Medizinische Versorgung im All: Houston, wir haben eine Thrombose
Elon Musks Ziel, Menschen eines Tages zum Mars zu fliegen, ist nicht nur mit technischen Herausforderungen verbunden. Erfahrungen von der Internationalen Raumstation ISS zeigen: Auch die medizinische Versorgung muss besser werden.
Dass Astronauten erkranken oder verunfallen, ist eine der großen Sorgen bei allen Weltraummissionen. Durch Zufall wurde im Rahmen medizinischer Experimente bei einem Crewmitglied der Internationalen Raumstation ISS ein neu entstandenes Blutgerinnsel entdeckt. Der Fallbericht zeigt, welche Schwierigkeiten es bei der medizinischen Versorgung gibt – und was sich vor einer künftigen Marsmission ändern müsste.
Ultraschall-Experiment mit überraschendem Ergebnis
Zum Hintergrund: Ziel des Experiments war, Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf wichtige Körperfunktionen zu erforschen. Die Besatzung untersuchte mit einem Ultraschallgerät verschiedene Blutgefäße – und man entdeckte ein Blutgerinnsel bei einer Vene im Halsbereich. Zu diesem Zeitpunkt war die Crew rund zwei Monate im All. Bei Tests am Boden war noch alles in Ordnung. Blutgerinnsel können sich lösen und wichtige Blutgefäße verstopfen. Dann droht Lebensgefahr. Was kann man 400.000 Meter über der Erde in solchen Situationen tun?
Bei jeder Mission sind Crew Medical Officers an Bord. Sie sind Piloten und Naturwissenschaftler, aber keine Ärzte. Bei speziellen Trainings haben sie gelernt, Wunden zu nähen, Medikamente aus der Bordapotheke zu verabreichen oder sonstige leichte Eingriffe durchzuführen. Ihnen stehen zahlreiche Medikamente, Verbandsmaterial, ein Stethoskop, ein Ultraschallgerät, ein Defibrillator und weitere Hilfsmittel zur Verfügung.
Die ISS – für viele Notfälle ausgestattet
Die pharmazeutische Ausstattung orientiert sich an jahrelangen Erfahrungswerten. Auf dem Weg zur Raumstation ist Übelkeit ein häufiges Leiden. Dagegen hilft Scopolamin: eine Substanz, die müde macht. Dextroamphetamin wiederum beseitigt diese Nebenwirkung. An Bord der ISS verschwinden diese Beschwerden meist wieder.
Dafür leiden viele Astronauten an Schmerzen. Ihr Körper dehnt sich aufgrund der fehlenden Gravitation um bis zu acht Zentimeter aus. Das beansprucht Nerven und Muskeln gleichermaßen. Auch beim Start und bei der Landung wirken große Kräfte. Schmerzmittel gehören deshalb mit zur Grundausstattung von Raumflügen. Und Trainings sollen verhindern, dass sich Knochen beziehungsweise Muskeln abbauen.
Mit an Bord sind auch Schlaftabletten. Denn manche Astronauten nehmen bei geschlossenen Augen bläuliche Lichterscheinungen wahr, die wohl von hochenergetischen Teilchen herrühren. Die schützende Atmosphäre der Erde fehlt.
Doch zurück zum medizinischen Notfall. An Bord befanden sich 20 Ampullen mit Enoxaparin. Das Arzneimittel wird zur Behandlung oder Vorbeugung von Blutgerinnseln verwendet, kann aber selbst zu schweren Blutungen führen. Ein Gegenmittel fehlte in der Bordapotheke. Und aus Kostengründen standen nur drei Liter Infusionslösung zur Verfügung. Jedes Kilogramm im All kostet Geld.
Rücktransport oder Behandlung?
Ärzte der Bodenstation kontaktierten einen erfahrenen Venenspezialisten, um zu entscheiden, welche Strategie sich eignet. An der ISS sind immer Sojus-Kapseln wie die MS-12 und MS-13 angedockt, um Astronauten im Notfall zu evakuieren. Vom Weltraum bis ins Krankenhaus vergehen theoretisch nur sechs Stunden. Was dagegen sprach, war die Sorge, dass extremen Gravitationskräfte beim Rückflug das Blutgerinnsel lockern könnten – und es zu einem Gefäßverschluss kommt.
Nun schien Abwarten auch keine Option zu sein. Der Astronaut begann, sich auf ärztlichen Rat hin selbst Enoxaparin zu spritzen. Jede Injektion wird aufgrund der fehlenden Schwerkraft zur Herausforderung, denn Flüssigkeiten verhalten sich anders als gewohnt.
Genau 42 Tage nach der Diagnose kam per Versorgungskapsel das besser geeignete Medikament Apixaban zur ISS. Es lässt sich schlucken und muss nicht gespritzt werden. Das Blutgerinnsel wurde laut Ultraschallaufnahmen zwar kleiner, verschwand aber nicht. Vier Tage vor dem geplanten Rückflug setzte der Patient seine Medikation nach ärztlichem Rat ab. Zehn Tage nach der Landung war das Blutgerinnsel komplett verschwunden. Die Forscher hatten ein neues Risiko bei Raumfahrten entdeckt – wenn auch nur per Zufall.
Auf dem Weg zum Mars
Nun ist die ISS vergleichbar nah an der Erde, und Versorgungsflüge beziehungsweise Rückholaktionen sind möglich. Anders ist die Lage bei einem Flug zum Mars. Berechnungen gehen bei vertretbarem Energieaufwand von 450 bis 490 Tagen Reisedauer aus. Basis ist der Hohmann-Transfer, ein energetisch günstiger Übergang zwischen zwei Bahnen. SpaceX-Chef Elon Musk will es pro Weg in 80 bis 150 Tagen schaffen, was mit deutlich mehr Energieaufwand möglich wäre.
Unabhängig von verschiedenen Zahlen ist die Herausforderung gleich: Während der gesamten Reisezeit ist das Team medizinisch auf sich allein gestellt. Selbst ein Funksignal zur Bodenstation, um die Crew zu beraten, braucht bis zu 20 Minuten.
Der Erfolg einer Marsmission hängt nicht nur an technischen, sondern auch an medizinischen Fragestellungen. Zum einen müssten umfassend ausgebildete Ärzte Teil der Besatzung sein. Zum anderen ist das Equipment zu überdenken. Im schlimmsten Fall müssen vielleicht sogar chirurgische Eingriffe durchgeführt werden. Darüber hinaus braucht man Langzeittherapien gegen den Knochenschwund (Osteoporose) und bessere Maßnahmen gegen die kosmische Strahlung. Auch über psychische Belastungen sollte nachgedacht werden. Der enge Kontakt mehrerer Menschen kann zu Spannungen führen: ein Phänomen, das man von Polarforschungsstationen kennt.
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