Satelliten im All: Neues Radar für präzisere Radarerfassung in Europa geht in Betrieb
LeoLabs hat das neue Space Radar auf den Azoren erfolgreich in Betrieb genommen. Das leistungsstarke Weltraumradar ermöglicht eine präzisere Überwachung des niedrigen Erdorbits in Europa.
Immer mehr Unternehmen wollen ins All, und die Anzahl der Satelliten, die sich in der Umlaufbahn befinden, steigt täglich. Dieser aktive Betrieb erhöht auch das Risiko von Kollisionen mit anderen Satelliten oder Weltraumschrott. Diese Kollisionen sind keineswegs harmlos, da sie oft Kettenreaktionen auslösen können. Zum Beispiel können Trümmerstücke der kollidierten Objekte wiederum andere Objekte beschädigen.
Das LeoLabs Azores Space Radar wurde auf der Insel Santa Maria in den Azoren in Betrieb genommen. LeoLabs ist ein führender kommerzieller Anbieter von Dienstleistungen rund um das Weltraumbewusstsein (Space Domain Awareness, SDA) und die Überwachung niedriger Erdumlaufbahnen (Low Earth Orbit – LEO*). Das LeoLabs Azores Space Radar soll nun die Radarabdeckung in Europa verbessern und regionale und nationale Verpflichtungen in den Bereichen Sicherheit, Schutz und Nachhaltigkeit im Weltraum unterstützen. Aus diesem Anlass sprechen wir heute mit CEO von LeoLabs Dan Ceperley.
Dan Ceperley ist CEO und Mitgründer von LeoLabs. Bevor er LeoLabs gründete, war er bei SRI International tätig, einem gemeinnützigen Forschungslabor. Dort war er Program Director für Weltraumschrott-Tracking, stellvertretender Director des Oceans and Space Systems Center und Betreuer für das Allen Telescope Array (eine Radioastronomieanlage in Nordkalifornien). Ceperley begann seine Laufbahn in der Raumfahrtindustrie mit der Mitarbeit an der Entwicklung des Terrestrial Planet Finder Coronagraph (TPF-C) als Teil eines Forschungsprogramms zur Unterstützung der Jet Propulsion Laboratory (JPL).
Sicherheit und Transparenz im Weltraum verbessern
Herr Ceperley, können Sie näher erläutern, wie LeoLabs die Sicherheit und Transparenz im Weltraum verbessert?
Die Anzahl der Objekte in der erdnahen Umlaufbahn (Low Earth Orbit oder LEO) wächst rasant. Im Jahr 2022 gab es einen Nettoanstieg von etwa 2.500 Objekten – das ist viermal so viel wie der jährliche Durchschnitt der letzten 15 Jahre. Während der größte Teil dieses Anstiegs auf Satelliten entfällt, sind circa 70 Prozent der Objekte im LEO Weltraumschrott. Neben diesem Anstieg ist auch die Massenakkumulation eine wichtige Komponente bei der Bewertung des künftigen Trümmerpotenzials.
Um die Sicherheit von Raumfahrzeugen und Satelliten in der erdnahen Umlaufbahn zu gewährleisten, müssen wir den gesamten Lebenszyklus von Objekten berücksichtigen. Dieser beginnt bei der Entwicklung und Herstellung, geht über den Start, den Betrieb in der Umlaufbahn und endet schließlich mit der Ausmusterung und Beseitigung.
Bei LeoLabs haben wir eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen entwickelt, die auf diesen Lebenszyklus ausgerichtet sind. Unser Radarnetzwerk scannt kontinuierlich den LEO ab, spezifische Software wertet dann automatisch diese Informationen aus. So entsteht eine nahezu in Echtzeit aktualisierte Karte des LEO. Da wir den Weltraumverkehr konstant beobachten, können wir Manöver überwachen, ungewöhnliche Ereignisse charakterisieren und Satellitenbetreiber vor potenziell bedrohlichem Verhalten von Objekten warnen. Außerdem sind wir in der Lage, Weltraumschrott zu verfolgen und die statistisch gesehen gefährlichsten Objekte, wie übrig gebliebene Raketenkörper, in Bezug auf das Kollisionsrisiko zu identifizieren. So können wir auch bei Technologien und Missionen zur aktiven Beseitigung von Weltraumschrott helfen.
Wie viele Satelliten befinden sich derzeit in der Umlaufbahn und wie werden sie vom LeoLabs-Netzwerk erfasst?
Wir verfolgen derzeit rund 65 Prozent der katalogisierten Objekte im LEO, die mindestens einmal pro Tag einen Radarstandort überfliegen. Katalogisierte Objekte sind operative Objekte, also Satelliten, und nicht-operative Objekte, also Weltraumschrott. Insgesamt sind es mehr als 20.000 (Stand April 2023).
