85 Prozent der Investionen in Forschung werden verschwendet
Ohne Forschung gibt es keinen Fortschritt. Aber die Forschung liefert nicht immer brauchbare Ergebnisse. Über die Zunahme des „Forschungsmülls“ klagen jetzt Wissenschaftler in der medizinischen Fachzeitschrift
Irrelevante Themen, falsche Fragestellungen, unkorrekte Untersuchungen – es gibt viele Gründe, aus denen ein Forschungsprojekt von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Und noch mehr Gründe, dennoch die Fachöffentlichkeit zu suchen. So haben allein 2012 rund 26.800 Menschen eine Promotion abgeschlossen. Und die Zahl der Veröffentlichungen bestimmt zunehmend den beruflichen Werdegang in der Wissenschaft: Wer schreibt, der bleibt. Peter Higgs, Physik-Nobelpreisträger von 2013, glaubt, dass er heute in der Forschung keine Stelle mehr bekommen würde, weil er nur wenig veröffentlicht hat.
Quantität statt Qualität
Das Problem beschäftigt auch die medizinische Forschung hierzulande. „Die finanzielle Belohnung hängt davon ab, wie viel und wo ich publiziere“, sagt Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums (DCZ). Viele Anreize setzten auf Quantität statt auf Qualität – das gehe auf Kosten der wissenschaftlichen Relevanz und manchmal der Korrektheit, sagt Antes. Zentrales Ziel des DCZ, einem Netzwerk aus Wissenschaftlern und Ärzten, ist die Verbesserung der wissenschaftlichen Grundlagen für Entscheidungen im Gesundheitssystem.
85 Prozent aller Forschungsinvestitionen in Form von Geld und Arbeitsaufwand werden verschwendet, schätzte The Lancet bereits 2009. Fehler gebe es dabei auf allen Ebenen der Forschungsplanung: Es würden die falschen Fragen gestellt, das Studiendesign sei unzureichend, Ergebnisse würden zurückgehalten oder verfälscht dargestellt.
Unnötige Arbeit vermeiden
Die Wissenschaftler kritisieren, dass häufig bei der Planung einer Studie der aktuelle Kenntnisstand der Wissenschaft ignoriert werde. Dadurch käme es zu Duplikationen oder unnötigen Forschungsarbeiten. Forschungsmüll entstehe auch, wenn wenig relevante Forschungsfragen bearbeitet würden. Als Gegenmaßnahme schlagen sie vor, eine aktuelle systematische Literaturanalyse zur Grundvoraussetzung für die Vergabe von Forschungsgeldern zu machen.
Auch aus der Sicht von Gerd Antes braucht die Forschung Anreizsysteme, die stärker als bisher Relevanz und Bedarf berücksichtigen. „Die Wissenschaft allein wird es nicht richten“, meint er aber. Ein sinnvoller Ansatz in seinen Augen: Das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) habe eine „Datenbank der Lücken“ zu medizinischen Themen erstellt. Skeptisch ist er allerdings darin, den Aspekt des Nutzens von der Medizin auf andere Fächer zu übertragen. „Ich glaube, das ist bei den Geisteswissenschaften sicherlich schwieriger, die harte Skala Tod und Krankheit gibt es dort nicht.“
Gefährliche Folgen in der Medizin
Es sei ein fächerübergreifendes Problem, betont Antes, aber nicht überall mit gleich gravierenden Folgen: „In vielen Fächern geht Verschwendung auf den Geldbeutel, in der Medizin kann es Krankheit und schlimmstenfalls Tod für Patienten bedeuten.“ Studien, die nicht das gewünschte Ergebnis brächten, würden oft geschönt oder fielen unter den Tisch. So wurden unerwünschte Forschungsergebnisse zu dem Medikament Rosiglitazon zunächst nicht publiziert, mit der Folge von 6000 bis 8000 zusätzlichen Herzinfarkten.
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