Gefahr durch Satelliten-Konstellationen 26.09.2022, 09:41 Uhr

Starlink: Die SpaceX-Satelliten könnten zu einer Katastrophe führen

Immer mehr Satelliten und Megakonstellationen wie das Starlink-Projekt von SpaceX-Chef Elon Musk umkreisen die Erde: Das kann verheerende Folgen haben, glauben Experten. Dabei gibt es längst Lösungsansätze.

Musterbild: Satellit vor Erde

Immer mehr Satelliten werden in den Orbit geschickt.

Foto: panthermedia.net/rottenman

Lautlos rasen im All Hunderttausende Objekte direkt auf eine potentielle Katastrophe zu. Die Vorstellung ist unheimlich. Weil die Menge an Objekten in den Umlaufbahnen um die Erde immer größer wird, kann es über kurz oder lang zu einer fatalen Kettenreaktion kommen: Satelliten kollidieren mit anderen Objekten und werden in Stücke gerissen, die ihrerseits zu gefährlichen Geschossen im Orbit werden.

Kessler-Syndrom heißt dieses Szenario im Jargon, das längst nicht mehr nur graue Theorie ist. 2009 krachte der US-Kommunikationssatellit Iridium 33 mit dem russischen Aufklärungssatelliten Kosmos 2251 in 800 Kilometern Höhe zusammen. Beide Objekte wurden komplett zerstört und in über 100.000 Bruchstücke zerrissen.

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Noch heute muss die Internationale Raumstation ISS immer wieder Ausweichmanöver fliegen, weil Trümmerteile der beiden Objekte mit hohen Geschwindigkeiten um die Erde kreisen. Schon kleinste wenige Millimeter große Schrottpartikel können bei einer Kollision die Funktionstüchtigkeit von Satelliten oder Raumstationen beeinträchtigen. Teile ab einer Größe von etwa zehn Zentimetern würden sie bei einem Zusammenstoß im schlimmsten Fall komplett zerstören.

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Erst letztes Jahr kollidierte Weltraumschrott mit der ISS. Ein Trümmerstück hatte den 18 Meter langen Roboterarm „Canadarm“ der Station getroffen, der die Crew bei Wartungsarbeiten unterstützt. In dem Arm klafft nun ein Loch, die Canada Space Agency (CSA) hatte den Schaden bei Routineinspektion im Mai 2021 entdeckt. Die Funktion des wichtigen Gerätes sei aber nicht beeinträchtigt, hieß es damals bei der Nasa.

Der Roboterarm „Canadarm“ an der ISS wurde von einem Trümmerteil getroffen. Foto: Nasa/Esa

Der Roboterarm „Canadarm“ an der ISS wurde von einem Trümmerteil getroffen.

Foto: Nasa/Esa

Durch Megakonstellationen wie etwa das Starlink-Projekt vom US-Raumfahrtunternehmen SpaceX und Flotten anderer Satellitenbetreiber erhöht sich die Wahrscheinlichkeit solcher Szenarien, das die Raumfahrt nach Ansicht von Experten nachhaltig erschweren kann. Die hauseigene Rakete Falcon 9 hat inzwischen zahlreiche Sattelitenbündel in den Weltraum gebracht, mehr als 2500 Starlink-Satelliten umkreisen die Erde bereits. Langfristig will SpaceX-Chef Elon Musk 12.000 bis 40.000 starten lassen, die für Breitband-Internet an jedem Punkt auf der Erde sorgen sollen – so zumindest der Plan, dessen Umsetzung ein Meilenstein sein kann.

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Aber bisweilen steckt im Segen auch ein Fluch: Wenn nur ein Satellit ausfällt und nicht mehr steuerbar ist, drohen gefährliche Kollisionen. “Das ist in der Tat beängstigend“, sagt Sabine Klinkner vom Institut für Raumfahrtsysteme an der Uni Stuttgart. „Betreiber solcher Konstellationen erklären zwar, dass sie sicherstellen, dass nur eine geringe Prozentzahl der Satelliten ausfallen. Aber wenn man das auf Tausende Satelliten bezieht, dann steuern wir unausweichlich auf den Kessler-Effekt zu.” Einzelne Satelliten, die ausfallen und entsprechend nicht mehr entsorgt werden können, seien ein “wahnsinnig großes Risiko”, so Klinkner.

