen kurz nach dem Urknall zusammenhängen. Einer dieser Parameter ist besonders wichtig: Er beschreibt die Tendenz der Materie, sich zu Galaxien und Galaxienhaufen zusammenzuballen.

Das Standardmodell der Kosmologie stützt sich auf zwei Grundpfeiler: das Standardmodell der Teilchenphysik und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Das Modell geht davon aus, dass die Naturgesetze, die auf der Erde gelten, universell sind und dass das Universum auf großen Skalen homogen und isotrop ist. Das bedeutet, dass es in allen Richtungen gleich aussieht und sich gleich verhält.

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In diesem Modell wird angenommen, dass das Universum vor etwa 13,8 Milliarden Jahren mit dem Urknall begann und sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Die Galaxien sind entlang eines gigantischen Netzes von Filamenten angeordnet, an deren Knotenpunkten sich die bereits beschriebenen Galaxienhaufen befinden. Dazwischen befinden sich leere Räume, die hauptsächlich mit dünnem, heißem Gas gefüllt sind.

Neue Präzision durch KI-gestützte Analyse

Die jüngsten Fortschritte wurden durch den Einsatz von SimBIG (Simulation-Based Inference of Galaxies) erzielt, einer Methode zur Simulation-basierten Inferenz von Galaxien, die auf KI basiert. Diese innovative Technik wurde in einer aktuellen Studie in Nature Astronomy vorgestellt. SimBIG ermöglicht eine detailliertere Analyse der Galaxienverteilung als jemals zuvor, indem sie die Informationen auch auf kleineren Skalen erfasst, die bisher ungenutzt blieben.

Mit dieser Methode erreichten die Forschenden eine deutlich höhere Genauigkeit als mit herkömmlichen Techniken. Insbesondere die Unsicherheit in Bezug auf die Klumpenbildung der Materie wurde auf weniger als die Hälfte reduziert. Dies stellt einen erheblichen Fortschritt dar, wenn man bedenkt, dass dieselben Galaxiendaten verwendet wurden, die auch bei früheren Analysen zum Einsatz kamen.

So ging das Team genau vor

Um diese Genauigkeit zu erreichen, ging das Forschungsteam in zwei Schritten vor. Zunächst trainierte es ein KI-Modell mit Hilfe von 2000 simulierten Universen aus der Quijote-Simulationssuite, die vom Center for Computational Astrophysics entwickelt wurde. Jedes dieser Universen wurde mit unterschiedlichen Werten für die kosmologischen Parameter erstellt. Die Simulationen wurden so gestaltet, dass sie den realen Bedingungen bei der Durchmusterung von Galaxien ähneln, einschließlich möglicher Störungen durch die Atmosphäre oder durch Teleskope.

In einem zweiten Schritt fütterte das Team das trainierte Modell mit realen Daten. Insgesamt analysierte es die Verteilung von 109.636 Galaxien, die im Rahmen des Baryon Oscillation Spectroscopic Survey gemessen wurden. Das Ergebnis: Die KI konnte nicht nur große Strukturen, sondern auch kleinräumige Muster in der Galaxienverteilung erkennen und nutzen, um genauere Schätzungen der kosmologischen Parameter zu liefern.

Die Infografik stellt die Methodik des Projekts vor. Foto: Lucy Reading-Ikkanda/Simons Foundation

Die Infografik stellt die Methodik des Projekts vor.

Foto: Lucy Reading-Ikkanda/Simons Foundation

Bedeutung für zukünftige kosmologische Forschung

Diese Methode eröffnet laut Forschungsteam neue Möglichkeiten für die Erforschung des Universums. „Die Genauigkeit, die wir erreichen können, hat das Potenzial, unser Verständnis von dunkler Materie und dunkler Energie erheblich zu vertiefen“, sagt Shirley Ho, Co-Autorin der Studie und Gruppenleiterin am Center for Computational Astrophysics.

Da in den kommenden Jahren neue, groß angelegte Durchmusterungen des Kosmos geplant sind, wird der Bedarf an präzisen Analysemethoden weiter steigen. Die neuen Vermessungen sollen eine detaillierte Geschichte des Universums liefern, und SimBIG könnte eine Schlüsselrolle dabei spielen, diese Daten effektiv zu analysieren.

Lösung bei der Berechnung der Hubble-Spannung?

Ein weiteres spannendes Anwendungsfeld für diese Technologie ist die Untersuchung der sogenannten Hubble-Spannung. Diese bezeichnet die Diskrepanz zwischen verschiedenen Messungen der Hubble-Konstanten, die die Expansionsgeschwindigkeit des Universums beschreibt. Traditionelle Schätzungen auf Basis von Supernova-Distanzen in fernen Galaxien und Schätzungen, die sich auf die Fluktuationen des ältesten Lichts des Universums stützen, liefern abweichende Werte.

Die präzise Analyse der Galaxienverteilung könnte helfen, so die Forschenden, diese Unterschiede zu klären. Sollte es gelingen, die Hubble-Konstante mit hoher Präzision zu messen und die Spannungen zu bestätigen, könnte dies Hinweise auf neue physikalische Gesetze oder eine notwendige Anpassung des Standardmodells geben. Dies wäre ein bedeutender Schritt in unserem Verständnis der kosmischen Expansion und der zugrunde liegenden Kräfte wie der dunklen Energie.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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