Bionik im Business bahnt Wege
Die noch junge Forschungsdisziplin der Wirtschaftsbionik zeigt, was Unternehmen von der Natur lernen können. Von der Organisation über die Kommunikation bis hin zur Strategie. Doch die Tier- und Pflanzenwelt taugt nicht immer als Ratgeber.
Ein Blick in die Natur half, um die wasserdichte, aber atmungsaktive Kunststoffmembran „Gore-Tex“ zu entwickeln. Doch die amerikanische Firma W. L. Gore & Associates lernt nicht nur technologisch von der Natur, sondern auch bei ihrer Unternehmensstruktur. Die Firmengründer Bill und Vieve Gore orientieren sich dabei an Amöben. Besonderes Kennzeichen der Einzeller: Sie sind äußerst anpassungsfähig und gelten als Meister der Selbstorganisation. In die Geschäftspraxis des Textilherstellers übersetzt bedeutet dies, dass hier auf Hierarchien verzichtet wird.
Stattdessen baut Gore auf kleine, sich selbst organisierende Teams, was diese flexibel und innovativ macht. Jederzeit können sie sich umbilden, wenn es die Nachfrage am Markt nach neuen Produkten erfordert. Daher wird man hier nach Abteilungsleitern und Stellenbeschreibungen in Arbeitsverträgen vergeblich suchen.
Nicht nur Ingenieure, sondern auch Führungskräfte studieren die Natur genau, um neue Lösungen für alte Probleme zu finden. Das nennt sich dann Wirtschaftsbionik. „Es wird Zeit, davon wegzukommen, Unternehmen als Maschine zu begreifen, an deren Stellschrauben gedreht werden muss“, sagt Klaus-Stephan Otto, Chef der Berliner Dr. Otto Training & Consulting. „Firmen sind lebende, sehr komplexe Organismen. Daher ist ein Blick in die Biologie hilfreich“, unterstreicht er.
So lehre die Natur unter anderem, dass ein Weg aus Krisen über Innovationen führt, die sie, etwa durch Mutationen, ständig hervorbringt. „Die Innovationsrate eines Unternehmens lässt sich erhöhen, wenn Vielfältigkeit zugelassen wird“, erklärt Otto. Sie produziert viele Ideen, von denen nicht jede gut sein wird. Jedoch: „Die besten werden sich durchsetzen“, sagt der Berater. Vielleicht nicht sofort, weil die Zeit noch nicht reif dafür war. Wie etwa bei der SMS, die anfangs eher ein wenig beachtetes Zufallsprodukt der Entwickler war, später aber zum Umsatzbringer wurde. Ottos Rat: „Man sollte auch frühere Entwicklungen nicht aus dem Blick verlieren, denn die Rahmenbedingungen ändern sich.“
Die Kölner Unternehmensberaterin und studierte Biologin Gudrun Happich erblickt in Anlehnung an den Kybernetiker Frederic Vester in der Natur gar „das erfolgreichste Unternehmen aller Zeiten“. Viele Naturgesetze ließen sich auf die Arbeitswelt übertragen. Vor allem im Krisenmanagement sei sie unschlagbar. Happich: „Für die Natur ist die Krise die Regel, nicht die Ausnahme.“ Daher sei ein wichtiger erster Schritt für Führungskräfte, Krisen zu akzeptieren: „Viele Unternehmen versuchen, mit aller Kraft dagegen anzukämpfen – kein Tier aber hätte sich gegen die aufkommende Eiszeit gewehrt.“ Die neuen Rahmenbedingungen als gegeben anzunehmen und das Beste daraus zu machen, sei klüger.
Doch liefert ein Management by Wald und Wiese wirklich erhellende Antworten? Wirtschaftsbionik-Pionier Fredmund Malik, Gründer des Malik Management-Zentrums in St. Gallen, sagt: „Die wirklich spannenden Ergebnisse für die Lösung komplexer Systeme werden künftig aus den biologischen Wissenschaften kommen.“ Nur: Wie kann die Natur konkret helfen, dass bessere Entscheidungen getroffen werden? Malik sieht hier noch Forschungsbedarf und merkt an, dass es sich viele zu einfach machen, wenn sie Strategien der Natur auf das Geschäftsleben übertragen: Vieles gehe über platte Analogien nicht hinaus.
Bei Sätzen wie „Die Natur wandelt sich ständig. Wenn sich etwas nicht mehr weiterentwickelt, ist es tot“, hält sich der Erkenntnisgewinn in Grenzen. Spannender sind da schon Fragen, wie sich Schwarmintelligenz von Fischen nutzbar machen lässt? So hat sich der gestrauchelte Energieriese Enron zu seinen besten Zeiten auf die „Weisheit der Vielen“ gesetzt, indem Mitarbeitern gezielt Raum gegeben wurde, um an neuen Ideen zu tüfteln, wie es Google und Apple heute auch tun. Nachdem eine leitende Mitarbeiterin einen Gedanken darauf verwendete, Energie online an den Kunden zu bringen, stellte sie Kollegen ihre Idee vor, die den Plan für gut befanden und weiter an ihm tüftelten – bis in 300 Köpfen eine neue Geschäftsidee heranreifte, die jetzt ein verbreiteter Vertriebsweg ist.
Egal, ob Schwärme als Meister der hierarchielosen Selbstorganisation, oder Ameisen, die in aus Millionen von Einzeltieren bestehenden Staaten perfekt Aufgaben verteilen und kommunizieren – Tiere zeigen, wie Komplexität beherrschbar wird. Happich sieht die Krabbeltiere als Kommunikationsprofis, doch die Ameisen-Analogie markiert auch Grenzen der Wirtschaftsbionik: „Ameisenstaaten zeigen zwar hervorragend, wie Informationen schnell und effektiv verarbeitet werden. Aber da Ameisen im Gegensatz zu Mitarbeitern nicht ehrgeizig sind und keinen Willen haben, hilft das Beispiel kaum für die Führung eines Teams.“ Auch Experten wie Karl-Heinz Oeller, Vorstand des Internationalen Bionik-Zentrums, warnen vor allzu fixen Schlüssen: „Es geht nicht darum, die Natur zu kopieren, sondern zu kapieren.“ C. LÖWER
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