Handlungsbedarf für Dienstleister im Weltraum
Industrialisierung und Kommerzialisierung der Raumfahrt machen Fortschritte. Doch den Unternehmen fehlen oft noch die Voraussetzungen für ein effektives Service-Management zum Betrieb bemannter Raumfahrtsysteme.
Die Raumfahrt hat sich vom reinen Forschungsfeld mittlerweile zu einem Tummelplatz der modernen Industrie- und Informationsgesellschaft entwickelt. Die bemannte Internationale Raumstation ISS, das größte Technologieprojekt aller Zeiten, beschleunigt die industrielle und kommerzielle Nutzung des Weltraums weiter.
Im Herbst 2012 treffen sich die für Raumfahrt verantwortlichen Minister der in der Europäischen Weltraumorganisation ESA zusammengeschlossenen Länder. Die 20 Mitgliedstaaten müssen sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage über die zukünftigen Entwicklungslinien der europäischen Raumfahrt einigen.
In den USA scheint die Kommerzialisierung und Industrialisierung der bemannten Raumfahrt beschlossene Sache zu sein. Der Transport von Material und Astronauten in den erdnahen Orbit soll demnach in Zukunft von Raumfahrtunternehmen übernommen werden. Mitte vergangener Woche dockte die von dem Raumfahrtunternehmen SpaxeX entwickelte Transportkapsel Dragon erstmals bei einem regulären Versorgungsflug an die ISS an.
Von dieser Entwicklung erwarten die USA einen sicheren, verlässlichen und insbesondere kostengünstigen Zugang zur ISS und zum erdnahen Orbit.
Dass sich die Industrialisierung nicht nur auf die Entwicklung und den Bau bemannter Raumfahrzeuge und -stationen beschränkt, zeigt das Beispiel des europäischen Weltraumforschungslabors Columbus, das 2008 als Teil der ISS in Betrieb genommen wurde. Erstmalig wurde der gesamte Service für Betrieb und Nutzung des bemannten Weltraumlabors von der ESA an das Unternehmen EADS Astrium als Hauptauftragnehmer vergeben. Zu den Serviceleistungen während der Betriebsphase gehören unter anderem Missionsvorbereitung, Astronautentraining, Entwicklung von Experimenten und Forschungsanlagen für Columbus sowie Wartung und Datentransfer.
Der Service für den Betrieb eines bemannten Raumfahrtsystems macht im Verhältnis zum gesamten Lebenszyklus eines bemannten Raumfahrtsystems den größten Umsatzanteil aus. Daher konzentrieren sich Unternehmen der Raumfahrtbranche und Betreibergesellschaften – ähnlich wie bereits heute im Geschäft mit den Kommunikations- und Erdbeobachtungssatelliten – zunehmend auf das lukrative Servicegeschäft.
Doch im Rahmen der Industrialisierung der bemannten Raumfahrt und der damit verbundenen Ausweitung von der reinen Entwicklung und dem Bau bemannter Raumfahrtsysteme hin zum Komplett-Service während der gesamten Betriebs- und Nutzungsphase ergeben sich große Herausforderungen. Zu nennen sind insbesondere die Organisation sowie die Planung und Steuerung der umfassenden Serviceleistungen während der langen Betriebsphase des Columbus-Labors. Diese soll bis 2020 laufen, eine Verlängerung bis 2025 wird jedoch bereits diskutiert. Dazu kommen die extrem hohen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen in der bemannten Raumfahrt.
Durch die Industrialisierung der bemannten Raumfahrt gewinnt das produktbegleitende Servicegeschäft neben dem Kerngeschäft der Entwicklung und Erstellung der Raumfahrtsysteme für Industrieunternehmen zunehmend an Bedeutung. Die Unternehmen müssen sich, wie anderswo längst üblich, von reinen Produktherstellern hin zu integrierten Produkt- und Dienstleistungsunternehmen wandeln. Der Auf- und Ausbau eines professionellen Servicemanagements in Raumfahrtunternehmen ist also eine komplexe organisatorische Gestaltungsaufgabe.
Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart haben ergeben, dass vor allem für die Service-Organisation und das Service-Management bemannter Raumfahrtsysteme Nachholbedarf besteht.
Den Untersuchungen nach weisen die meisten Unternehmen der bemannten Raumfahrtbranche beispielsweise noch ein stark ausgeprägtes Projektdenken auf und sind sehr stark technologie- statt serviceorientiert. Die Raumfahrtunternehmen sind zudem traditionell funktional organisiert. Dies spiegelt sich auch in der Organisation des Services wider, was eine geringe Effizienz und Effektivität im Serviceablauf zur Folge hat.
Nach Aussagen der Raumfahrtunternehmen werden die anspruchsvollen Anforderungen während der Betriebsphase eines bemannten Raumfahrtsystems vielfach nur mit erhöhten Kosten erreicht, wodurch die erwünschten positiven Effekte bezogen auf die Erlössituation in den Unternehmen ausbleiben.
Die Gründe dafür liegen in den bisher fehlenden Kompetenzen und Erfahrungen der Unternehmen. 92 % der befragten Raumfahrtunternehmen, die am Service für den Betrieb des europäischen Columbus-Labors beteiligt sind, vermissen methodische Hilfsmittel für die Gestaltung eines effektiven und effizienten Servicemanagements und serviceorientierter Prozesse für den Betrieb bemannter Raumfahrtsysteme.
Um die in der Zukunft noch stärker fortschreitende Industrialisierung und Kommerzialisierung der bemannten Raumfahrt zu unterstützen sowie den Service für den Betrieb bemannter Raumfahrtsysteme für Industrieunternehmen zu einem lukrativen Geschäft zu machen und gleichzeitig die derzeit hohen Kosten für den Service zu reduzieren, müssen neue Methoden und Werkzeuge entwickelt werden, mit deren Hilfe der Service für Betrieb und Nutzung bemannter Raumfahrtsysteme in den Raumfahrtunternehmen effektiv und effizient organisiert und gemanagt werden kann. Dies ist alleine schon aus Kostengründen notwendig, wie das Beispiel des Columbus-Labors zeigt: Die ESA will ihre Ausgaben für Betrieb und Nutzung von Columbus bis 2016 um 30 % senken. CHR. FORSTER/E. WESTKÄMPER
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