Timing ist alles – der schnellste Weg zur Raumstation
Ein russischer Weltraumfrachter hat auf einer besonders kurzen Flugbahn in nur dreieinhalb Stunden Nachschub zur Internationalen Raumstation (ISS) gebracht. Das ist neue Rekordzeit. Was die schnelle Reise zur ISS so kompliziert macht, darüber sprach ingenieur.de mit Paolo Ferri, dem Leiter des Missionsbetriebs der ESA in Darmstadt.
In rund 400 km Höhe kreist die Internationale Raumstation mit schöner Regelmäßigkeit über unsere Köpfe. Routiniert werden Astronauten in kleinen Kapseln dorthin gebracht und andere abgeholt. Auch die Nachschublieferungen mit Lebensmitteln, Treibstoff und Ausrüstung geschehen inzwischen meist ohne große öffentliche Aufmerksamkeit. Vor drei Tagen allerdings meldete die russische Raumfahrtagentur Roskosmos, dass ein Weltraumfrachter mit rund 2,5 t Treibstoff, Nahrung, Geräten und Ausrüstung an Bord die ISS in nur rund dreieinhalb Stunden erreicht hatte.
Verkürzte Flugroute künftig auch für bemannte Missionen
Die Transport-Kapsel Progress MS-09 dockte am 10.07.2018 um 3:31 Uhr MESZ an der Raumstation an, nachdem sie am Abend zuvor um 23.51 Uhr MESZ mit einer Sojus-Trägerrakete vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan gestartet war. Eine neue, verkürzte Flugroute sei ausprobiert worden, hieß es und die soll nach einem weiteren unbemannten Testflug zukünftig auch für bemannte Missionen zur ISS geflogen werden.
Zuletzt war die Reise zur Raumstation vor gut fünf Jahren deutlich verkürzt worden. Damals war man von einem zweitägigen Flug auf eine Zeit von unter sechs Stunden gekommen. Aber warum ist es so schwierig, die vergleichsweise kurze Strecke zur 400 km entfernten Raumstation in weniger als ein paar Stunden zurückzulegen? Ingenieur.de hat darüber mit Paolo Ferri gesprochen. Ferri ist theoretischer Physiker und als enthusiastischer Leiter des Rosetta-Flugkontrollteams im europäischen Raumflugkontrollzentrum (ESOC) in Darmstadt bekannt geworden.
Flugbahn der ISS ist eine Ellipse
„Die Sache ist kompliziert und beginnt damit, dass die ISS sich mit einer Neigung zum Äquator von 51.6 Grad um die Erde dreht“, sagt Ferri. „Um die ISS in dieser Umlaufbahn möglichst genau und auf dem schnellsten Wege zu treffen, muss man natürlich nicht nur wissen, wo sie sich zu jedem Zeitpunkt präzise aufhält“, so Ferri weiter, „sondern auch den Startzeitpunkt von der Erde aus auf die Sekunde genau berechnen. Fünf Minuten später und die Sojus-Kapsel kommt auf die Umlaufbahn, aber die ISS ist nicht da.“
Wie kommt man auf eine bestimmte Umlaufbahn?
Um auf eine bestimmte Umlaufbahn zu gelangen, wo sich dann Fliehkräfte und Gravitation gegenseitig stabilisieren, muss eine bestimmte Geschwindigkeit geflogen werden. „Je schneller man fliegt, desto höher wird die Umlaufbahn, in die man steigt. Zugleich fliegt man in einer hohen Umlaufbahn selbst aber langsamer als in einer niedrigen, wegen der abnehmenden Erdanziehungskraft. „Das bedeutet“, so Ferri, „dass man abbremsen muss, um in ein niedrigeres Orbit zu kommen, um dann dort schneller zu sein. Oder Gas geben, um in ein höheres Orbit zu steigen, wo man langsamer fliegt.“
Kein Wunder also, dass für die schnellste Reise zur Raumstation nicht nur der Zeitpunkt des Startes extrem präzise gewählt sein muss. Die Steuerung bei der Trennung von Trägerrakete und Kapsel und die Schubstöße der Kapsel müssen ebenfalls punktgenau erfolgen. Nicht zuletzt wird auch die ISS für das Treffen und Andocken perfekt ausgerichtet und korrigiert ihren Kurs immer wieder. Hinzu kommt, dass sich die Raumstation mit einer Geschwindigkeit von 28.000 km/h in ihrem Orbit bewegt – ein Treffen mit der ISS kann also leicht zur Verfolgungsjagd werden.
Für einen schnellen Start ist das Startfenster extrem klein
„Früher hat man sich mehr Zeit gelassen bei der Annäherung von ISS und Kapsel in der Umlaufbahn. Allerdings braucht man dafür mehr Treibstoff und das geht auf Kosten der Nutzlast. Dann hat man begonnen, das Startfenster immer weiter zu verkleinern, um genau im besten Moment starten zu können. Dadurch ist man zwar deutlich weniger flexibel beim Start, aber das ist heute eigentlich kein Problem mehr.“
Alexander Gerst und seine beiden Astronautenkollegen konnten von der neuen und schnellen Route zur Raumstation leider noch nicht profitieren. Zwei Tage und 34 Erdumrundungen waren sie Anfang Juni dieses Jahres in der Sojus-Kapsel eingezwängt unterwegs. Zwar müssen sie ihre Druckanzüge nicht während der gesamten Zeit tragen und eine Person kann sich jeweils auf der „Rückbank“ ein wenig ausstrecken, aber komfortables Reisen sieht anders aus. Der Grund für die lange Anfahrt war eine Positionskorrektur der ISS, damit die abreisenden Astronauten bei Tageslicht auf der Erde ankommen können.
Vor zwei Jahren feierte die ISS ein Jubiläum. Sie hatte die Erde 100.000 Mal unrundet.
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