Der Markt für die Mopeds der Lüfte kennt keine Krisen
Manche bezeichnen sie als Mopeds der Lüfte – doch die ein- bis zweisitzigen Tragschrauber finden eine immer größere Fangemeinde. Gut 200 Hersteller gibt es weltweit, die meisten sind kleine Garagen-Unternehmen. Der Weltmarktführer sitzt in Hildesheim. VDI nachrichten, Hildesheim, 9. 4. 10, moc
Von fern schon sieht man den kleinen gelben Punkt am Himmel, der über dem Flugfeld seine Kreise zieht, dann hört man auch das Brummen des Motors. Kommt man näher, ist ein eher ungewohntes Fluggerät zu erkennen – eine offene Kabine mit zwei Passagieren, darüber ein großer Rotor und ein Motor mit Propeller am Heck.
Was aussieht wie ein winziger Hubschrauber, ist ein Ultraleichtfluggerät – ein Tragschrauber. Und hier am Rand des Flughafens von Hildesheim sitzt der Weltmarktführer für solche Tragschrauber, das Unternehmen AutoGyro.
Von Wirtschaftskrise ist bei AutoGyro nichts zu spüren. „Wir haben eher den Eindruck“, so Michael W. Schuler, einer der beiden Geschäftsführer, „dass viele Flugbegeisterte als Folge der Wirtschaftskrise vom Flugzeug oder Hubschrauber auf Tragschrauber umgestiegen sind.“ Und, ergänzt Vertriebschef Guido Platzer, „die Nachfrage steigt so schnell, dass wir kaum nachkommen“.
Dabei ist das Unternehmen erst wenige Jahre am Markt. 2003 wurde der erste Tragschrauber in Deutschland zugelassen, 2004 verließen die ersten fünf das Unternehmen. Derzeit produziert AutoGyro mit seinen 60 Mitarbeitern gut 300 im Jahr – mehr als jeder andere Hersteller weltweit. Von denen gibt es gut 200, die meisten allerdings sind kleine Garagenfirmen.
Im Gegensatz zu Hubschraubern werden bei Tragschraubern die Rotorblätter nicht angetrieben, sondern drehen sich durch die anströmende Luft und erzeugen dadurch Auftrieb.
Der Rotor wird nur vor dem Start kurz angeworfen und auf gut 200 min-1 beschleunigt. Dazu kann der Rotor entweder per Hand angeworfen werden, oder aber – und das ist die Regel -, er wird kurzfristig an den Motor angekoppelt. Dabei handelt es sich um einen 74 kW oder 85 kW leistenden Turbobenzinmotor, der den Propeller am Heck antreibt.
Hat der Tragschrauber einmal Fahrt aufgenommen, wird der Rotor wieder entkoppelt und dreht sich jetzt allein durch die anströmende Luft. Bei gut 300 min-1 und einer Geschwindigkeit von mindestens 30 km/h – immer relativ zur anströmenden Luft – hebt der Tragschrauber ab. Gelenkt wird mit einem Steuerknüppel.
Zwei unterschiedliche Typen werden in Hildesheim hergestellt: Der offene MTOSport und der geschlossene Calidus. Beim MTO kann man zwischen einer Verkleidung aus glasfaserverstärktem Kunststoff oder der um bis zu 7 kg leichteren Ausführung in kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) wählen. Der Calidus ist komplett aus CFK. Die Anschaffungskosten ähneln denen eines besseren Mittelklassewagens: Der MTO kostet um die 42 000 €, der Calidus gut 52 500 € – ohne Mehrwertsteuer.
Pro Woche verlassen im Schnitt zwei Calidus und vier MTO das Werk. Gut 70 % der Flieger gehen in den Export.
Beide Typen sind Zweisitzer. Ein Zweisitzer macht nicht nur die Schulung einfacher, „zu zweit fliegen“, so Schuler, „macht einfach mehr Spaß“. Eine Einschränkung machte er allerdings: „Für Kunstflug sind die Tragschrauber nicht geeignet.“
Nahezu alles ist bei AutoGyro selbst gefertigt: Kabelbäume, Bestückung des Cockpits, die tragende Struktur, Gas- und Bremshebel, selbst Ölkühler und -thermostate. Die Verkleidungen aus Kompositmaterial werden im eigenen Temperofen „gebacken“. Größtes Zulieferungsteil ist der Motor, der gut 20 % bis 25 % vom Wert eines Tragschraubers ausmacht.
Über die Konfiguration des Fliegers, von den Farben über die Motorleistung bis hin zur Cockpitausstattung, kann der Kunde mitentscheiden.
Überall in den Hallen wird geschraubt, Chassisteile werden angepasst, Kabelbäume zusammengesteckt. In der letzten Halle sind die Konturen der Flieger bereits deutlich zu erkennen. Hier werden die vorgefertigten Teile integriert. Gut fünf Wochen dauert es vom ersten Frästeil bis zur kompletten Integration eines Fluggeräts.
Trotz aller Erfolge der letzten Jahre glauben Platzer und Schuler, dass Tragschrauber ihre große Zeit noch vor sich haben. „Sie wären ein ideales Arbeitsgerät für viele Anwendungen.“ Schon heute werden sie in Schweden zur Überwachung von Wäldern eingesetzt, in Südafrika zur Kontrolle von Diamantenfeldern und in Australien werden mit Tragschraubern Küsten überwacht, um Badende vor Haien zu warnen.
Doch in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern ist der Einsatz von Tragschraubern zu nicht privaten – sprich kommerziellen oder hoheitlichen – Zwecken verboten.
Die brandenburgische Polizei hat jedoch den Einsatz von AutoGyro-Tragschraubern bereits getestet. Und so ein Einsatz würde Sinn ergeben: Denn 90 % aller Aufgaben, die heute von Polizeihubschraubern wahrgenommen werden, so Schätzungen von Fachleuten, könnten Tragschrauber für einen Bruchteil des Geldes erledigen. moc
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