Aufzüge im All 09.04.2013, 11:50 Uhr

Zukunftswelten: Lift me up, Scotty!

„Space Elevators“ – also Aufzüge ins All – sind bisher nur Vision. Doch mit fortschreitender Materialforschung, Laser- und Antriebstechnik wird die Idee konkreter. Knackpunkt bleibt der Werkstoff für die benötigte Seilverbindung ins All.

In dieser NASA-Vision rollen Elektrofahrzeuge einen Turm hinauf. Am Schwerpunkt der Konstruktion, auf 35 786 Kilometer Höhe, ist die Endstation angebracht.

In dieser NASA-Vision rollen Elektrofahrzeuge einen Turm hinauf. Am Schwerpunkt der Konstruktion, auf 35 786 Kilometer Höhe, ist die Endstation angebracht.

Foto: NASA

Mit 200 km/h rauscht die Transportkabine senkrecht gen Himmel. Eine Woche wird sie am Seil zur Endstation im geostationären Orbit emporklettern. Dort, 35.786 km über dem Äquator, hat eine Private-Public-Partnership aus Weltraumbehörden und Raumfahrtunternehmen einen Logistik-Hub samt Forschungsstation eingerichtet. Der Lift transportiert Bauteile für das nächste Solarkraftwerk im geostationären Ring. Die Industrialisierung des Weltalls läuft auf Hochtouren.

Sieht so die Zukunft der Raumfahrt aus? Werden fehleranfällige Raketen mit bescheidener Nutzlast dereinst durch einen „Space Elevator“ ersetzt? „Das würde den Zugang zum Weltraum revolutionieren“, sagt Blogger Michael Khan, der als Missionsanalytiker der europäischen Weltraumbehörde ESA in Darmstadt tätig ist. Doch gebe es auf dem Weg dahin noch jede Menge Schwierigkeiten. Auch der laufende Betrieb und die Garantie der Betriebssicherheit eines solchen Space Elevators schätzt Khan mitnichten trivial ein: „Im Grunde müsste dafür die Raumfahrt mit erdnahen Satelliten eingestellt und jeglicher Weltraumschrott beseitigt werden, um Kollisionen mit dem Aufzugseil auszuschließen.“

Vordenker Bradley C. Edwards

Soweit die vermeintlich lösbaren Probleme. Schwieriger dürfte der Bau des Aufzugs werden, wie ihn Vordenker Bradley C. Edwards am NASA Institute for Advanced Concepts skizziert. Anfang letzten Jahrzehnts hatte er Forscher in aller Welt mit einem Report zum Space-Lift elektrisiert. Darin beschreibt er ein Seil auf Basis von Carbon Nanotubes mit einer Gesamtlänge von 91.000 km, das seinen Schwerpunkt in besagtem geostationären Orbit haben soll. Fliehkraft und Erdanziehung halten sich dort die Waage. Am Seilende soll ein Gegengewicht montiert werden, möglicherweise ein eingefangener Kleinasteroid.

Die Lage über dem Äquator und das Gegengewicht gewährleisten, dass das Seil gespannt und die Station fix über der Bodenstation bleibt; sich also konzentrisch zur Erde bewegt. Als Bodenstation schwebt Edwards eine Plattform im Meer vor. Notfalls soll sie um einige hundert Meter manövrieren, um das Seil bei drohenden Kollisionen mit Meteoriten aus der Schussbahn zu ziehen.

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Vorteil: Transporte ins All würden laut Edwards Berechnungen bis zu 99% günstiger und ließen sich verstetigen. Zudem wäre so ein Lift die ideale Startrampe für Raummissionen. Einmal hinauf befördert, bräuchten sie für den Flug zu anderen Planeten kaum noch Treibstoff. Der Lift selbst soll von der Erde aus per Laser angetrieben werden – Photovoltaik-Panele sollen das konzentrierte Licht in Antriebsenergie wandeln. Je höher er steigt, desto mehr Anteile könnte Sonnenenergie liefern.

