Akzeptanzprobleme bei Überwachungssystemen
Rund jeder fünfte Unfall hat dieselbe Ursache: Übermüdung. Müdigkeitswarnsysteme sollen Abhilfe schaffen. Sie bewirken aber genau das Gegenteil: Überwachte Fahrer sind erst 20 Minuten später bereit für eine Pause, als die nicht technisch kontrollierten Fahrer.
„15 bis 20 Prozent aller schweren Unfälle auf Schnellstraßen sind auf Übermüdung zurückzuführen“, sagt Dr. Katja Karrer-Gauß, die sich in ihrer Dissertation „Prospektive Gestaltung von Systemen zur Müdigkeitserkennung“ am Fachgebiet Mensch-Maschine-Systeme bei Professor Matthias Rötting an der TU Berlin genau mit dieser Fragestellung intensiv beschäftigt hat.
Ungewolltes Einschlafen am Steuer ist am gefährlichsten
Fahrermüdigkeit wird darin definiert als Zustand reduzierter mentaler Wachheit, welcher mit einer verminderten Leistung bei kognitiven und psychomotorischen Aufgaben, einschließlich des Fahrens, einhergeht. Fahrerfehler sind dann zum Beispiel das Einlegen eines falschen Ganges oder eine falsche Einschätzung des Bremsweges. Auch die Fähigkeit, auf gefährliche Situationen zu reagieren, ist bei Müdigkeit eingeschränkt. Am höchsten ist die Unfallgefahr bei ungewolltem Einschlafen am Steuer.
Zu den typischen Anzeichen akuter Fahrermüdigkeit zählen häufiges Gähnen, schwere Augenlider, Konzentrationsprobleme, eine verlangsamte Reaktion, häufiges Augenzwinkern, oftmaliges Wechseln der Sitzposition, eine erhöhte Blendempfindlichkeit, brennende Augen, Probleme beim „Scharfsehen“ sowie ein „starrer Blick“. Auch die Tendenz am bzw. nahe dem Mittelstreifen zu fahren sowie schlechtes Spurhalten und ein traumähnlicher Zustand gelten als Indiz.
Fenster öffnen bringt so gut wie nichts gegen Müdigkeit
Im Fahrzeug ergreifen ermüdete Fahrer häufig vermeintlich effektive Gegenmaßnahmen, wie das Fenster öffnen oder das Autoradio laut aufdrehen. Die Wirkung hält allerdings nicht lange an und täuscht nur kurzfristig über den tatsächlichen Müdigkeitszustand hinweg.
Auch die Wirkung von Koffein in Getränken wie Kaffee hält nur 30 Minuten bis maximal zwei Stunden lang. Dazu kommt, dass sich komplexe kognitive Funktionen, die durch Schlafmangel beeinträchtigt sind, durch Koffein nicht verbessern. Kurzfristig und nachhaltig am effektivsten ist es, anzuhalten und eine kurze Schlafpause von etwa 15 Minuten Dauer einzulegen. Stark ermüdeten Fahrer bleibt nur ein wirklich sichere Gegenmaßnahme: die Fahrt beenden.
Paradox: Technisch überwachte Fahrer fahren besonders lange
Genau das machen aber die wenigsten. Und die den Fahrer unterstützenden Systeme zur Müdigkeitserkennung scheinen da wenig zu helfen. So ließ die Doktorandin ihre 36 Probanden in einem Fahrsimulator umherbrausen, einmal unterstützt durch ein System zur Müdigkeitserkennung und einmal ohne Unterstützung. Es stellte sich heraus, dass allein die Tatsache, von einem System überwacht zu werden, Einfluss auf das Verhalten der Fahrer hat. Der Müdigkeitsassistent bewirkte überraschenderweise, dass der Fahrer sich eher motiviert fühlte, gegen die Müdigkeit anzukämpfen, als eine Pause einzulegen. „Im Durchschnitt waren die Probanden mit einem Müdigkeitsassistenten an Bord, 20 Minuten später bereit zu pausieren“, sagt Katja Karrer-Gauß. Wohl kaum im Sinne des Erfinders: „Der Zweck eines Systems zur Müdigkeitserkennung sollte allerdings nicht darin liegen, die Fahrer zur Weiterfahrt in übermüdetem Zustand zu motivieren“, betont die Autorin.
Das Ganze geht sogar so weit, dass die Müdigkeitswarnsysteme die Fahrer zu einer Risikokompensation verführen. Das ergab eine Befragung von 13 Berufskraftfahrern in zwei Fokusgruppen, die Katja Karrer-Gauß im Rahmen ihrer Arbeit durchführte. Sie gaben an, dass sie „dichter an die Übermüdungsgrenze heranfahren“, wenn sie von einem System überwacht werden. Sie setzen sich also gegebenenfalls über die eigene Einschätzung der Müdigkeit hinweg, fahren damit länger und verhalten sich riskanter.
Das Problem ist der große Termindruck für die Fahrer
Ein großes Dilemma zeigt sich auch darin auf, dass es sehr unterschiedliche Bewertungen solcher Müdigkeitserkennungssysteme gibt. Wissenschaftler erachten eine Müdigkeitsanzeige im LKW als sinnvoll, LKW-Fahrer hingegen als nutzlos, „weil das Problem nicht die Müdigkeitserkennung sei“, so Katja Karrer-Groß, „sondern der enorme Druck unter dem die Kraftfahrer stünden, Termine einzuhalten, die sie zu langen Fahrten zwängen“.
Aus Sicht der Kraftfahrer wären verhaltenswirksame Rückmeldungen, wie die Einbindung sozialer Kontrolle durch einen Beifahrer wichtig oder sogar das erzwungene Anhalten des LKW’s im Falle extremer Müdigkeit. Und noch etwas wünschen sich die Brummifahrer: dass die Müdigkeitsbewertungen des Systems als legitime Rechtfertigung für mögliche Verspätungen gegenüber Arbeitgebern oder Kunden genutzt werden können.
Entscheidend für die Akzeptanz solcher Müdigkeitsüberwachungssyteme scheint die Art und Weise der Rückmeldung an den Fahrer. So reicht es nicht, im Armaturenbrett ein Kaffeetassensymbol aufblinken zu lassen oder den Fahrerraum mit Pfefferminzduft zu fluten. Vielmehr muss mit der Rückmeldung eine konkrete Gefahr assoziiert werden. Die höchste Akzeptanz hatte ein blinkendes, rotes Auge auf der Frontscheibe. Als besonders gefährlich wurde die Situation eingeschätzt, wenn das Lenkrad vibrierte oder das Fahrzeug kurz abbremste. Fazit: Je mehr die Rückantwort an eine Unfallsituation gemahnt, desto wirkungsvoller ist sie.
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