Die Luftfahrt sucht neue Wege in die Zukunft
Nach den Berechnungen der großen Flugzeughersteller soll sich die Zahl der Flugzeuge am Himmel in 20 Jahren mehr als verdoppeln. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission werden in 40 Jahren sogar fünf Mal so viele Menschen das Flugzeug benutzen wie heute. Sie sollen nicht nur schneller ans Ziel kommen, die Flüge sollen auch sicherer werden. An den erforderlichen Technologien für die zukünftige Infrastruktur wird bereits gearbeitet.
Der Flughafen der Zukunft ist kreisrund und befindet sich auf dem Meer. Die Flugzeuge starten und landen auf dem äußeren Rand der Anlage, deren Radius dafür hinreichend groß ist. Die Docks für das Be- und Entladen befinden sich im Zentrum die Abfertigung von Passagieren, Gepäck und Fracht findet in den Stockwerken darunter statt Schnellfähren verbinden den Airport mit dem Festland. Die Kreisform der Start- und Landebahnen ermöglicht mehr Starts und Landungen als auf herkömmlichen, sich kreuzenden Bahnen.
Diese futuristische Skizze ist Teil einer Studie, die 50 Wissenschaftler aus der europäischen Gemeinschaft der Luftfahrt-Forschungsinstitute (EREA) zur Zukunft der Luftfahrt in 30 oder 40 Jahren zusammengestellt haben.
Die visionäre Ideensammlung hat einen konkreten Hintergrund – bis 2050 soll die Zahl der Flüge allein in Europa von zurzeit knapp 10 Mio. auf rund 25 Mio. Flugbewegungen pro Jahr steigen. Entsprechend werden die Anforderungen an die Flughäfen wachsen, mehr Flugzeuge, Fluggäste und Fracht zu bewegen. Denn das weltweite Passagieraufkommen soll sich bis 2050 auf 16 Mrd. Köpfe verfünffachen.
„Flight Path 2050“ definiert ehrgeizige Ziele für die Luftfahrt
Aber nicht nur die Mengen wachsen. Das europäische Strategiepapier „Flight Path 2050“ einer Gruppe von hochrangigen Luftfahrtforschern enthält neben ehrgeizigen Umwelt- auch konkrete infrastrukturelle Ziele: So sollen z. B. „die Passagiere ab 2050 bei 90 % aller Flüge innerhalb Europas in vier Stunden von Haustür zu Haustür kommen“, sagt Klaus Lütjens vom Institut für Lufttransportsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Technischen Universität Hamburg-Harburg.
Lütjens leitet ein gemeinsames Projekt unter anderem mit den Braunschweiger DLR-Instituten für Flughafenwesen und für Flugführung, das sich mit konkreten Schritten auf dem Weg zur Erfüllung der Vision des Flight Path 2050″ beschäftigt. „Die Genehmigung von infrastrukturellen Ausbauvorhaben für die existierenden Flughäfen ist schon jetzt eine schwierige Herausforderung deswegen müssen die Abläufe im Rahmen der bestehenden Infrastruktur optimiert werden“, sagt Lütjens.
Auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten konzentrieren sich die Experten auf die Abläufe im Abfertigungsbereich, auf dem Vorfeld und bei den Starts und Landungen.
Information und Kommunikation sind die Zauberworte im Bemühen um optimierte Abläufe. Von dem Vierstundenziel sind die Passagiere schon deshalb weit entfernt, „weil sie in der Regel ein bis zwei Stunden vor dem Abflug auf dem Airport sind, um sicher zu sein, dass sie alle Prozesse so durchlaufen, dass sie den entsprechenden Flug auch erreichen“, sagt Andreas Deutschmann vom DLR-Institut für Flughafenwesen. Diese Vorlaufzeit ist vor allem ein Sicherheitspuffer für Unvorhergesehenes, nicht aber für die Abläufe tatsächlich erforderlich. Offenbar sind nur wenige Passagiere so risikofreudig, auf den letzten Drücker am Airport einzutreffen: „Fluggäste möchten Sicherheit“, ist Deutschmann überzeugt.
Luftfahrt will durch optimierte Abfertigungsprozesse Zeit und Kapazitäten gewinnen
Diese Sicherheit könnten sie aber auch gewinnen, wenn sie sicher durch die Abfertigungsprozesse geleitet werden. Der Braunschweiger Experte arbeitet deshalb an einem Indoor-Navigations- und Informationssystem, das die Fluggäste ständig auf dem Laufenden hält, wann sie wo sein müssen, wie weit der Weg und wie lang die Warteschlange vor ihnen ist. Das System, das z. B. als Digitale Boardingassistenz (DigiBa) in den Forschungsprojekten Airport 2030 und DIBUS mit dem Institut für Telematik der TU Hamburg-Harburg entwickelt wird, könnte als App auf Smartphones oder mit optimierten Anzeigetafeln im Terminal arbeiten.
Basis solcher Entwicklungen sind die Fluginformationen, die bereits jetzt verfügbar sind und um weitere Daten wie etwa über die Länge der Schlange vor den Sicherheitskontrollen ergänzt werden. Schon heute werden solche Daten versuchsweise erfasst – anhand der Bluetooth-Signale aus eingeschalteten Smartphones ließe sich hochrechnen, wie viele Menschen wo warten. „Am besten wären natürlich bi-direktionale Informationen“, so Deutschmann. Denn für die Airlines und die Abfertigung wäre es interessant zu wissen, wo die Passagiere stecken, um sie direkt ansprechen zu können. „Hier stoßen wir allerdings an die Grenzen des Datenschutzes“, meint Klaus Lütjens – automatisierte Bewegungsprofile von Fluggästen wird es auch in Zukunft kaum geben dürfen.
Ein zusätzliches Problem auf dem Weg zu einem effizienten Informationssystem steckt in der Vielzahl der Datenquellen und den damit verbundenen Zuständigkeiten. Airline, Bundespolizei, Flughafengesellschaft, Gepäckabfertiger und viele andere mehr – sie alle wissen für ihren jeweiligen Bereich, wo sich wie viele Passagiere aufhalten oder wie lang die Abfertigung dauert. Aber sie tauschen ihr Wissen kaum untereinander aus. „Letztlich ist es auch eine Frage, wem der Passagier gehört“, so Deutschmann.
Die Datenvielfalt auf der Terminal-Seite wird noch übertroffen von dem Informationsgemenge im Vorfeld-Bereich. Dort versuchen Michael Röder und seine Kollegen vom DLR-Institut für Flugführung, Ordnung ins System zu bekommen. Derzeit bewegt sich der Informationsaustausch zwischen den dort tätigen Unternehmen „auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners“, so Röders Erfahrung. Schließlich stehen nicht nur die Airlines im Wettbewerb zueinander, auch die Gepäckabfertiger, Betanker, Caterer und andere Service-Unternehmen. Während in den USA die einzelnen Terminals zumeist von einer einzigen Fluggesellschaft betrieben werden, herrscht auf den europäischen Flughäfen ein Miteinander von verschiedenen Firmen, die zum Teil nach dem Willen der EU auch noch im Wettbewerb stehen. Das Ergebnis: „Keiner will sich in die Karten gucken lassen und gibt dem anderen nur so viel Information wie gerade notwendig“, sagt Röder. Stattdessen schlägt jeder auf die Zeitspanne für seine Dienstleistung noch einen Sicherheitspuffer auf, um Fehler aus anderen Bereichen ausbügeln zu können.
„Total Airport Management“ für die Luftfahrt
Dieses Problem lässt sich nach Röders Überzeugung nur durch ein „Total Airport Management“ lösen. Röder arbeitet an Informationssystemen, die in Echtzeit alle wesentlichen Informationen über die Arbeit auf dem Flughafen und an den einzelnen Flugzeugen liefern. In einer Art Leitstand werden alle beteiligten Unternehmen über den Status der Abfertigung einer Maschine unterrichtet so wissen sie exakt, wann ihre eigene Aufgabe erledigt werden muss – und können die üblichen Pufferzeiten deutlich minimieren.
Allerdings, so macht Röder deutlich, reicht es nicht aus, wenn einzelne Flughäfen ihre internen Abläufe optimieren. In das System müssen zudem nicht nur alle anderen Airports, sondern auch die Flugkontrolle einbezogen werden. „Heute bekommen die Zielflughäfen erst eine exakte Information über den Start des Flugzeuges, wenn dieses abgehoben hat. Eine exakte Ankunftszeit kann aber erst 20 Meilen vor der Landebahnschwelle errechnet werden“, erläutert Röder. Bis dahin laufen alle Vorbereitungen am Boden so, als würde die Landung pünktlich erfolgen – selbst wenn die Maschine noch nicht gestartet ist. Entsprechend häufig müssen die Pläne auf den Zielflughäfen korrigiert werden, zudem planen die Fluggesellschaften auch für denkbare Verzögerungen Puffer ein: „Ein Flug, der eigentlich eine Stunde und 15 Minuten dauert, ist in den Flugplänen zumeist mit eineinhalb Stunden kalkuliert“, sagt Röder.
Bei einer einzelnen Maschine mag das akzeptabel sein. Allein in Frankfurt starten und landen jedoch durchschnittlich 1400 Flugzeuge am Tag. Für die DLR-Experten unterstreicht diese Zahl, dass der Optimierungsbedarf bereits heute und nicht erst in 30 oder 40 Jahren besteht. Deswegen wollen sie auch nicht abwarten, bis die Vision vom kreisrunden Flughafen-Neubau auf dem Meer Wirklichkeit wird. Ergebnisse ihres Modellprojektes soll es bereits in diesem Jahr geben.
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