LeoLabs Radare arbeiten mit Funkfrequenzen. Sie senden Radiowellen in den niedrigen Erdorbit bis diese Wellen ein Objekt wie Satelliten, Raketenkörper oder Trümmer erreichen. Wenn eine einzelne Funkwelle auf ein Objekt trifft, wird sie vom Objekt reflektiert und kehrt zum Empfänger in der Bodenstation zurück.
Diese Rohdaten, einschließlich des Standorts und der Flugbahn des Objekts, werden an der Bodenstation des Radarstandorts erfasst. Dort werden sie in einem Datenzentrum vor Ort verarbeitet und über das Highspeed Internet zur Analyse an LeoLabs übermittelt. Von hier aus werden die Daten in unsere Analyseprodukte integriert. Über eine webbasierte API und die LeoLabs Vertex Platform erhalten unsere Kunden sogenannte Conjunction Data Messages (deutsch: Koinzidenzdatenmeldungen) und Bahnänderungsereignisse. Die Plattform ist für unsere Kunden, darunter kommerzielle Satellitenbetreiber, staatliche Regulierungsbehörden und andere Bundesbehörden, weltweit zugänglich. Unsere Kunden nutzen diese Daten, um Entscheidungen bezüglich ihrer Satelliten zu treffen.
Kollisionen im Weltraum
Warum sind Kollisionen im Weltraum so gefährlich und was sind ihre möglichen Folgen?
Jedes Mal, wenn es im LEO zu einer Kollision oder Explosion kommt – vor allem in größeren Höhen – summieren sich die schädlichen Folgen. Die bei der Kollision entstandenen Trümmer verschwinden erst nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten aus der Umlaufbahn entfernt. Die bei Kollisionen entstehenden Trümmer stellen eine Gefahr für alle im LEO befindlichen Satelliten dar. Im November 2022 explodierte beispielsweise ein chinesischer CZ-6A-Raketenkörper in der kritischen Höhe von 800 bis 900 Kilometer. Die Trümmerteile erhöhten die Gesamtzahl der Trümmerfragmente im LEO, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Kollision in 830 Kilometer Höhe um 9 Prozent erhöhte. Seit der Explosion hat LeoLabs Koinzidenzen bzw. Zusammentreffen mit den entstandenen Trümmerfragmenten in einer Höhe zwischen 400 km und 1700 Kilometer beobachtet.
Auf der Grundlage unserer Daten und Analysen haben wir vier große Arten von Auflösungsereignissen im LEO identifiziert: Explosion geringer Intensität, Explosion hoher Intensität, katastrophale Hochgeschwindigkeitskollision und nicht katastrophale Kollisionen, die nicht mit Überschallgeschwindigkeit stattfinden.
Darüber hinaus gibt es viele potenziell missionsschädigende Kollisionsereignisse zwischen Satelliten und Trümmern, die zu klein sind, um derzeit erfasst zu werden.
Wie viele Objekte hat LeoLabs mit seinen Radargeräten entdeckt, und was waren die größten und kleinsten Objekte?
Derzeit verfolgen wir alle Objekte, die im öffentlichen Katalog der 18. US-Weltraumverteidigungsstaffel enthalten sind. Das sind etwa 20.000 Objekte. Fast alle von ihnen sind 10 Zentimeter oder größer. Wir arbeiten auch an der Katalogisierung und Verfolgung kleinerer Objekte unter 10 Zentimeter, die derzeit nicht erfasst sind. Unser derzeitiger Schwerpunkt liegt jedoch auf der Überwachung des bestehenden öffentlichen Katalogs mit höherer Frequenz und besserer Positionsgenauigkeit.
Kritische Lücke in der Abdeckung der Längengrade in Europa und Afrika
Warum wird das erste Radar auf europäischem Boden auf den Azoren gebaut, und was macht diesen Standort besonders geeignet?
Das Azores Space Radar (ASR) erweitert aufgrund seiner strategischen Lage im Atlantik unsere Möglichkeiten zur Verfolgung von Objekten im LEO. Das Radar schließt eine kritische Lücke in der Abdeckung der Längengrade in Europa und Afrika und erhöht die Häufigkeit der Beobachtungen. Schätzungsweise 96 Prozent der katalogisierten operativen Satelliten und des Weltraumschrotts werden von dem Radar erfasst. Der Standort ergänzt die anderen LeoLabs-Radarstandorte und ermöglicht noch häufigere Aktualisierungen und genauere Erkenntnisse über kritische Ereignisse wie Kollisionen, Auflösungen, Manöver und Starts. Das Azores Space Radar erweitert das globale Sensornetzwerk von LeoLabs und verbessert die Betriebsleistung und die permanente Verfolgung von Objekten.
Was war die größte Herausforderung beim Bau des Radars auf den Azoren?