Suche nach geeignetem Material

Das alles wirft jede Menge Fragen auf. Etwa, wie ein solches „Seil“ beschaffen sein müsste, um den Kräften und Umwelteinflüssen zu trotzen. Neben den Transporten wirken Stürme, Blitze und Hitze sowie Ionen und Elektronen in der Ionosphäre oder atomarer Sauerstoff in der Thermosphäre auf es ein. Carbon Nanotubes, die relativ zu ihrem Eigengewicht 60 Mal zugfester sind als die besten Stähle, werden es schwer haben. „Wir beschießen sie in unseren Labors mit Ionen, um gezielt Defekte in ihr Kohlenstoffgitter einzubringen“, so Péter Krüger, Projektleiter der Innovationsallianz Carbon Nanotubes und Leiter der Nanotechnologieforschung bei der Bayer MaterialScience AG. In der hoch belasteten Seilstruktur würden solche Defekte wie Sollbruchstellen wirken.

Ohnehin bezweifelt der Experte, dass es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten möglich wird, die geforderte Struktur ohne Defekte zu fertigen. Zwar gebe es Unternehmen, die behaupten, mit speziellen Katalysatoren Endlosfäden aus dem leichten, zugfesten Material fertigen zu können, doch Krüger gibt zu bedenken, dass die Zugfestigkeit der Nanoröhrchen durch Defekte im Gitter limitiert wird. Erst recht problematisch werde es, viele kürzere Seile zu einem Langen zu verbinden. Technik und Prüfaufwand, um solche Verbindungen ohne Materialdefekte hinzubekommen, seien aus heutiger Sicht schlicht unbezahlbar.

Die Botschaft ist auch bei beteiligten Forschern angekommen. Ihre Hoffnungen verschieben sich auf den neuen Wunderwerkstoff Graphen. Doch bleibt die Frage, wie ein Seil dieser Dimension transportiert und gespannt werden soll? Edwards Szenario sieht vor, zunächst ein einzelnes „Initial-Seil“ aus dem All auf die Erde herabzulassen. An ihm sollen Kletterroboter aufsteigen und umgehend weitere Seile zur Verstärkung spannen. Im Endausbau stünde eine unförmige Struktur, die wegen des Windes zur Erde hin auf wenige Zentimeter verjüngt wäre, weiter oben aber als Schutz gegen Mikrometeoriten und kleinteiligen Schrott mehrere Dezimeter messen soll. Oberhalb von 80 km soll sie eine Schutzschicht gegen Ionen, die drohende Oxidation und UV-Strahlung erhalten.

Als Gesamtkosten einer solchen Mission kam Edwards in seinem Report auf 40 Mrd. Dollar inklusive der Betriebskosten für die ersten zehn Jahre. Ein Schnäppchen gegenüber den 120 Mrd. Dollar, die das Space Shuttle Programm der NASA insgesamt verschlungen hat. Während es heute rund 36.000 Dollar koste, ein Kilogramm Nutzlast ins All zu bringen, werde dies mit dem Space Elevator ein bis zwei Größenordnungen günstiger.

Space-Lift verspricht nahezu unbegrenzten Zugang zum All

Khan sieht die Zahlen skeptisch. Aus heutiger Sicht seien Wartungsaufwand und Startkosten kaum zu ermitteln. Entsprechend seien Kostenvergleiche mit Raketen verfrüht.

Was vom Space-Lift bleibt, ist das Versprechen nahezu unbegrenzten Zugangs zum All. „Es wäre ein großer Gewinn für die Menschheit, wenn sich so ein Bauwerk realisieren ließe“, sagt Khan. Doch große Erwartungen an eine baldige Realisierung hat er nicht. Zumal jede Menge Fragen rund um den Verschleiß des Seils und der Kletterroboter, sowie Reparatur- und Evakuierungsszenarien oder auch die Gesundheitsgefahren durch stundenlange Auf- und Abstiege mit extremer Strahlungsintensität ungeklärt sind. Doch der ESA-Experte will die Vision nicht voreilig abschreiben: „Der Space Elevator wird im Kollegenkreis durchaus ernsthaft als Langfrist-Option diskutiert“, sagt er. Durch die rasanten Fortschritte der Materialwissenschaften, Laser- und Antriebstechnik nähere sich die heutige Fiktion langsam aber stetig dem Bereich des technisch Machbaren.

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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