Warum ist man schwerelos auf der ISS? Den wahren Grund kennt kaum jemand
Auf der Internationalen Raumstation herrscht Schwerelosigkeit – obwohl die Schwerkraft der Erde dort noch sehr groß ist. Warum also schwebt alles auf der ISS?
Wir alle kennen die Bilder: Alexander Gerst schwebt durchs ISS-Modul, macht Seifenblasen (die auf der Raumstation übrigens eine erstaunliche Eigenschaft haben, but that’s another story), fängt schwebende Wassertropfen mit dem Mund. Auf der Internationalen Raumstation herrscht Schwerelosigkeit.
Darauf müssen sich alle Astronautinnen und Astronauten in langen Trainingseinheiten vorbereiten, bevor sie zur ISS fliegen. Menschen, die Schwerelosigkeit schon einmal erlebt haben, berichten von einem faszinierenden Erlebnis (wie zum Beispiel Suzanna Randall, die in unserem Podcast Prototyp sehr bildhaft von besonderen Erfahrungen beim Parabel-Flug erzählt). Die Orientierung im Raum funktioniert nicht mehr so wirklich, der Gleichgewichtssinn ist erst einmal überfordert. Raumfahrerinnen und Raumfahrer müssen das üben und sich nach und nach daran gewöhnen.
Schwerelosigkeit auf der ISS: massive Auswirkungen auf den Körper
Doch Schwerelosigkeit hat massive Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Schon nach kurzer Zeit führt sie zu einer Umverteilung von Flüssigkeiten nach oben – zum Kopf hin. Der Durchmesser der Adern wird im oberen Körperbereich größer. Das lässt sich sogar sehen: Menschen in der Schwerelosigkeit bekommen leicht geschwollene oder gerötete Gesichter. Rund die Hälfte aller Astronauten bekommt wegen der Verdickung der Aderhaut Sehstörungen (genannt Sans = „spaceflight associated neuro-ocular syndrome“). Diese Störungen treten unter Umständen auch nach der Rückkehr auf die Erde weiterhin auf und sind nicht immer reversibel. Frauen haben übrigens seltener mit dem Problem zu kämpfen als Männer – warum, weiß man noch nicht.
Aber warum herrscht eigentlich Schwerelosigkeit auf der ISS? Viele Menschen gehen davon aus, dass das schlicht an der Höhe liegt, in der sich die Raumstation bewegt. Im Weltall herrscht nun mal Schwerelosigkeit. Doch die ISS ist „nur“ 400 Kilometer über der Erdoberfläche. Die Anziehungskraft dort ist fast genauso groß wie auf der Erde. Wohl nur wenige kennen den eigentlichen Grund für die Schwerelosigkeit an Bord der ISS. Eine Erklärung lautet:
Die ISS ist permanent im Freien Fall
Sowohl die Schwerkraft der Erde als auch die Fliehkraft wirken auf die ISS ein, wobei die Fliehkraft grob gesagt in die entgegengesetzte Richtung der Schwerkraft wirkt. Weil die ISS auf ihrer Kreisbahn derart schnell um die Erde rast, herrscht in dieser permanenten Kurve Schwerelosigkeit. Nur: Das erklärt nicht, warum Menschen auch in der Schwerelosigkeit sind, wenn sie nicht in einer Dauerkurve fliegen, sondern auf einer mehr oder minder geraden Bahn.
Astronaut Chris Hadfield singt David Bowies Space Odditiy in der Schwerelosigkeit:
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Tatsächlich ist es so: Die Raumstation fliegt nicht wirklich, sondern fällt permanent in einem großen Kreis um die Erde herum. Die ISS befindet sich also immer im freien Fall – und deshalb herrscht auf der Raumstation Schwerelosigkeit.
Das Aus für die Raumstation
Derweil steht wohl das Aus für die ISS bevor: Russland hat seinen Ausstieg für 2025 angekündigt. Danach könnte die Raumstation wohl ausgemustert werden. Dann gibt es vorerst wohl mit der chinesischen Raumstation Tiangong nur noch eine Raumstation im All.
Diese Stationen gab und gibt es bislang:
- Saljut: Im Rennen um die Vorherrschaft im All errichtet die Sowjetunion im April 1971 mit Saljut-1 die erste bemannte Raumstation. Sie befindet sich gut 200 Kilometer über der Erde. Letzte Station des Programms ist Saljut-7, die 1982 in den Orbit startet und 1991 beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht.
- Skylab: Die Antwort der USA lässt nicht lange auf sich warten: 1973 geht die einzige rein amerikanische Raumstation in Betrieb, das «Himmelslabor» Skylab. Bei drei Missionen beobachten je drei Astronauten Sonne und Erde und führen Experimente durch, unter anderem zur Schwerelosigkeit. Die Station verglüht 1979.
- MIR: Nach ihrem Start 1986 bleibt die russische Raumstation 15 Jahre lang das größte künstliche Objekt in der Umlaufbahn. Wurde Saljut-7 vollständig auf der Erde zusammengebaut, werden bei der Mir mehrere Module erst im Weltraum montiert. Unter russischer Führung wird die Station international für wissenschaftliche Zwecke genutzt. Nach mehr als 86 000 Erdumrundungen kommt es 2001 zum kontrollierten Absturz.
- ISS: Die International Space Station (ISS) kreist in 400 Kilometern Höhe um die Erde – eine Umrundung in 90 Minuten. Ihr schrittweiser Aufbau beginnt 1998. Beteiligt sind die USA, Russland, Kanada, Japan und Mitgliedsstaaten der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Erster Deutscher an Bord ist 2006 Thomas Reiter, Alexander Gerst folgt 2014 und 2018. Dritter ist jetzt Matthias Maurer. Das Aus der ISS steht wohl bevor: Russland hat seinen Ausstieg ab 2025 angekündigt.
- Tiangong: Chinas Raumstation Tiangong (Himmelspalast) soll 2022 fertig sein und etwa ein Sechstel so groß wie die ISS werden. Sie hatte zwei Vorgänger: Raumlabor Tiangong 1 war 2011 gestartet, Tiangong 2 im Jahr 2016. Beide verglühten in der Atmosphäre. Im April 2021 begann der Bau der eigentlichen Raumstation, zunächst wurde das Hauptmodul Tianhe (Himmlischer Frieden) in den Orbit gebracht. Zwei weitere Module sollen folgen.
(mit dpa)
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