Wir haben das Glück, mit großartigen und sehr hilfsbereiten Partnern vor Ort auf den Azoren zusammenzuarbeiten. Das Wetter hingegen war nicht ganz so kooperativ. Wir haben einen Großteil der Erdarbeiten wie das Gießen des Fundaments und des Tiefbaus im Winter durchgeführt, der auf den Azoren eine feuchte Jahreszeit ist. Wegen des Regens war es schwierig, einen festen Zeitplan einzuhalten. Aber es ist uns dennoch gelungen, den Bau der Radaranlage in einem vernünftigen Zeitrahmen abzuschließen.
Wie groß ist das globale Radarnetz von LeoLabs, und wo befinden sich die anderen Radare?
Ab Mai 2023 verfügen wir über zehn unabhängige Radare an sechs Standorten. Weitere Radare befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien in der nördlichen und südlichen Hemisphäre sowie in äquatorialen Regionen. Ein weiterer Standort ist in Tierra del Fuego, Argentinien im Aufbau und wird im Herbst 2023 online sein.
Welche Bedeutung hat das globale Radarnetz von LeoLabs für die Raumfahrtindustrie? Und wie hat es sich in den letzten Jahren entwickelt?
Mit einer Geschwindigkeit von 7,8 Kilometern pro Sekunde braucht ein Satellit in einer niedrigen Erdumlaufbahn etwa 90 Minuten, um die Erde zu umrunden. Leider ist etwa die Hälfte dieses Weges ein Rätsel, da es keine globale Radarabdeckung gibt – vor allem nicht auf der südlichen Hemisphäre. Diese fehlende Abdeckung bedeutet ein Risiko für die Betreiber von Satelliten.
In dem Maße, wie der Verkehr im LEO zunimmt und immer mehr Nationen in den New Space einsteigen, wächst auch der Bedarf an Weltraumsicherheit und Space Domain Awareness (SDA**). Dies erfordert eine umfassende, kontinuierliche Erfassung der Weltraumumgebung. Wir müssen die Zeitspanne zwischen den Beobachtungen verkürzen, um die Aktivitäten im Weltraum zu untersuchen. So können wir möglichen Kollisionen und Satellitenmanöver bis hin zu Annäherungsoperationen und Tests von Anti-Satellitenwaffen überwachen. Dazu müssen wir nicht nur die Zahl der für die Weltraumbeobachtung bestimmten Bodenradare erhöhen, sondern sie auch geografisch verteilen.
Im Kalten Krieg baute das US-Militär vor allem in der nördlichen Hemisphäre Radarstationen. Da Radartechnik sehr teuer ist, gab es seit dem Ende des Kalten Krieges kaum Fortschritte zum Bau neuer Stationen in der südlichen Hemisphäre. Unser Ziel war es, die Lücke in der Radarabdeckung zu schließen. Leo Labs wurde 2016 gegründet. Inzwischen betreiben wir sechs Radarstandorte auf dem ganzen Globus. Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren mehr als 20 Radare zu bauen, die über die nördliche und südliche Hemisphäre verteilt sind.
Durch den Bau von Weltraumradaren, insbesondere auf der südlichen Hemisphäre, gewinnen wir mehr Klarheit. Zudem optimieren wir unsere Radartechnologie kontinuierlich, um sicherzustellen, dass sie den heutigen Herausforderungen im Weltraum gerecht wird.
Ingenieure in der Raumfahrt
Welche speziellen Fähigkeiten und Kenntnisse benötigen Ingenieure für die Arbeit am globalen Radarnetz von LeoLabs?
Unsere Radar Deployment Group besteht aus verschiedenen Ingenieur:innen. Dazu gehören Ingenieur:innen aus dem Maschinenbau, Hardware, Hochfrequenztechnik, Bau sowie der Luft- und Raumfahrt.
Was ist die Geschichte hinter dem Namen LeoLabs?
Der Name wurde durch das Sternbild Leo und das Akronym LEO für Low Earth Orbit inspiriert. Der Teil „Labs“ in unserem Namen bezieht sich auf die ständige Entwicklung, und Erprobung, die wir mit unserer Technologie betreiben und die auf Wissenschaft und Forschung basiert.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Low Earth Orbit (LEO): LEO-Satelliten kreisen in einer Höhe zwischen 200 und 2.000 Kilometern über der Erde. Somit bezeichnet LEO die niedrige Erdumlaufbahn. LEO-Satelliten werden in der Regel für Kommunikation, militärische Aufklärung und andere bildgebende Anwendungen eingesetzt.
** Space Domain Awareness (SDA): Unter Space Domain Awareness wird die Untersuchung und Überwachung des Weltraums verstanden. Dabei geht es um die Erkennung, Verfolgung, Katalogisierung und Identifizierung künstlicher Objekte, z. B. aktiver/inaktiver Satelliten, Splittertrümmer oder Weltraumschrott.
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