Schlafen für die Forschung in der Tauchkammer
Wissenschaftler am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin erforschen in einer Studie den Zusammenhang von Sauerstoffgehalt in der Luft und der Schlafqualität. Die Ergebnisse der Studie sollen die Flugsicherheit auf Langstreckenflügen verbessern.
Nur noch wenige Tage läuft der spannende Versuch in der Druckkammer am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln-Porz: Vom 16. August bis zum 23. September dieses Jahres schicken die Weltraum-Wissenschaftler Nacht für Nacht zweimal vier Probanden in eine ehemalige Tauchkammer, um darin den Zusammenhang von Luftdruck, Sauerstoffkonzentration und Schlafkomfort zu untersuchen. Das Ganze dient der Flugsicherheit auf Langstrecken.
Im Cockpit ist die Luft so dünn wie auf der Zugspitze
Denn bei diesen Flügen beträgt die Reisehöhe über 10 000 Meter. Und dort oben misst der Luftdruck nur noch 753 Millibar. Damit ist die Luft fast so dünn, wie sie Wanderer auf der Zugspitze erleben. Zum Vergleich: Auf Höhe des Meeresspiegels beträgt der Luftdruck gemittelt 1013 Millibar. Die Forscher wollen wissen, wie sich diese „Höhenluft“ auf die Schlafqualität auswirkt. „Ungestörter Schlaf in den Ruhepausen während der Langstreckenflüge ist absolut essentiell für die Leistungsfähigkeit der Piloten und damit auch für die Sicherheit“, erklärt Dr. Daniel Aeschbach, Leiter der Abteilung Flugphysiologie des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin am DLR.
Das Problem beim niedrigen Luftdruck: Der menschliche Körper bekommt pro Atemzug weniger Sauerstoff zugeführt als beim Normaldruck. „Jeder kennt es von einer Autofahrt hinauf in die Berge genauso wie beim Steigflug im Flugzeug: Der Luftdruck sinkt und das merken wir auf den Ohren“, erklärt Daniel Rooney, Projektleiter in der Abteilung Flugphysiologie. „Durch den geringeren Druck sind weniger Sauerstoffmoleküle in der Luft enthalten und das kann sich auch auf den Schlaf auswirken, insbesondere bei älteren und empfindlicheren Menschen“, fährt Rooney fort.
Experimente mit verschiedenen Sauerstoffgehalten
Im Rahmen der Studie experimentieren die Wissenschaftler mit verschiedenen Sauerstoffanteilen in der Luft der Druckkammer während der Nächte. Auf Fachchinesisch reden die Forscher davon, dass sie nur den Sauerstoffpartialdruck erhöhen, nicht aber den Kabineninnendruck. „Wir untersuchen, wie die Schlafqualität sich verändert, wenn wir den Sauerstoffanteil der Luft anheben, ohne aber den Gesamtdruck zu erhöhen“, erklärt Rooney. Rein technisch erzielen die Wissenschaftler die unterschiedlichen Sauerstoffgehalte aus einem Wechselspiel: Für den Sauerstoff, den sie der Luft zugeben, nehmen sie den entsprechenden Anteil an Stickstoff heraus, um den Kabineninnendruck konstant zu halten. „Das wäre in gewissem Maße schon mit vorhandener Technik in der Flugzeugkabine machbar“, so Rooney.
In der modifizierten Tauchkammer sind Liegen eingerichtet, spartanisch zwar, aber ausreichend. Um die Bedingungen eines Langstreckenfluges zu simulieren, hören die Probanden die ganze Nacht hindurch ein gleichmäßiges Rauschen, wie es auch im Cockpit eines Flugzeuges zu hören ist.
Rückschluss auf die individuelle Schlafarchitektur möglich
Dann kommt das komplette Arsenal der physiologischen Messtechnik zum Einsatz: Herzschlag, Atmung und Bewegungen der Testschläfer werden von außen überwacht und dokumentiert. Zusätzlich zeichnen die Wissenschaftler die elektrische Aktivität des Gehirns und die Sauerstoffsättigung des Blutes auf. So ist es möglich, im Anschluss an die Studie die individuelle Schlafarchitektur zu bestimmen.
Nacht für Nacht steigen seit dem 16. August Probanden um 23:00 Uhr in die massive Tauchkammer ein, die ursprünglich bei hohem Druck für die Erforschung tiefer Tauchgänge Verwendung fand. Nun dient die modifizierte Anlage der Luftfahrtforschung mit einer speziellen Besonderheit: Ein selbst entwickeltes Regelungssystem ermöglicht per Computersteuerung in der Anlage sehr präzise und sehr schnelle Druckwechsel. „Diese Möglichkeit macht die Druckkammer in Köln-Porz einmalig“, schwärmt Rooney über diese technische Möglichkeit, die für die aktuelle Studie allerdings nicht benötigt wird.
Niedriger Luftdruck in Flugzeugen ist unvermeidlich
Denn im Rahmen der aktuellen Untersuchung geht es um den Einfluss verschiedener Sauerstoffkonzentrationen bei gleichem Kabineninnendruck auf die Schlafqualität. Die Forscher variieren über das Lebenserhaltungssystem der Anlage die Sauerstoffmenge von Nacht zu Nacht. Mal haben die Testschläfer nur so viel Sauerstoff zur Verfügung, wie er auch in einer realen Flugkabine vorhanden ist. In anderen Nächten bekommen sie so viel Sauerstoff, wie ihnen auf Meereshöhe zur Verfügung steht. Neben den beiden Extremsituationen experimentieren die Forscher auch mit allen möglichen Zwischenwerten an Sauerstoffgehalt in der Atemluft der Tauchkammer.
Daniel Rooney erklärt auch, warum es in den Flughöhen der Langstrecken nicht den ganz normalen Druck des Meeresspiegels und damit auch genügend Sauerstoff gibt. „Dass Flugzeuge nicht einfach mit einem Bar, also dem Luftdruck auf Meeresniveau, in der Kabine unterwegs sind, hat einen einfachen Grund“, sagt Rooney. „Maschinen, die so einem Druck standhalten könnten, wären zu schwer, um noch einen wirtschaftlichen Betrieb zu erlauben.“
Druckabfall mit Todesfolge
Diese flugphysikalisch bedingte Unterdrucksituation kann fatale Folgen haben, wenn zum Beispiel die Kabinendruckregelung ausfällt. Dieses Szenario ist keine Theorie, sondern so etwas kann wirklich passieren. So geschehen bei einem Flugzeugabsturz über Griechenland mit 121 Toten: Der Helios-Airways Flug 522 war am 14. August 2005 unterwegs von Lamaka auf Zypern, über Athen nach Prag. Gegen 10 Uhr Ortszeit, noch über der Ägäis, funkte der Pilot: „Druckabfall in der Kabine…Klimaanlage ausgefallen.“ So etwas passiert öfter, dafür gibt es die Sauerstoffmasken im Passagierraum, die dann von oben an Schnüren automatisch herabfallen.
Doch im Cockpit war die Sauerstoffflasche offenbar noch zugeschraubt, die Piloten waren innerhalb weniger Sekunden ohnmächtig und somit handlungsunfähig. „Normalerweise heißt es bei Druckabfall: Masken auf, das Flugzeug auf den Kopf stellen und schnellstmöglicher Sinkflug auf 3000 Meter“, erklärte Ludger Beyerle, seinerzeit der Präsident des Deutschen Fliegerarztverbandes. Und so begannen zwei gespenstige Stunden, in denen der Autopilot die führerlose Maschine Richtung Athen steuerte und sie dann brav in der vorgeschriebenen Warteschleife um den Flughafen kreisen ließ.
„Dem Piloten geht es nicht gut. Er ist ganz blau im Gesicht.“
In der Fluggastkabine brachen Panik und Todesangst aus. Den Passagieren blieben bei Minus 60 Grad Außentemperatur ohne Bordheizung nur wenige Minuten zu leben. Einige setzten letzte Lebenszeichen per SMS ab. „Die Piloten sind bewusstlos. Wir erfrieren.“ Oder „Dem Piloten geht es nicht gut. Er ist ganz blau im Gesicht.“
Die Boeing 737 kreiste als Todesflieger zwei Stunden in der Warteschleife, bis der Sprit alle war. Um kurz nach 12 Uhr, 140 Minuten nach dem Notruf, stürzte die Maschine 400 Meter neben dem Ort Grammatikó ab. Alle 115 Passagiere und die sechs Besatzungsmitglieder waren tot. Den Rettungsmannschaften bot sich ein Bild des Schreckens. Die Leichen, die sie fanden, waren zwar oberflächlich verbrannt – doch innen waren die Körper tiefgefroren.
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