Satelliten von Elon Musk auch in kritischer Höhe von 1.200 Kilometern

Das sieht auch Carsten Wiedemann von der Technischen Universität Braunschweig so. Er beschäftigt sich am Institut für Raumfahrtsysteme mit dem Thema Weltraumschrott. „Bei Tausenden oder Zehntausenden Objekten müssen wir davon ausgehen, dass da ein gewisser Prozentsatz ausfällt. Das steckt ja auch schon in der Idee solcher Megakonstellationen: Statt wenige sehr teure Satelliten fliegen zu lassen, baut man lieber viele günstige kleine. Und wenn einer ausfällt, übernimmt ein anderer. So kann man in eine günstige Serienproduktion einsteigen und dann tragen sich die Projekte auch finanziell.“

Die Space Exploration Technologies Corporation – oder kurz SpaceX – ist ein privates US-amerikanisches Raumfahrtunternehmen, das zunehmend auch in den-Telekommunikationsmarkt einsteigt.

SpaceX wurde 2002 von Tesla-Chef Elon Musk gegründet, der damals mit den Internetunternehmen Zip2 und PayPal Hunderte Millionen US-Dollar Gewinn gemacht hatte und in die Gründung des Raumfahrtunternehmens investierte.

Ein Ziel von SpaceX: Die Entwicklung von Technologien, die eine Kolonisierung des Mars ermöglichen. Inzwischen ist SpaceX mit seiner Rakete Falcon 9 und dem Raumschiff Dragon zu einem wichtigen Versorger der Internationalen Raumstation (ISS) geworden.

Auch bemannte Flüge soll es geben: Im Mai 2020 will SpaceX Astronauten zur ISS bringen, ab 2021 sollen auch Weltraumtouristen Plätze buchen können.

Mit seinem Starlink-Projekt ist SpaceX inzwischen auch der weltgrößte private Satellitebetreiber.

Eigentlich sei das vernünftig, so Wiedemann. Aber: „Der große Nachteil ist, dass dann sehr viele gestorbene Satelliten im Weltraum zurückbleiben, was wir nicht wollen.“

Hunderttausende Schrottteile umkreisen die Erde. Für die Raumfahrt können sie mittelfristig zum Problem werden. Foto: Technische Universität Braunschweig.

Hunderttausende Schrottteile umkreisen die Erde. Für die Raumfahrt können sie mittelfristig zum Problem werden.

Foto: Technische Universität Braunschweig.

Wenn Teile und Partikel ab einer Größe von einem Millimeter hinzugedacht werden, ist die Erde im Modell kaum noch erkennbar. Foto: Technische Universität Braunschweig

Wenn Teile und Partikel ab einer Größe von einem Millimeter hinzugedacht werden, ist die Erde im Modell kaum noch erkennbar.

Foto: Technische Universität Braunschweig

Die meisten der Starlink-Satelliten befinden sich in einem Orbit etwa 500 Kilometer über der Erde. Dort können Satelliten nach dem Ende ihrer Mission relativ leicht in Richtung Atmosphäre gelangen, wo sie dann verglühen. Problematischer sieht es in Umlaufbahnen ab 800 bis 1.200 Kilometern Höhe aus, wo ebenfalls Satellitenkonstellationen kreisen – künftig auch einige Tausend Starlink-Objekte.

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Satelliten-Konstellationen für Kommunikationszwecke sind keine Erfindung von SpaceX. So entstand 1985 etwa die Idee für das heute noch existierende Iridium-Netzwerk, das inzwischen hauptsächlich für M2M-Kommunkation genutzt wird. In den vergangenen drei Jahren wurde die erste Generation der Satelliten durch Objekte der neuen Generation „Iridium Next“ ausgetauscht.

