Arbeitete Rembrandt bei Selbstportraits mit Spiegeltricks?
Ein britisches Forscherduo behauptet, der holländische Maler Rembrandt habe eine Konstruktion aus Spiegeln und Linsen verwendet, um seine Selbstportraits direkt auf die Leinwand zu projizieren. Damit hätte Rembrandt absolut im Trend gelegen: Diese Technologie war in der Wissenschaft des 17. Jahrhunderts gerade hochaktuell.
Rembrandt hätte Facebook geliebt: Selfies, wohin man blickt. Und was heute das Selfie ist, war im 17. Jahrhundert das Selbstportrait – eine der Königsdisziplinen des holländischen Meisters. Mindestens 50-mal hat der 1606 im niederländischen Leiden geborene Rembrandt van Rijn sich selbst im Laufe seines Lebens auf die Leinwand gebracht, immer extrem detailliert und mit unterschiedlichsten Gesichtsausdrücken.
Detailgetreue Gesichtsausdrücke, ohne die Augen abzuwenden
Selbstportraits haben aber einen ganz gravierenden Haken: Das Modell sitzt nicht bewegungslos auf einem Podest in Blickrichtung des Malers, sondern hantiert mit Pinsel und Palette. Und immer wieder in den Spiegel zu schauen und den immer wieder gleichen lebendigen Gesichtsausdruck hinzukriegen, sei anstrengend bis unmöglich, sind sich Experten einig.
Wie also hat es der Künstler immer wieder geschafft, so authentisch und detailreich rüberzukommen? Er habe ein Konstrukt von konkaven und flachen Spiegeln und Linsen benutzt, um sein Gesicht direkt auf die Leinwand zu projizieren, sind sich die unabhängigen britischen Forscher Francis O’Neill und Sofia Palazzo Corner sicher. So habe er die Konturen leicht nachziehen und den Gesichtsausdruck detailgetreu übertragen können – und zwar, ohne die Augen abzuwenden.
Nachbarn und Freunde nutzten die Linsen- und Spiegel-Technologie
Für diese These spricht so einiges – das Fehlen von Vorzeichnungen oder Übermalungen bei seinen Selbstportraits ist nur ein Indiz. In der Fachzeitschrift Journal of Optics zählen die Autoren noch eine ganze Reihe weiterer Hinweise auf. So sei die Technologie, konkave Linsen und große Spiegel für Projektionen zu verwenden, zu Rembrandts Zeiten zwar noch sehr neu gewesen, aber es gab sie – und zwar direkt im Umfeld des Malers: Mehrere Bekannte Rembrandts, darunter der Astronom Constantijn Huygens und sein Nachbar, der Mikroskop-Forscher Antoni van Leeuwenhoek, hantierten mit den optischen Geräten. Warum sie also nicht auch für die Malerei einsetzen?
Wie der Maler die Linsen und Spiegel positioniert haben könnte, um sich selbst auf die Leinwand zu beamen, haben Francis O’Neill und Sofia Palazzo Corner in ihrem Fachartikel skizziert. Viel war dafür gar nicht mal nötig: Ein flacher und ein konkaver Spiegel links und rechts vom Maler hätten schon gereicht, glauben die beiden Forscher. Geschickt positioniert, hätte er immer noch die Leinwand oder das Kupferblech für seine Stiche erreichen können.
Lichtverhältnisse mussten stimmen
Um das Bild scharf zu sehen, mussten allerdings die Lichtverhältnisse stimmen: Das Motiv – also in dem Fall Rembrandts Gesicht – musste hell ausgeleuchtet sein, während der Rest des Raums möglichst dunkel sein musste. Das ist heute nicht anders. Und genau so sehen die meisten Selbstportraits, allerdings auch viele andere Bilder des holländischen Meisters auch aus: dunkler Raum und hell ausgeleuchtetes Gesicht. In der Malerei ist dieser Hell-Dunkel-Kontrast auch als „Chiaroscuro“ bekannt.
Dazu komme in manchen Bildern ein Verschwimmen der Details am Rand und eine gekrümmte Perspektive – O’Neill und Palazzo Corner zufolge ein typischer Effekt für Projektionen. Außerdem, erklären sie, schaue Rembrandt auf seinen Selbstportraits immer leicht zur Seite – wohl auf seine Leinwand. Hätte er in einen einzigen Spiegel geschaut, wäre der Blick direkt gewesen.
These ist weder neu noch unumstritten
Die beiden Forscher sind nicht die ersten, die physikalische Hilfsmittel bei Rembrandts Selbstportraits vermuten. Bereits 2001 hatte der britische Maler David Hockney gemeinsam mit dem amerikanischen Optik-Professor David Falco die Vermutung geäußert, dass Rembrandt van Rijn so vorgegangen sein könnte. Während viele Wissenschaftler diese These vehement ablehnten, machte sich Francis O’Neill, selbst Maler, daran, weitere Indizien zu finden und das Verfahren auszuprobieren. Mehr als ein Jahrzehnt lang habe er dafür die Werke von Rembrandt studiert, schreibt die New York Times dazu.
Komplett auf Gegenliebe stößt die Beweisführung von O’Neill und Palazzo Corner allerdings trotzdem nicht: Vor allem David Stork, der bereits zu den schärfsten Kritikern des Forscherduos Hockney/Falco gehörte, missfällt die These. Wenn Rembrandt zwei Spiegel benutzt hätte, so Stork, hätte die Projektion auf dem Kopf stehen müssen – das passe aber nicht zur Richtung der Pinselstriche auf Rembrandts Gemälden. Außerdem habe nie irgendjemand von den vielen Leuten, die in Rembrandts Atelier ein und ausgegangen seien, jemals einen Projektor auch nur am Rande erwähnt.
Nicht nur Maler, sondern auch Wissenschaftler
Wichtig für Francis O’Neill und Sofia Palazzo Corner ist auf jeden Fall, dass ihre Erkenntnisse Rembrandt in keiner Weise diskreditieren sollen. Seine Bilder seien immer noch Meisterwerke, selbst wenn er tatsächlich Hilfsmittel verwendet haben sollte. „Aber vielleicht sehen wir Maler wie ihn in Zukunft auch als Wissenschaftler“, so O’Neill gegenüber der New York Times.
Ein Beitrag von: