Jetzt sollen ‚Sonnendetektive‘ historische Sonnenflecke entschlüsseln
Angelo Secchis Sonnenbeobachtungen aus dem 19. Jahrhundert bieten eine einzigartige Sammlung historischer Sonnenfleckenzeichnungen. Durch die Teilnahme von „Sonnendetektiven“ wird diese Schatztruhe entschlüsselt, um mehr über die vergangene Sonnenaktivität zu erfahren.
Ein kooperatives Forschungsprojekt zwischen dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen und dem Nationalen Institut für Astrophysik (INAF) in Italien ruft engagierte Amateurforscher*innen zur Unterstützung auf, um Abertausende von Sonnenflecken in historischen Zeichnungen der Sonne zu identifizieren.
Die Geschichte der Sonnenflecken
Historische Beobachtungen der Sonne und ihrer Flecken reichen bis in antike Zeiten zurück. Schon in der Zeit der alten Griechen und Chinesen wurden Sonnenflecken dokumentiert, jedoch ohne das volle Verständnis ihrer Natur. Erst im 17. Jahrhundert, als die Teleskope verbessert wurden, begannen Wissenschaftler wie Galileo Galilei, die Flecken systematisch zu beobachten. Die Entdeckung, dass Sonnenflecken einem periodischen Zyklus folgen, wurde im 19. Jahrhundert gemacht. Diese historischen Aufzeichnungen spielen eine entscheidende Rolle in unserem Verständnis der solaren Aktivität und ihrer Auswirkungen auf das Erdklima sowie in der Vorhersage von Weltraumwetterereignissen.
Sonnenflecken sind dunkle, kühle Bereiche auf der Oberfläche der Sonne, die durch starke Magnetfelder verursacht werden. Diese Flecken sind im Vergleich zur umgebenden Sonnenoberfläche kühler, was dazu führt, dass sie dunkler erscheinen. Sie treten in Gruppen auf und können von der Erde aus mit Teleskopen beobachtet werden.
95 Prozent aller Sonnenflecken bestehen weniger als 11 Tage lang, obwohl es Fleckengruppen gibt, die über mehrere Sonnenrotationen hinweg sichtbar sind und eine Lebensdauer von ungefähr 100 Tagen erreichen können. Während dieser Zeit durchlaufen sie charakteristische Entwicklungsstadien, die unter anderem von M. Waldmeier klassifiziert wurden (Züricher Fleckenklassifikation).
Angelo Secchis Sonnenbeobachtungen: Eine historische Schatztruhe für die Sonnenforschung
Im späten 19. Jahrhundert entstand in Rom eine bemerkenswerte Sammlung von Sonnenbeobachtungsdaten. Über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten beobachteten der Jesuitenpater und Astronom Angelo Secchi, seine Mitarbeiter und Assistenten regelmäßig die Sonne vom neu errichteten Observatorium der Jesuitenschule Collegio Romano auf dem Dach der Kirche Sant‘Ignazio aus. Ihre Beobachtungen wurden fast täglich in Bleistiftzeichnungen festgehalten, auf denen sie mit präzisen Strichen die Größe, Form und Position aller dunklen Flecken markierten, die sie durch ihre Teleskope erkennen konnten. Seit dem vergangenen Jahr wurden die mehr als 5400 Zeichnungen, die dem italienischen Nationalen Institut für Astrophysik (INAF) gehören und im Astronomischen Observatorium Rom aufbewahrt werden, vollständig digitalisiert und stehen somit für die Forschung zur Verfügung. Die Auswertung dieses umfangreichen Materials stellt eine immense Herausforderung dar. Aus diesem Grund setzen Forscher*innen des MPS und des INAF auf die Unterstützung der Citizen Science Plattform Zooniverse.
Angelo Secchi, ein Jesuit und passionierter Wissenschaftler, war tief fasziniert von den Geheimnissen der Sonne. Von 1853 bis 1878 widmete er sich täglich der fesselnden Aufgabe, die Sonne zu beobachten, sobald es das Wetter erlaubte. Dabei dokumentierte er in zahlreichen Zeichnungen dunkle Flecken auf der Sonnenoberfläche, die als Sonnenflecken bekannt sind. Diese Zeichnungen bilden heute die Grundlage für ein Projekt, das darauf abzielt, die Anzahl der Sonnenflecken in jeder von Secchis Zeichnungen zu extrahieren. Dieser wertvolle Beitrag zur Sonnenforschung zeigt die Hingabe eines Wissenschaftlers, der sein Leben der Erforschung des Universums widmete.
„Sonnenfleck-Detektive“ gesucht
Die Zeichnungen wurden zwischen 1853 und 1878 von dem Astronomen Angelo Secchi und seinem Team erstellt und bieten einen reichen Datensatz zur Sonnenaktivität im 19. Jahrhundert. Durch die Analyse dieser historischen Aufzeichnungen könnte man ein besseres Verständnis dafür entwickeln, wie aktiv die Sonne in der Vergangenheit war und welche Auswirkungen dies auf zukünftige Ereignisse haben könnte. Das Projekt „Sunspot Detectives“ wurde auf der Citizen Science Plattform Zooniverse gestartet.
„Wenn wir heute auf die Sonne schauen, sehen wir nur eine Momentaufnahme, einen winzigen Ausschnitt in ihrem schon 4,6 Milliarden Jahre währenden Leben“, sagt Dr. Theodosios Chatzistergos vom MPS. Er hat das Zooniverse-Projekt „Sonnenfleck-Detektive“ gestartet. „Erst ein Blick zurück in die Geschichte der Sonne hilft uns einzuschätzen, zu welchem Verhalten unser Stern prinzipiell fähig ist – und was in Zukunft möglicherweise von ihm zu erwarten ist“, erklärt er weiter.
Ab sofort stehen auf der Zooniverse-Plattform mehr als 15.000 Bilder zur Verfügung, die Ausschnitte aus historischen Zeichnungen zeigen. Jeder Ausschnitt zeigt Gruppen eng benachbarter und oft recht kleiner Sonnenflecke. Die Forscher hoffen auf eine große Anzahl von Sonnenfleck-Detektiven. Um zuverlässige Daten zu erhalten, ist es wichtig, dass möglichst viele Laienforscher jeden Bildausschnitt bearbeiten. Die Bilder bleiben ein Jahr lang zugänglich.
Zooniverse ist eine Plattform für Forschungsprojekte, die die Mitarbeit von Laien, sogenannten Citizen Scientists, nutzen. Das Portal wird von der Citizen Science Alliance betrieben, einer Organisation, die Vertreter von sieben renommierten Forschungs- und Bildungseinrichtungen umfasst.
Sonnenflecke als die wichtigste historische Messgröße zur Sonnenaktivität
Die Sonne durchläuft Perioden unterschiedlicher Aktivität, die einem grob elfjährigen Zyklus folgen. In aktiven Phasen gibt es viele Sonnenflecken, Ausbrüche von Teilchen und Strahlung sowie verstärkten Sonnenwind. In ruhigen Phasen treten weniger Sonnenflecken auf und es gibt weniger Aktivität insgesamt.
In der „solaren Geschichtsforschung“ wird den Sonnenflecken daher eine zentrale Rolle zugeschrieben. Da sie sich schon mit einfachen Hilfsmitteln beobachten lassen, verfolgen Astronom*innen ihre Anzahl und Entwicklung seit mehr als vier Jahrhunderten. Chatzistergos erklärt, dass die Anzahl der Sonnenflecken die wichtigste historische Messgröße zur Sonnenaktivität der Neuzeit sei und weißt darauf hin, dass sie “ das einzige direkte Maß für die Aktivität unseres Sterns über die vergangenen vier Jahrhunderte“ darstellt. Die Sonnenfleckenzahl kann helfen, das Verhalten der Sonne über mehrere hundert Jahre zurückzuverfolgen und mit dem heutigen Zustand der Sonne zu vergleichen.
„Die Aufzeichnungen von Secchi und seinen Mitarbeitern sind die detailliertesten Daten über Sonnenflecken und andere ruhige und magnetische Regionen, die in diesem Zeitraum von der Sonnenoberfläche entstanden sind“, erklärt Dr. Illaria Ermolli vom INAF. „Zusätzlich zu den Informationen über die Position und die Fläche der Sonnenflecken enthalten viele Zeichnungen auch Daten über Sonnenfackeln, Spikulen und Protuberanzen sowie darüber, wie sich diese Regionen entwickelt haben. Zudem weisen Anmerkungen auf historische und natürliche Ereignisse hin, wie beispielsweise Feindseligkeiten in der Stadt und die Beobachtung spektakulärer Polarlichter“.
Das ist eine wichtige Aufgabe, denn solche Sonnenzeichnungen sind wie Zeitkapseln. Die Anzahl der Sonnenflecken in jeder Zeichnung zeigt, wie aktiv die Sonne an dem Tag war, als die Beobachtung stattfand! Daher hilft es, die Sonnenflecken in diesen alten Zeichnungen zu zählen, um mehr über das vergangene Verhalten der Sonne zu erfahren und wie sich ihre Aktivität im Laufe der Zeit verändern kann. Die Daten aus diesem Projekt werden in zukünftigen Studien zur internationalen Sonnenfleckenzahl verwendet, die eine wichtige Messgröße für die Sonnenaktivität ist.
Kann die KI die Daten besser auswerten?
Daraus ergibt sich die berechtigte Frage, warum nicht künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt wird. Schließlich ist KI in der Lage, große Datenmengen zu analysieren und Prozesse zu optimieren. „Um alle Sonnenflecken zu identifizieren, braucht es einen sorgfältigen und vor allem menschlichen Blick auf jede Zeichnung“, erklärt Chatzistergos. Versuche, diese Aufgabe durch automatisierte Prozesse zu erleichtern, erwiesen sich als unbefriedigend.
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