Auch Kommunikationsunternehmen unterhalten eigene Satelliten-Konstellationen, wie etwa das kanadische Unternehmen Telesat. Das britische Unternehmen Oneweb gilt als potenzieller Haupt-Konkurrent für das Starlink-Projekt von SpaceX. Bis zu 2000 Minisatelliten wollte Oneweb schon vor vor über einem Jahr in einen erdnahen Orbit bringen, um auch an Orte ohne terrestrischen Breitbandzugang für eine Internetverbindung zu sorgen. 2020 sollte das Projekt an den Start gehen – doch das Unternehmen war zwischenzeitlich zahlungsunfähig, zunächst war unklar, was aus den Plänen wird. Inzwischen gibt es eine Oneweb-Flotte im All: Zuletzt Ende Mai 2021 hatte der Raketenstartdienstleister Arianespace 36 Oneweb-Satelliten in den erdnahen Orbit gebracht, damit sind mehr als 200 Oneweb-Satelliten vertreten. Derweil drängt auch Amazon ins All: Der Online-Handelsgigant hatte im Juli 2020 die Genehmigung der US-Telekommunikationsbehörde FCC erhalten, 3.200 Satelliten in die Erdumlaufbahn zu schicken.

Keine Regeln für Entsorgung von Weltraumschrott

„In 1.200 Kilometern haben wir sehr wenig Weltraummüll. Insofern ist es vernünftig, da Satelliten hinzusetzen“, erklärt Wiedemann. Allerdings werden Satelliten dort in riesigen Stückzahlen auf sehr langlebigen Umlaufbahnen freigesetzt.

„Diese Satelliten werden dort für Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende verbleiben“, so Wiedemann.

Die Luftreibung in dieser Höhe ist so gering, dass die Objekte sich von dort nicht mehr von selber ohne Steuerung entfernen können. Ausgefallene Satelliten, deren Steuerung ausgefallen ist, bleiben dort als gefährlicher Müll. „Man müsste bei diesen Konstellationen in diesen Höhen eigentlich zu 100 Prozent sicherstellen, dass sie nicht ausfallen“.

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Das ist allerdings schwer machbar und extrem teuer. Und es gibt dafür auch keine Vorschriften, auch die Entsorgung von Weltraumschrott ist nirgendwo verpflichtend festgeschrieben.  “Das ist eine Sache, die uns tatsächlich Bauchschmerzen bereitet“, sagt Sabine Klinkner. „Es gibt keine weltweiten Regelungen oder weltweit gültigen Abkommen. Es gibt nur partiell Regelungen und Verhaltenskodizes. Viele Staaten bekunden, dass sie sich zumindest daran halten möchten. Das ist aber auch von Land zu Land unterschiedlich.“

„Jemand könnte auch Thunfischdosen zusammenschrauben und ins All schicken“

So gebe es durchaus Länder, die entsprechende Regeln in einem Weltraumrecht festgeschrieben haben – aber viele Regeln sind eher nur rudimentär. In Deutschland zum Beispiel ist der Staat verantwortlich für alle Satelliten, die hier gebaut und gestartet werden und es gibt Regelungen für den Start und die Funkfrequenzen. Direkten Einfluss auf die Entwicklung der Satelliten hat der Staat aber nicht. “Das haben wir gemerkt, als wir von der Uni Stuttgart unseren eigenen Satelliten gestartet haben. Das Projekt ist zum Teil durch das DLR gefördert, dadurch gab es eine gewisse Aufsicht durch den Staat. Aber rein theoretisch könnte jemand auch ein paar Thunfischdosen zusammenschrauben und ins All schicken, ohne dass es da Auflagen gibt – sofern man jemanden findet, der das startet.”

Das Team der Uni Stuttgart mit dem eigenen Satelliten „Flying Laptop“. Foto: Universität Stuttgart

Das Team der Uni Stuttgart mit dem eigenen Satelliten „Flying Laptop“.

Foto: Universität Stuttgart

Ein weiteres Problem: Um Kollisionen zu vermeiden, müssen die Satellitenbetreiber untereinander zuverlässig Kontakt halten. Wie wichtig das ist, zeigte sich im September 2019: Damals wäre einer der SpaceX-Satelliten beinahe mit dem Forschungssatelliten „Aeolus“ der Europäischen Weltraumbehörde Esa kollidiert. Esa-Experten berechneten das Kollisionsrisiko und entschieden, „Aeolus“ etwas weiter von der Erde wegzubewegen, damit er den SpaceX-Satelliten überfliegen kann.

