Spaß an der Wissenschaft 14.09.2018, 11:20 Uhr

Abseitig, skurril und trotzdem wertvoll: ig-Nobelpreise verliehen

Die Tradition ist bereits ein Vierteljahrhundert alt: Jedes Jahr im September zeichnet die Elite-Universität Harvard besonders abseitige Forschungsergebnisse mit dem ig-Nobelpreis aus und verbindet so ausgelassenen Spaß mit realer Wissenschaft.

Das Logo des ig Nobel Prize zeigt den gestürzten Denker des Bildhauers Auguste Rodin.

Das Logo des ig Nobel Prize zeigt den gestürzten Denker des Bildhauers Auguste Rodin.

Foto: Improbable Research

Normalerweise steht die amerikanische Elite-Universität Harvard nicht im Verdacht, sich großartig mit Unsinn und Abseitigem zu befassen. Einmal im Jahr jedoch ist dies anders: Die altehrwürdige Universität verleiht jedes Jahr im September die ig-Nobelpreise – ein Wortspiel aus den englischen Wort „ignoble“ ( zu deutsch unwürdig) und „Nobelpreis“ – und verschafft eher unbedeutenden Arbeiten so die dennoch verdiente Aufmerksamkeit.

Die Verleihung der ig-Nobelpreise

Dass diese Themen rund um Voodoo-Puppen, fluchende Autofahrer und der Putzleistung menschlicher Spucke zum Lachen reizen, ist nicht nur in Ordnung, sondern zentrale Voraussetzung: Mit den auch Anti-Nobelpreis genannten Auszeichnungen, die in diesem Jahr zum 28. Mal traditionsgemäß kurz vor der Bekanntgabe der echten Nobelpreisträger verliehen werden, honoriert das Komitee abseitige, skurrile Forschung.

Dem Anlass entsprechend, ist auch die Zeremonie nicht bierernst: Zu ausschweifende Redner werden von einer lebenden Alarmglocke unterbrochen („please stop, I get bored“), das Publikum wird explizit aufgefordert zu twittern und Papierflieger aus dem Auditorium kommen auch gern einmal zum Einsatz. Als Trophäe gibt es dieses Jahr ein Kunststoffherz sowie eine gewisse Geldsumme.

Die Gewinner des Anti-Nobelpreises 2018

Fach Gewinner Land Forschung/These
Medizin Marc Mitchell and David Wartinger USA Die Fahrt mit Achterbahnen könnte den Abgang von Nierensteinen beschleunigen
Wirtschaft Lindie Hanyu Liang, Douglas Brown, Huiwen Lian, Samuel Hanig, D. Lance Ferris, Lisa Keeping Kanada, China, Singapur, USA Wirksamkeit von Voodoo-Puppen gegen ausfällige Vorgesetzte
Anthropologie Tomas Persson, Gabriela-Alina Sauciuc, Elainie Madsen Schweden, Rumänien, Dänemark, Niederlande, Deutschland, Großbritannien, Indonesien, Italien Schimpansen imitieren Menschen genauso oft und gut wie Menschen Schimpansen
Biologie Paul Becher, Sebastien Lebreton, Erika                Wallin, Erik Hedenstrom, Felipe Borrero-Echeverry, Marie Bengtsson, Volker Jorger, Peter Witzgall Schweden, Kolumbien, Deutschland, Frankreich, Schweiz Weinexperten können anhand des Geruchs eine Fliege in einem Weinglas erkennen
Chemie Paula Romão, Adília Alarcão, César Viana Portugal Menschliche Spucke ist ein gutes Putzmittel für verschmutzte Oberflächen
Fortpflanzungsmedizin Akira Horiuchi Japan Erkenntnisse aus Selbstversuchen zur Darmspiegelung im Sitzen (Self-Colonoscopy)
Literatur Thea Blackler, Rafael Gomez, Vesna Popovic, M. Helen Thompson Australien, El Salvador, Großbritannien Menschen, die komplexe Produkte nutzen, lesen nicht die Gebrauchsanweisung
Ernährung James Cole Simbabwe, Tansania, Großbritannien Menschliche Kannibalen nehmen weniger Kalorien zu sich als die Verfechter anderer traditioneller Fleischkost-Diäten
Frieden Francisco Alonso, Cristina Esteban, Andrea Serge, Maria-Luisa Ballestar, Jaime Sanmartín, Constanza Calatayud, Beatriz Alamar Spanien, Kolumbien Häufigkeit, Motivation und Folgen vom Schreien und Fluchen während des Autofahrens

