Piloten-Ausbildung im Flugsimulator
In Flugsimulatoren trainieren Piloten für den Alltag in echten Flugzeugen. Am Computer spielen Hunderttausende tagtäglich Flüge in alle Welt nach. Besuch in einem Simulator- Cockpit, das in Berlin beide Welten miteinander verbindet.
Pilot Maik Schindler sitzt auf dem Copilotensitz. Er trägt eine waschechte Pilotenuniform und betätigt in beeindruckender Geschwindigkeit diverse Schalter und Knöpfe. Plötzlich rumpelt es unter dem Boden. Das Fahrwerk wird ausgefahren. „Etwas höher, aber nicht zu viel!“, warnt Schindler, „sonst krachen wir in die Hochhäuser.“ Ich ziehe leicht am Steuerhorn und die Boeing hebt die Nase. „Rechtskurve, 15 Grad.“
Schindlers Kommandos sind knapp und schnell. Kein Wunder: Wenige Sekunden entscheiden, ob der Anflug gelingt oder nicht. Leicht bewege ich das Steuerhorn nach rechts und wie ein nasser Sack dreht sich die Boeing gemächlich in der Luft. Von einer Sekunde zur nächsten reißt plötzlich die eben noch das Sichtfeld ausfüllende Skyline von Hongkong ab und die Landbahn wird sichtbar – einer der schwierigsten Anflüge der Welt. „Nase runter, aber nicht zu stark“, sagt Schindler. Wenige Momente später setzt die Boeing 737-700 sanft auf der Landebahn auf. Warnsignale ertönen, Schindler kümmert sich um Landeklappen und Landelichter.
Mit dem Flugsimulator auf dem Flughafen Kai Tak landen
Es ist ein Landeanflug, der eigentlich nicht mehr möglich ist – der Flughafen von Kai Tak wurde 1998 geschlossen, der Flugbetrieb wechselte auf den Flughafen Chek Lap Kok, außerhalb des Stadtzentrums. Nur ältere Flugkapitäne können sich heute noch daran erinnern, welche schweißtreibenden Minuten sie bei der Landung in Kai Tak durchmachten. Wenige Meter über den Dächern der Stadt mussten sie die größten Maschinen auf die Landebahn bringen – so tief, dass Passagiere oft behaupteten, durch die Fenster der umliegenden Häuser das Fernsehprogramm erkannt zu haben.
Schindler schaltet das Taxilight ein, ein Licht, das zum Rollen auf dem Flughafen genutzt wird. „Für einen der schwierigsten Anflüge der Welt war das in Ordnung“, sagt er anerkennend und beendet mit ein paar Klicks auf seinem iPad die Flugstunde. Vor dem Cockpitfenster erlöschen alle Lichter, zurück bleibt eine vier Meter hohe graue Leinwand. Die Wirklichkeit hat uns wieder. Nichts von dem Anflug war real – Beamer haben die Bilder bei dem simulierten Anflug auf die Leinwand projiziert.
Maik Schindler ist im echten Leben Pilot einer Gulfstream. Doch in seiner Freizeit betreibt er im Berliner Stadtteil Wedding mit einer Handvoll Gleichgesinnter, die sich unter dem Namen ,Flugsimulator Berlin‘ zusammengeschlossen haben, einen waschechten Simulator – die abgespeckte Version eines sogenannten „Full-Flight-Simulators“, wie sie die großen Fluggesellschaften betreiben und auf denen sie ihre Piloten schulen.
Im Kern besteht der Simulator der Flugenthusiasten um Schindler aus dem Cockpit einer alten, als Frachtflugzeug eingesetzten Boeing 707. Das Cockpit kam nach einem Unfall des Flugzeugs über viele Umwege und Modifikationen nach Berlin. In deren Verlauf rüstete einer der Eigner das Cockpit zu dem einer 737 um. Ende 2008 übernahm das Unternehmen ,Flugsimulator Berlin‘ das Cockpit und baute es im Erdgeschoss eines unauffälligen Geschäftshauses in Wedding auf.