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Zuvor hatte die Esa SpaceX kontaktiert, um sicherzustellen, dass nicht beide Satelliten in die selbe Richtung ausweichen und aufeinanderzusteuern. Solche Absprachen funktionieren nicht immer reibungslos.

„Es gibt Satellitenbetreiber, die reagieren gar nicht, wenn man sie anschreibt“, sagte damals Holger Krag, der Leiter des Esa-Büros für Raumfahrtrückstände.

Erster 3D-Formationsflug von vier Satelliten geplant

Künftig werden solche Ausweichmanöver immer häufiger nötig, glauben Experten.  Eine mögliche Lösung: Satelliten, die selbständig untereinander kommunizieren und ausweichen. Genau daran forscht ein Team des Zentrums für Robotik und Telematik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. NetSat heißt das Projekt, bei dem weltweit erstmals ein 3D-Formationsflug von vier Kleinsatelliten im Orbit durchgeführt werden soll. Eines der langfristigen Ziele des Projekts: Mittels Computertomographie im All wollen die Forscher in das Innere von Wolken schauen. „Das funktioniert nur mit Formationtechnik, weil man mehrere Blickwinkel braucht“, erklärt Klaus Schilling, der das Projekt leitet. „Wenn Satelliten Formationen fliegen, ist es wichtig, dass sie nah beieinander bleiben, aber dabei nicht kollidieren.“

Die Satelliten-Flotte ist vor allem kurz nach dem Start gut am Himmel sichtbar: Wie an einer Kette aufgereiht ziehen sie ihre Bahnen über den Nachthimmel. Viele Hobby-Sternengucker verfolgen das Phänomen in diesen Tagen fasziniert. Die Internetseite Findstarlink zeigt wo und wann sich das Phänomen gerade beobachten lässt.

Für Astronomen indes ist Starlink insofern ein Problem, als die Vielzahl der Satelliten zum Beispiel Langzeitbelichtungen verfälschen und langfristig die Beobachtung des Alls erschweren können. 

Die Satelliten sind mit Sensoren ausgestattet. Mittels adaptiver Regelung können die Satelliten Änderungen des Prozesses erkennen – und können entsprechend reagieren. Mithilfe von Triebwerken können sie ihre Lage anpassen und die gewünschte Position halten. „Damit schaffen wir Grundlagen, um Megakonstellationen künftig mit sichereren Technologien auszustatten“, so Schilling.

An der Uni Würzburg gab es schon Experimente für das nationale Programm DEOS zum Andocken eines Roboters an eine Raumsonde – doch das Projekt wurde aufgegeben. Foto: Julius-Maximilians-Universität Würzburg

An der Uni Würzburg gab es schon Experimente für das nationale Programm DEOS zum Andocken eines Roboters an eine Raumsonde – doch das Projekt wurde aufgegeben.

Foto: Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Müllgebühren für Unternehmen wie SpaceX?

Die Entstehung von Weltraumschrott, der durch Kollisionen entsteht, ließe sich so künftig vermeiden. Doch was ist mit dem Schrott, der schon da ist? Rund 6.500 Tonnen davon rasen um die Erde. Die Robotikmission DEOS des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) sollte eine mögliche Lösung zeigen: Mithilfe von Robotern sollten havarierte Satelliten aus der Umlaufbahnen geborgen und auf einen Absturzorbit gebracht werden, so die Idee. Ein Team der Uni Würzburg hatte bereits Experimente zur Sensorik für ein zuverlässiges Andocken eines Service-Satelliten an eine defekte, zu entsorgende Raumsonde durchgeführt. Doch das das DEOS-Projekt wurde 2018 aufgegeben – auch aus Kostengründen. „Technisch wäre das möglich, aber es scheitert am Geld“, so Klaus Schilling. „Man müsste eigentlich Müllgebühren von Satellitenbetreibern erheben“, findet er – so ließen sich Aufräum-Projekte finanzieren.

Dieser Artikel ist erstmals im April 2020 erschienen und wird aktualisiert 

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Ein Beitrag von:

  • Peter Sieben

    Peter Sieben schreibt über Forschung, Politik und Karrierethemen. Nach einem Volontariat bei der Funke Mediengruppe war er mehrere Jahre als Redakteur und Politik-Reporter in verschiedenen Ressorts von Tageszeitungen und Online-Medien unterwegs.

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