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Die echte Bedeutung der falschen Nobelpreise

Die Anzahl echter Nobelpreisträger, darunter etwa der Medizin-Nobelpreisträger aus 2017, Michael Rosbash , untermalt die Bedeutung des „unwürdigen Nobelpreises“. Bei der Verleihung der Anti-Nobelpreise würdigen die Preisträger des Original-Nobelpreises alljährlich die Preisträger ihrer eigenen Disziplin. Denn die Veranstaltung ist keineswegs dazu gedacht, sich über die Wissenschaft lustig zu machen. Es geht den Veranstaltern um das genaue Gegenteil: Die Bedeutung abseitiger Forschungsthemen aufzuzeigen, die in aller Regel in renommierten Fachjournalen veröffentlicht wurden. Sie nennen es „research that makes people laugh and then think“. Und darum geht es – den belächelten Themen die Aufmerksamkeit zu geben, die sie verdient haben. Weil Erkenntnisse, die heute als abseitig und unwichtig gelten mögen, morgen eine neue Bedeutung beigemessen werden kann.

„Unsere Fähigkeit, die praktischen Erekntnnise fundamentaler Untersuchungen zur Natur der Dinge vorherzusagen /und, in ähnlicher Weise, zu wissen, welche Forschungswege der Gegenwart in eine Sackgasse führen), ist schwach ausgebildet. Dies rührt von einer schlichten Wahrheit her“, so sagte es Charles Townes, einer der Erfinder des Lasers einmal: „Neue Ideen, die im Forschungsprozess entdeckt werden, sind tatsächlich neu.“

Ruhm und Ehre müssen den Wissenschaftlern reichen

Reich werden die Gewinner übrigens nicht durch die Auszeichnung, zumindest nicht aufgrund des Preisgeldes. Zwar können die Wissenschaftler bis zu zehn Billionen Dollar gewinnen, aber auch hier liegt der Teufel im Detail. Es handelt sich um Simbabwe-Dollar, was gleich zwei Haken hat: Theoretisch sind das gerade mal ein paar Cent und praktisch gibt es diese Währung seit rund drei Jahren gar nicht mehr. Ruhm und Ehre müssen also reichen. Und das Bewusstsein, etwas Spaß in den Forscheralltag und etwas Farbe in die graue Theorie gebracht zu haben.

Die Preisträger der ig Nobelpreise 2016

Verhüten mit Polyester-Unterhosen – Im Bereich Reproduktion hatte Ahmed Shafik von der Universität Kairo im Jahr 2016 die Nase vorn. Er testete die Auswirkungen von Unterwäsche aus verschiedenen Materialien auf die Fortpflanzungsfähigkeit von Ratten und Männern. Das Ergebnis: Man(n) kann auch mit Polyesterunterhosen verhüten. Nach gerade mal halbjährigem Einhüllen der Hoden in den Kunststoff ist die Spermienproduktion gleich Null.

Für die Kategorie Wirtschaft wurden Marks Avis, Sarah Forbes und Shelagh Ferguson aus Großbritannien und Neuseeland ausgezeichnet. Sie untersuchten, wie die Persönlichkeiten von Steinen aus Marketingperspektive bewertet werden. Die Versuchspersonen wiesen den Kieseln dazu Eigenschaften wie „freundlich“, „cool“ oder „bodenständig“ zu.

Den ig-Nobelpreis für Physik sicherten sich Gábor Horváth von der Eötvös Universität und sein internationales Team, indem sie nachwiesen, dass Pferdebremsen Opfer mit dunklem Fell gegenüber Schimmeln bevorzugen – wegen der lichtreflektierenden Eigenschaften von hellen Haaren.

Links kratzen, wenn’s rechts juckt – Für die Kategorie Medizin räumten die deutschen Forscher Christoph Helmchen, Carina Palzer, Thomas Münte, Silke Anders und Andreas Sprenger von der Universität Lübeck ab, indem sie zeigten, dass ein Jucken auf der rechten Körperseite gelindert werden kann, wenn man sich links kratzt – solange man dabei in einen Spiegel schaut. Dieses „Austricksen des Gehirns“, wie die Forscher selbst sagen, hilft Patienten tatsächlich: Auf diese Weise werden zum Beispiel Ekzeme nicht weiter gereizt, das Jucken aber trotzdem abgestellt.