Einziger Unterschied zu großen Simulatoren ist, dass diese auf einer Hydraulik montiert sind und damit auch die Bewegungen eines Flugzeuges simulieren – eine Technik, die außerhalb des Budgets von Schindler und seiner Truppe lag. Full-Flight-Simulatoren kosten schnell mal 20 Millionen Dollar.
Doch Schindler ist auch so zufrieden, bietet sein Flugsimulator sonst doch alles, was ein Cockpit haben muss.
„Jeder Schalter ist original an seinem Platz, jeder Knopf voll funktionsfähig und alles arbeitet wie in einer echten Boeing 737“, versichert er.
Mehr noch: Sämtliche Flugverfahren und Notfälle könnten in dem Berliner Simulator nachgestellt werden, 24.000 Flughäfen weltweit lassen sich – virtuell – anfliegen.
Teilhaber investieren 600.000 Euro in „Flugsimulator Berlin“
Rund 600.000 Euro wurden von drei Teilhabern der ,Flugsimulator Berlin‘ in das Projekt investiert. Doch der Simulator wäre nichts ohne die Begeisterung und die Energie, die die Truppe um Schindler in das Projekt steckt. Es ist eine kleine technische Meisterleistung, die die jungen Leute zusammengebaut haben. Pilot zu sein und eine ausgereifte Technik zu bedienen, ist das eine, diese Technik aber von Grund auf nachzubilden, das andere. „Avionik, Aerodynamik, die gesamte hinterlegte Systemlogik – unsere gesamte Technik entspricht dem der großen Simulatoren“, sagt Schindler.
Ohne Enthusiasten wie Christoph Paulus, Student der Luft- und Raumfahrttechnik, läuft deshalb nichts. Für Wartungsaufgaben an dem Simulator reist er regelmäßig nach Berlin. Der 23-Jährige hat die gesamte Systemlogik für den Flugsimulator programmiert – also die Prozeduren, die im Hintergrund ablaufen, wenn irgendwo ein Schalter umgelegt wird. Mehr noch: Paulus hat über den Flugsimulator seine Bachelor-Arbeit an der FH Aachen geschrieben. Orientiert hat er sich dabei an sogenannten F-COMs, den „Flight Crew Operation Manuals“. Hinzu kamen Originalhandbücher von Boeing und freie Internetquellen. „Meine Bachelor-Arbeit“, sagt Paulus stolz, und tätschelt die orangefarbene Außenhülle des Simulators.
Mit seiner Arbeit hat er auch an seiner Hochschule Aufmerksamkeit erregt.
„Immer wieder sprechen mich Professoren darauf an, wie es mit meinem Flugsimulator weitergeht“, sagt Paulus.
Dann verschwindet er unter einer der orangefarbenen Abdeckungen des Simulators, aus dem heraus dicke Kabelstränge zu drei klassischen Computern laufen, die vor der Nase des Simulators stehen. Unter der Abdeckung öffnet er mit einem Spezialschlüssel einen unscheinbaren kleinen Kasten und kontrolliert die dort verbauten Platinen und Lüfter. „Hiermit wird das Lichtkonzept in der Boeing gesteuert.“ Schließlich krabbelt er wieder aus den Eingeweiden des Flugsimulators hervor und übergibt an Chef-Piloten Maik Schindler.
