Atomwaffe zerlegt, Geheimnisse geschützt
Bei Abrüstungsverträgen ist oft unklar, ob Waffen zerstört worden sind. Forscher am MIT haben ein Messverfahren mit Neutronenstrahlen entwickelt, um Kernwaffen zu analysieren, ohne militärisch relevante Details aufzudecken.
Anfang 2019 gab es nach Schätzungen verschiedener Nichtregierungsorganisationen weltweit knapp 13.900 Atomwaffen, verteilt auf neun Staaten. Die beiden militärischen Supermächte Russland und Amerika verfügen mit Abstand über das größte Arsenal von zirka 6.000 Atomsprengköpfen. Aber auch Frankreich (300), China (290), Pakistan (155), Indien (135), Israel (85) und Nordkorea (25) haben diese Massenvernichtungswaffen vor Ort stationiert.
Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri beobachtet zwei Trends: Viele Staaten mit Atomwaffen modernisieren ihre Arsenale. Gleichzeitig sinkt die Gesamtzahl nuklearer Sprengköpfe. Doch wie überprüfen Waffeninspektoren, ob eine Atombombe abgebaut wurde? Zum größten Teil nicht: Wenn Länder Abkommen unterzeichnen, gewähren sie Inspektoren normalerweise keinen vollständigen Zugang zu ihren Nukleartechnologien, aus Angst, militärische Geheimnisse preiszugeben. Diese Lücke schließen Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit einem neuen Testverfahren auf der Basis von Neutronenstrahlen.
Abrüstung: Kein erprobtes Messverfahren
Bislang arbeiteten Politiker mit zweifelhaften Methoden, um zu überprüfen, ob Abrüstungsverträge eingehalten werden. In früheren Vereinbarungen zwischen den USA und Russland wurde beispielsweise die Vernichtung von Trägersysteme für nukleare Sprengköpfe wie Raketen und Flugzeugen vereinbart, nicht jedoch die Inaktivierung der Sprengköpfe selbst. Um den START-Vertrag einzuhalten, zerstörten die USA beispielsweise B-52-Bomber und ließen sie in der Wüste von Arizona zurück, wo Russland dies via Satellitenaufnahmen bestätigen konnte.
Jetzt haben MIT-Forscher eine neue Hightech-Messtechnik getestet, mit deren Hilfe Inspektoren die Zerstörung von Atomwaffen nachweisen können. Ihre Methode arbeitet mit Neutronenstrahlen, um bestimmte Fakten über die fraglichen Sprengköpfe zu ermitteln – und verwendet entscheidend einen Isotopenfilter, der Informationen in den gemessenen Daten physikalisch verschlüsselt. Inspektoren erhalten grundlegende Fakten, ohne militärische Geheimnisse zu enttarnen.
Typische Eigenschaften des Plutoniums bestimmen
Zum Hintergrund: Nukleare Sprengköpfe enthalten verschiedene Plutonium-Isotope. Damit sie tatsächlich funktionieren, sind bei Waffen verschiedene im Groben bekannte Geometrien einzuhalten.
Die Experimente bestanden darin, einen horizontalen Neutronenstrahl zuerst durch einen Proxy, sprich ein funktionales Muster des Gefechtskopfes, zu schicken. Molybdän und Wolfram, zwei Metallen, die wichtige Eigenschaften mit Plutonium gemeinsam haben, eigneten sich für die Simulation. Weiter ging es durch einen Verschlüsselungsfilter. Das Signal des Strahls wurde dann an einen Lithiumglasdetektor gesendet, wo eine Signatur einzelner Daten aufgezeichnet wurde.
Der Test funktioniert vor allem deshalb, weil der Neutronenstrahl das betreffende Isotop identifiziert. „Im niedrigen Energiebereich sind Wechselwirkungen von Neutronen mit dem Material extrem isotopenspezifisch“, sagt Areg Danagoulian, ein Kernwissenschaftler am MIT. „Sie machen also eine Messung, bei der Sie Informationen über die Isotope und die Geometrie erhalten. Aber Sie machen einen zusätzlichen Schritt, der Daten physikalisch verschlüsselt. “
Mehr Akzeptanz durch neues Verschlüsselungsverfahren?
Die von Danagoulian genannte physikalische Verschlüsselung von Informationen aus dem Neutronenstrahl ermöglicht es den Wissenschaftlern, wesentliche Details zu erkennen und Vergleiche durchzuführen – etwa im Zuge von Abrüstungsverträgen. Militärisch relevante Geheimnisse bleiben jedoch verborgen: ein Argument, warum der Kernforscher auf mehr Akzeptanz bei Politikern hofft, verglichen mit der Vergangenheit.
Es wäre theoretisch möglich, den Neutronenstrahl durch einen Gefechtskopf zu senden, alle Informationen aufzuzeichnen und sie dann digital zu verschlüsseln. „Computer sind jedoch bekannte Schwachstellen. Sie können gehackt werden, während die Gesetze der Physik unveränderlich sind“, gibt Danagoulian zu bedenken. Der vorgestellte physikalische Vorgang sei auch nicht umkehrbar.
Inspektoren vor Ort enttarnen Attrappen
Von der Theorie zur Praxis. Bei einer Waffeninspektion händigt das Gastgeberland Experten einen Sprengkopf aus. Dann folgen Neutronenstrahl-Tests, um zu erkennen, ob es sich wirklich um den Teil einer Nuklearwaffe handelt. Vorher-Nachher-Vergleiche der physikalischen Signaturen zeigen den Erfolg von Demontagen an. Die Kommission kann auch echte von gefälschten Bauteilen unterscheiden. Es sei Danagoulian zufolge schon vorgekommen, dass Militärs einen Original-Sprengkopf präsentiert hätten, danach seien aber nur Dummys zerstört worden.
Im nächsten Schritt planen MIT-Ingenieure, ihre Messanlage weiter zu optimieren und vor allem zu verkleinern. Derzeit füllen die Geräte ein ganzes Labor. Die mobile Version soll maximal fünf Meter lang sein.
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