Das internationale Team Evelyne Debey, Maarten De Schryver, Gordon Logan, Kristina Suchotzki und Bruno Verschuere gewann den ig-Nobelpreis für Psychologie, indem sie das ideale Alter für Lügner herausfanden: Junge Erwachsene lügen am besten. Der Pferdefuß an dieser Studie: Die Ergebnisse basieren auf Befragungen der Probanden. Falls die gelogen haben, ist das ganze Werk möglicherweise hinfällig. Ihre Plastikuhr bekamen die Forscher trotzdem.

Auch einen ig-Friedensnobelpreis gibt es in Harvard: Das kanadisch-amerikanische Team Gordon Pennycook, James Allan Cheyne, Nathaniel Barr, Derek Koehler und Jonathan Fugelsang testete, ob Menschen Unsinn als Unsinn wahrnehmen, wenn er nur hochtrabend genug daher kommt. Und damit war nicht die ig-Nobelpreisverleihung gemeint, sondern ein Text aus pseudointellektuellen Sätzen, der den Probanden vorgelegt wurde.

Thomas Thwaites nahm die Auszeichnung 2016 für sein Leben mit Bergziegen vom echten Nobelpreisträger Eric Maskin (Wirtschaftswissenschaften, 2007) entgegen – mit Prothese und Helm.

Thomas Thwaites nahm die Auszeichnung 2016 für sein Leben mit Bergziegen vom echten Nobelpreisträger Eric Maskin (Wirtschaftswissenschaften, 2007) entgegen – mit Prothese und Helm.

Quelle: Mike Benveniste/Improbale Research/dpa

Leben wie eine Bergziege – Für Biologie wurden 2016 gleich zwei Preisträger ausgezeichnet: Charles Foster hatte sich ganz auf das Leben als Tier in der Wildnis eingelassen, indem er zum Beispiel wie ein Vogel, ein Otter oder ein Hirsch lebte. Thomas Thwaites führte ähnliche Experimente durch: Ausgestattet mit ziegenähnlichen Hinterbein-Prothesen und einem Helm lebte er mit Bergziegen und focht sogar Kämpfe mit seinen „Hörnern“ aus.

Für seine dreibändige Autobiographie über das Sammeln von toten und noch nicht ganz toten Fliegen wurde der Schwede Fredrik Sjöberg mit dem ig-Nobelpreis für Literatur belohnt, während Atsuki Higashiyama und Kohei Adachi untersuchten, wie die Welt aussieht, wenn man sie vornübergebeugt durch seine Beine betrachtet. Dafür bekamen sie eine Auszeichnung im Bereich Wahrnehmung.

Volkswagen wollte Chemiepreis für Schummelsoftware nicht

Der ig-Nobelpreis ist zwar mit einem Augenzwinkern versehen, vorgeführt und lächerlich gemacht werden soll jedoch in der Regel niemand. Deshalb werden die Nominierten für den Preis nirgends veröffentlicht und ach die Preisträger haben vorab die Chance, den Preis in einem vertraulichen Gespräch abzulehnen. Das komme aber „glücklicherweise sehr selten“ vor, so das ig-Nobelpreis-Komitee. Stattdessen nehmen die Preisträger die Trophäe meist selbst entgegen und verstehen sie als das, was sie ist: eine Auszeichnung.

Eine Ausnahme stellte hier aber in jeder Hinsicht der Gewinner der Kategorie Chemie 2016 dar: Volkswagen wurde für seine Lösung ausgezeichnet, automatisch weniger Emissionen zu produzieren, wenn das Auto getestet wird. Diese Leistung war der Öffentlichkeit als eine der wenigen ig-Nobelpreisträger bereits bekannt und wird im Volksmund „Schummelsoftware“ genannt. Besonders stolz auf die Würdigung schien VW jedoch nicht zu sein: Den Preis holte niemand ab.

Ausgezeichnete verrückte Forschung aus dem Jahr 2015 haben wir Ihnen hier vorgestellt. Etwa, wie ein Huhn zum Dinosaurier wird.

Ein Beitrag von:

  • Judith Bexten

    Judith Bexten ist freie Journalistin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Technik, Logistik und Diversity.

  • Lisa Diez-Holz

    Die Autorin war von 2017 bis Ende 2019 Content Managerin für das TechnikKarriere-News-Portal des VDI Verlags. Zuvor schrieb sie als Redakteurin für die VDI nachrichten.

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