Schindler stellt die Maschine per iPad auf den Flughafen von Kos in Griechenland ein. Einen Flug wollen wir noch machen. Mit ein paar Griffen, seine Hände fliegen über die unzähligen Schalter auf dem so genannten Overhead-Panel, das über den Köpfen der Piloten hängt, macht er die Maschine startbereit. Er fährt die Startklappen aus, stellt den örtlichen Luftdruck ein und dreht auf einem kleinen Rädchen die Kompassrichtung der Startbahn ein. „Diesmal probieren wir Start und Landung.“ Schon folgt der Befehl, die Schubhebel nach vorn zu drücken, als plötzlich für einen Sekundenbruchteil das gesamte Cockpit kurz aufflackert. „Kurzer Spannungsabfall“, erklärt Schindler trocken, „der kommt auch im echten Flugzeug vor. Kein Grund zu Beunruhigung.“
Ich schiebe also die Schubhebel nach vorn und das ganze Cockpit vibriert – dafür sorgen Bass-Shaker, die unter dem Boden der originalen Cockpithülle montiert sind. Dann ziehe ich am Steuerhorn und das Flugzeug steigt in den Himmel, die ganze Apparatur vibriert. „Viel zu steil“, tadelt Schindler, der die Instrumente überwacht.
Diese Instrumente sind keine Originale, sondern bestehen aus Bausätzen, die es für sogenannte Homecockpit-Bauer in diversen Online-Shops zu kaufen gibt. In ihren Funktionen stehen sie dem Original allerdings in nichts nach. In Tausenden von Stunden hat die Berliner Truppe um Schindler diese Module angepasst und eingebaut.
Wie mit dem echten Flugzeug: Fliegen mit dem Flugsimulator
Wie im echten Flugzeug werden auf dem „Primary Flight Display“, dem wichtigsten Bildschirm im Cockpit, nun unter anderem Geschwindigkeit, Steigrate und Höhe angezeigt. Damit das naturgetreu möglich ist, müssen eine Vielzahl Variablen berechnet und zueinander in Beziehung gesetzt werden – möglich macht dies eine Software, die von den Cockpitbauern wie Christoph Paulus ebenfalls selbst geschrieben wurde.
Draußen vor dem Simulator summen die drei Rechner – einer für die Aerodynamik, einer fürs Wettergeschehen und ein dritter für Bilddarstellung auf der 180-Grad-Leinwand vor dem Cockpit. „Vor einigen Jahren brauchten wir noch sieben Computer, um alle Daten erfassen und berechnen zu können, jetzt sind es nur noch drei. Daran erkennt man direkt den Computerfortschritt, denn es gibt kaum etwas Komplizierteres als Flugsimulation“, erklärt Schindler, nachdem wir die Platzrundenhöhe erreicht haben. Aus dem Cockpitfenster ist nun das blaue Wasser der Ägäis zu erkennen. Fein, aber sonor, summen hinter uns die beiden virtuellen Triebwerke. Doch Zeit zum Verschnaufen bleibt nicht, weil kurz darauf wieder der Sinkflug eingeleitet werden muss.
Ich versuche, alles so korrekt wie möglich zu machen, doch Schindler ist nicht zufrieden: Mal bin ich zu hoch, dann wieder zu schnell – und spätestens als der Flughafen von Kos näher kommt und die Maschine weiter absinkt, merkt man dann doch, dass es sich „nur“ um eine Simulation handelt, denn der Unterschied zur Realität wird schnell deutlich: Die Umgebung ist merklich als Computergrafik zu erkennen.
Das soll sich bald ändern. Bislang arbeiten die Berliner bei der Darstellung der Umgebung mit „Prepar3D“, einer Weiterentwicklung des FSX, des Flugsimulators von Microsoft, mit dem Tausende Hobby-Piloten daheim am Monitor Flüge nachfliegen. „Wir wollen bald umstellen auf X-Plane“, sagt Schindler – nicht nur sei die Landschaftsdarstellung genauer, auch habe diese Software die sogenannte FAA-Zulassung – damit könnte das Team von ,Flugsimulator Berlin‘ echte Flugverfahren trainieren. „Wir wollen so eine Zulassung“, sagt Schindler, „dann können Fluggesellschaften ihre Piloten zu uns schicken und bei uns zertifizierte Ausbildungsabschnitte trainieren.“ Wie zur Bestätigung, setzt in diesem Moment die Maschine sanft auf der Landebahn auf.
Ein Beitrag von: