Im Weltraum werden die Kosten drastisch gesenkt
Mitte dieses Monats ist das europäische Forschungslabor Columbus fünf Jahre im All – als Teil der Internationalen Raumstation lSS. Bis 2020 sollen Wissenschaftler dort noch forschen können. Wie aber geht es weiter? Technisch könnte Columbus noch bis 2028 im Weltraum bleiben – entscheidend sind die Kosten: Die will das Industriekonsortium, das Betrieb und Nutzung von Columbus managt, auch in den nächsten Jahren weiter senken.
Es ist schon eng auf der Internationalen Raumstation (ISS), aber manchmal wird es noch enger. Im März vergangenen Jahres musste die sechsköpfige Besatzung der ISS – unter ihnen der ESA-Astronaut Andre Kuipers – Zuflucht in den beiden an der ISS angedockten Soyus-Rückkehr-Kapseln suchen, weil Trümmer eines russischen Satelliten der ISS gefährlich nahe kamen. Doch alles ging gut, der Weltraumschrott flog an der Station vorbei.
Ereignisse wie diese sind selten. Dennoch sind sie Teil immer wieder geübter Routinen an Bord der ISS. In der Regel jedoch ist die Arbeit an Bord der ISS und des europäischen Weltraumlabors Columbus von langfristig festgelegten Arbeitsabläufen geprägt.
Hinter diesen Trainings- und Arbeitsabläufen steckt ein komplexes Management mit vor allem einem Ziel: die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der ISS und ihrer Forschungseinrichtungen zu garantieren – und das zu sinkenden Kosten.
Die ISS besteht aus russischen, amerikanischen und kanadischen Elementen, Japaner und Europäer haben zwei große Labors geliefert. Für Instandhaltung und Service ihrer ISS-Elemente sind die Herkunftsländer verantwortlich.
Aber nur die Europäer, so Helmut Luttmann, „haben das Management ihrer Raumstationselemente einem industriellen Konsortium übertragen“. Luttmann ist bei der EADS-Tochter Astrium in Bremen zuständig für Betrieb und Nutzung der europäischen Elemente der Raumstation, insbesondere des Columbus-Labors.
Auftraggeber des von Astrium geleiteten und aus fast 40 Unternehmen bestehenden Konsortiums ist die europäische Weltraumagentur ESA. Im Rahmen der Verträge ist das Konsortium zuständig für sämtliche Dienstleistungen zum Betrieb der europäischen Anteile der Raumstation.
Dazu gehören Missionsvorbereitung und -durchführung, die Experimente an Bord der Station und deren Vorbereitung am Boden. Hinzu kommen die Wartung von Columbus, die Betreuung der Bodenstationen, die Astronautenausbildung sowie die Sicherstellung des Datentransfers von der ISS zur Erde und die Logistik.
Astrium hat diese Aufgaben 2004 übernommen. Als im Februar 2008 Columbus dann zur ISS transportiert wurde, wurden die Verträge neu verhandelt, zumal zum Service von Columbus noch das Management des europäischen Raumtransportes ATV hinzukam.
Dieses ganze Service-Paket steht unter einem enormen Kostendruck. Als Columbus die ersten Jahre im All war, lagen die jährlichen Betriebs- und Nutzungskosten bei gut 400 Mio. €, mittlerweile liegen sie bei 100 Mio. € und ab 2016 werden sie auf gut 70 Mio. € sinken.
Wäre das nicht gelungen, hätten die ESA-Mitgliedsländer wohl kaum ihre Zustimmung zu der Verlängerung der Nutzung von Columbus über 2015 hinaus bis 2020 erteilt.
Um dieses Ziel zu erreichen, wird an vielen Stellschrauben gedreht: „Die Logistikkosten, also die Versorgung der Station mit dem ATV, waren immer verhältnismäßig hoch, die eigentlichen Betriebskosten eher moderat“, so Luttmann. Der letzte ATV aber wird 2014 zur Station fliegen, dann ist Schluss – was die Kosten senkt.
Aber auch bei jedem noch so kleinen Bauteil oder Ausrüstungsgegenstand von Columbus wird immer wieder nach Optimierungsmöglichkeiten gesucht. So war in den ersten Jahren von Columbus etwa die Lebenszeit der Luftfilter sehr konservativ berechnet, die Filter wurden sogar erneuert, wenn sie noch nicht verschmutzt waren. Also wurden Tests und Simulationen durchgeführt und dann die Einsatzzeit der Filter verlängert. Das spart nicht nur Filter, sondern auch wertvolle Arbeitszeit der Astronauten, die die Filter wechseln mussten. Ähnlich bei einzelnen Sensoren, die in Columbus weniger verschmutzten als erwartet. „Wir entwickeln kontinuierlich solche neuen Routinen, um die Kosten von Betrieb und Nutzung zu senken“, erklärt Luttmann.
Auch im Columbus-Labor werden kontinuierlich sparsamere Verfahren entwickelt, um eine steigende Anzahl von Experimenten zu möglichst geringen Kosten abzuwickeln. Über 800 Experimente sind bisher an Bord der Station gelaufen, ein Drittel kam von europäischen Wissenschaftlern, davon an die 100 von deutschen.
Auch kritische Routinen werden immer wieder überprüft und in integrierten Simulationen am Boden und an Bord der Station geübt – so wie das Evakuieren der Station, wenn sich ein Stück Weltraumschrott gefährlich nähert.
Gespart wird auch, indem bei Laptops oder Kameras normale Standardgeräte eingekauft werden und keine Spezialanfertigungen. Immerhin wurden in den vergangenen fünf Jahren gut 80 % aller Laptops an Bord von Columbus mindestens einmal ersetzt. Gebootet werden die Rechner nicht mehr in der Station, sondern vom Boden aus. Auch das spart Arbeitszeit von Astronauten.
Die Miniaturisierung vieler Geräte führte dazu, dass es preiswerter wurde, sie an Bord zu bringen, da sie weniger wiegen und kleiner sind. Flogen vor Jahren noch analoge Videokameras mit Bändern zur ISS, haben sie heute solid-state-Speicher und sind kaum halb so groß. Eine solche Entwicklung kann an anderer Stelle neue Anforderungen schaffen: Der Datenverkehr von und zu Columbus steigt an.
„Was wir durch Kostensenkungen einsparen“, so Luttmann, „investieren wir wieder in neue Verbesserungen.“ Doch es geht nicht allein um die Optimierung der Arbeit im Weltraum, sondern auch am Boden: Das Konsortium um Astrium koordiniert auch die neun europäischen User Support and Operations Center, in denen Forscher aus Wissenschaft und Industrie ihre Experimente für die ISS und Columbus vorbereiten können. Zudem bildet es die europäischen Astronauten am Europäischen Astronautenzentrum in Köln aus, unterstützt von Spezialisten der Lufthansa.
In dem Konsortium sind gut 400 Menschen mit Betrieb und Nutzung von Columbus und einer Reihe von europäischen Experimenten in anderen Stationselementen beschäftigt. Ihre Erfahrungen fließen in regelmäßige „Continous Improvement Reports“ ein. Dazu kommen gemeinsame Berichte der Astronauten über ihre Erfahrungen mit Columbus. „Bemängelt einer der Astronauten bestimmte Prozeduren, wird sofort etwas geändert“, so Luttmann. Ergänzt werden diese Berichte durch Untersuchungen von externen Einrichtungen, die etwa die Wasserqualität an Bord von Columbus und der ISS analysieren oder die Managementstrukturen des Konsortiums selbst. Schließlich gibt es regelmäßige Treffen der internationalen Stationspartner zu besonderen Themen, etwa zur IT-Infrastruktur oder der Wasserqualität an Bord.
Zweimal im Jahr berichtet das Konsortium an seinen Auftraggeber, die ESA. Dabei werden die erreichten Ziele mit dem Pflichtenheft der ESA abgeglichen. Hat das Konsortium die gesteckten Ziele erreicht, fließen die ESA-Mittel wie geplant. „Es kann aber auch vorkommen“, so Luttmann, „dass einzelne Ziele nicht erreicht werden.“ Dann kann die ESA Mittel zurückhalten.
Für Luttmann ist dieses Modell des industriellen Managements von Betrieb und Nutzung des europäischen Weltraumlabors Columbus die richtige Lösung: „Es schafft Transparenz bei den Kostenstrukturen.“ Auch die Japaner interessieren sich für das europäische Modell.
Was aber kommt nach Columbus? Wie es derzeit aussieht, vermutlich: mehr Columbus. Nach einer Untersuchung von Astrium ist es durchaus möglich, das Weltraumlabor noch bis zum Jahr 2028 zu betreiben. „Columbus ist modular aufgebaut, man kann das Innenleben komplett austauschen“, so Luttmann.
Entscheidend, vermutet Thomas Reiter, Ex-Astronaut mit 166 Tagen auf der ISS und Chef des europäischen Raumflugkontrollzentrums ESOC in Darmstadt, aber dürfte sein, „wie sich die Betriebskosten für die Raumstation und Columbus entwickeln“.
Da aber, glaubt Luttmann, „ist noch einiges möglich“. Auch Reiter geht davon aus, „dass das absolute Minimum noch nicht erreicht ist“.
Offen ist aber auch, was sich die wissenschaftliche Community wünscht. Deren Interessen, vermutet Reiter, werden für die Ausgestaltung eines Nachfolgeszenarios für Columbus entscheidend sein.
Das aber kann auch bedeuten, dass Menschen an Bord einer Forschungsstation nicht mehr interessant sind. So sind für Experimente aus dem Bereich der Materialforschung oder der Kristallisation von Proteinen lange Phasen von Schwerelosigkeit gefragt, die nicht durch die Präsenz von Astronauten in der Station beeinträchtigt sein sollten.
Gemeinsam mit den Russen hat die ESA deshalb schon im vergangenen Jahr die Möglichkeit eines frei im All fliegenden, unbemannten Labors untersucht. Basis des Labors wäre die in Deutschland mitentwickelte Technik des europäischen Raumtransporters ATV. Dessen wichtigstes Merkmal ist, dass er selbstständig automatisch an der ISS andocken kann. Ein freifliegendes Labor mit ATV-Technik könnte so mit automatisierten Experimenten an Bord lange Phasen frei durch den Weltraum fliegen. Zur Wartung würde es dann selbstständig an der Station andocken. W. MOCK
Ein Beitrag von: