Kettenreaktion an Kollisionen 28.02.2014, 06:51 Uhr

ESA-Satellit Envisat droht Massenkarambolage im All auszulösen

Der inaktive Satellit Envisat der Europäischen Weltraumorganisation ESA kreist in 790 Kilometer Höhe durch den Orbit und droht eine Massenkarambolage auszulösen. Physiker aus England beschäftigen sich deshalb mit Möglichkeiten, den Satelliten aus der Erdumlaufbahn zu holen. Doch die sind schwierig und teuer. 

Vor knapp zwei Jahren riss der Funkkontakt zu Envisat ab. Seitdem fliegt der Satellit durch den Orbit und nähert sich großen Trümmerstücken Weltraumschrott regelmäßig auf 200 Meter. Forscher befürchten einen Kettenreaktion an Kollisionen. 

Vor knapp zwei Jahren riss der Funkkontakt zu Envisat ab. Seitdem fliegt der Satellit durch den Orbit und nähert sich großen Trümmerstücken Weltraumschrott regelmäßig auf 200 Meter. Forscher befürchten einen Kettenreaktion an Kollisionen. 

Foto: ESA

Im Jahr 2002 startete der Umweltsatellit Environmental Satellite (Envisat) ins All. Über zehn Jahre hatten Entwicklung und Konstruktion des Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation ESA in Anspruch genommen. Mit 2,3 Milliarden Euro war er der teuerste Satellit der ESA und mit neun Meter Länge und rund 8000 Kilogramm Gewicht der größte jemals geflogene Erdbeobachtungssatellit.

Elf Jahre lang arbeitete Envisat im Orbit und musste während dieser Zeit etliche Male heranrasendem Weltraumschrott ausweichen. Vor knapp zwei Jahren riss dann unerwartet der Funkkontakt zum Satelliten ab. Seither lässt er sich nicht mehr steuern, er kreist unkontrolliert in rund 790 Kilometer Höhe durch den Orbit. Große Sorgen machen Forschern vor allem zwei Trümmerstücke Weltraumschrott, die sich Envisat regelmäßig auf rund 200 Metern nähern und mit ihm kollidieren könnten.

Wissenschaftler fürchten Kettenreaktion an Kollisionen

Mit Möglichkeiten, wie Envisat aus der Umlaufbahn geholt werden könnte, beschäftigen sich nun Physikstudenten der englischen University of Leicester. Ein mögliches, allerdings nicht besonders wahrscheinliches Szenario sei eine Kettenreaktion an Kollisionen, schreibt die 22-jährige Master-Studentin Katie Raymer im Uni-Magazin Journal of Physics Special Topics. Bei dem gefürchteten Kessler-Syndrom würde ein Zusammenstoß eine Vielzahl neuer Bruchstücke schaffen, die ihrerseits mit weiteren Objekten im Orbit kollidieren. Die entstehende Trümmerwolke würde für zukünftige Satelliten und Weltraummissionen zum gefährlichen Hindernis.

„Die Tatsache, dass Envisat in Polarnähe die Erde umrundet, ist eine zusätzliche Schwierigkeit, weil sein Weg die meisten anderen Satellitenbahnen im rechten Winkel kreuzt“, erklärt Prof. George Fraser, Direktor des universitätseigenen Weltraumforschungszentrums in Leicester. „Stellen Sie sich vor, dass Sie auf einer Autobahn fahren und regelmäßig kreuzt ein großer Laster alle vier Fahrspuren direkt vor Ihnen.“

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Robotic Refueling Mission der NASA könnte Rettung sein

„Auch wenn ein Unfall unwahrscheinlich ist, lohnt die Überlegung, Envisat aus seinem Orbit zu befördern“, sagt Nachwuchsphysikerin Raymer. Gemeinsam mit ihren Kollegen Ben Jordan, Oliver Youle und Thomas Morris hat sie berechnet, wohin der Satellit zu manövrieren wäre und wie viel Treibstoff dazu nötig ist. Am sinnvollsten wäre es demnach, Envisat in einen niedrigeren Orbit in 700 Kilometer Höhe zu schaffen. Dann würde er nicht erst in 150, sondern voraussichtlich schon in 25 Jahren durch die Reibung der Atmosphäre so weit abgebremst, dass er absinken und in der Atmosphäre verglühen würde. Um dieses Manöver durchzuführen, wären allerdings 143 Kilogramm Hydrazin-Treibstoff notwendig.

In einer Höhe von 700 Kilometer würde Envisat durch die Reibung der Atmosphäre so weit abgebremst, dass er innerhalb von 25 Jahren absinken und schließlich verglühen würde. 

In einer Höhe von 700 Kilometer würde Envisat durch die Reibung der Atmosphäre so weit abgebremst, dass er innerhalb von 25 Jahren absinken und schließlich verglühen würde. 

Quelle: ESA

Es wäre jedoch eine extrem teure Angelegenheit, 143 Kilogramm Last auf eine Höhe von 790 Kilometern zu schießen. Außerdem ist Envisat nicht darauf ausgelegt, frisch betankt zu werden. Der Satellit hat vier Tanks, von denen mindestens zwei neu befüllt werden müssten – bisher gibt es dafür noch keine technische Lösung. Abhilfe schaffen könnte nach Ansicht der Physikstudenten vielleicht die Robotic Refueling Mission der NASA, die künftig defekte Satelliten neu befüllen können soll. Die Technik befindet sich jedoch erst in einer frühen Testphase.

Größter Teil des Weltraumschrotts stammt aus früher Phase der Raumfahrt

Im besten Falle gar keinen Müll zu hinterlassen, heißt heute die Devise aller Weltraummissionen. „Der größte Teil des Weltraummülls ist Abfall vom sogenannten Wettlauf ins All“, sagt Heiner Klinkrad, der sich bei der ESA mit dem Thema Weltraumschrott beschäftigt. Knapp 5000 Raketenstarts ins All hat es gegeben, seit die Sowjetunion 1957 Sputnik, den ersten künstlichen Satelliten, in eine Erdumlaufbahn geschossen hat.

Inzwischen besteht die Mehrzahl der künstlichen Himmelskörper aus Trümmerstücken, etwa 22.000 davon sind größer als zehn Zentimeter. Bei einer typischen Geschwindigkeit von 25.000 km/h könnte jedes dieser Fragmente einen Satelliten zerstören. Mittlerweile müssen große Satelliten und auch die Internationale Raumstation ISS häufiger Ausweichmanöver fliegen, um Kollisionen zu vermeiden. 

Ein Beitrag von:

  • Gudrun von Schoenebeck

    Gudrun von Schoenebeck

    Gudrun von Schoenebeck ist seit 2001 journalistisch unterwegs in Print- und Online-Medien. Neben Architektur, Kunst und Design hat sie sich vor allem das spannende Gebiet der Raumfahrt erschlossen.

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