Klimaschutz-Projekt 09.09.2011, 12:07 Uhr

„CO2-Zählen ist wie Kalorienzählen“

90 Kölner Haushalte versuchen, klimafreundlicher zu leben – als Teil eines Forschungsprojekts. Ein halbes Jahr lang lassen sie ihre technische Ausstattung und das tägliche Verhalten von den Beratern der Verbraucherzentrale durchleuchten. Oft geht es um unspektakuläre Dinge

Auf dem Esstisch der Familie Kording steht neuerdings eine Karaffe mit Leitungswasser. Statt Mineralwasser in Plastikflaschen, das über Hunderte von Kilometern herangekarrt werden muss. Die Söhne trinken das Wasser aus dem Hahn und auch Vater Kai hat keine Probleme damit. Nur Mutter Gabi hat Bedenken: Man lese doch immer wieder von Keimen und Umweltgiften im Leitungswasser. Aber andererseits ist da dieses schlechte Gewissen, wenn sie Batterien leerer PET-Flaschen zur Rückgabe bringt und der Automat den Kunststoff zerquetscht.

Sonja Pannenbecker, Beraterin der Verbraucherzentrale, rät, das Leitungswasser doch einfach mal zu probieren: Dann wüsste auch Gabi Kording, wie gut ihr Trinkwasser wirklich ist. Pannenbecker ist zum zweiten Mal zu Besuch in dem Kölner Haushalt. Beim ersten Mal ist sie durchs Haus gegangen, hat Lampen, Elektrogeräte und Heizung inspiziert und viele Fragebögen und Checklisten mitgebracht. „Wir haben seitdem keine neue Waschmaschine und keine Energiesparlampen gekauft, aber einen neuen Lockenstab“, so Gabi Kording.

Klimaschutz-Projekt: 90 Kölner Haushalte lernen CO2 zu sparen

Die Kordings sind ein „Klima-Haushalt“, einer von rund 90 in Köln. Sie alle sind Teil des Forschungsprojekts „KlimaAlltag“: Ein halbes Jahr werden sie ihr tägliches Verhalten Schritt für Schritt überprüfen und versuchen, es auf „klimafreundlich“ umzustellen.

Gut 11 t CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr werden in Deutschland erzeugt. Mehr als die Hälfte davon verursachen private Haushalte. Um die Emissionen zu senken, muss es nicht immer die Wärmedämmung oder das E-Auto sein. Kleine Alltagsdinge tun es auch: beim Kochen den Deckel auf dem Topf lassen, die Restwärme nutzen, öfter mal das Fahrrad nehmen, weniger Fleisch essen.

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Energieberatung von der Verbraucherzentrale kennt man. Sie beschränkt sich aber zumeist auf nur eine einzige Beratung und mündet meist in technische Empfehlungen: einen effizienten Kühlschrank anschaffen oder eine elektronisch geregelte Heizungspumpe.

Darum geht es auch bei dem Projekt „KlimaAlltag“, aber eben nicht nur, sagt der Leiter des Feldversuchs, Frank Waskow von der NRW-Verbraucherzentrale: „Eine neue Heizung macht wenig Sinn, wenn ich weiterhin falsch lüfte oder falsch heize.“ Wichtig sei eine grundsätzliche Verhaltensänderung: „Wir wollen untersuchen, was die Motivation und was die Hemmnisse sind, warum die Leute bestimmte Sachen nicht umsetzen mögen.“

Bei den Kordings ist es mit der Mobilität so eine Sache. Die Unternehmer-Familie wohnt in einem umgebauten Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert am Rande von Köln, hinter dem Garten erstrecken sich Felder. „C“est la campagne!“, schimpfte ihr französischer Austauschschüler. Die Kinder nehmen für den Weg zur Schule oder zum Sport das Rad oder den Bus. Gabi Kording nimmt ihren Drahtesel zur Arbeit und erledigt so auch ihre Einkäufe im Viertel.

Kai Kording steigt jedoch sechsmal wöchentlich ins Auto, um zu seiner Firma in der Innenstadt zu gelangen: Sonst müsste er morgens eine Stunde früher aufstehen oder sich mit den lärmenden Schulkindern in den Bus quetschen. Aber samstags ginge es vielleicht doch? Am Wochenende muss er nicht ganz so früh ins Büro: „Da könnte man samstags mit dem Fahrrad fahren und halt gucken, wie das funktioniert – und wenn es gut funktioniert, nutzt man es vielleicht irgendwann in der Woche.“

Öfter mal auf Fahrrad oder Bus umzusteigen spart CO2

Die Eheleute haben zwei Autos. Ein neues ist erstmal nicht drin, obwohl der betagte Mercedes im Stadtverkehr ganze 10 l Benzin frisst, bedauert Kording. Wenn man vorausschauend fährt, einen Liter weniger. Die Kordings sind bereit, wo nur möglich, den Wagen stehen zu lassen. Aber nicht, wenn es um ihre geliebten Hobbys geht. Die Familienmitglieder treiben Mannschaftssport und fahren oft viele Kilometer zu Wettbewerben, im Urlaub campen oder segeln sie: Da muss man halt motorisiert sein. Der große VW-Bus soll allerdings nicht leer durch die Gegend fahren: „Wir bilden Fahrgemeinschaften und nehmen zu den Wettbewerben meist mehrere Kinder mit.“

Yvonne Weickinat hat gar kein Auto – wie die Hälfte der Kölner „Klima-Haushalte“ auch. Bei ihr ist das kein Merkmal besonderer Öko-Gesinnung: Für Großstädter sei das inzwischen ziemlich normal, sagt Waskow. Stellplätze sind teuer, mit dem Rad kommt man schneller an und der öffentliche Nahverkehr bietet ein dichtes Netz. Weickinat hat eine hübsche Mietwohnung in der Kölner Südstadt, nur ein paar Metern vom schicken neuen Rheinhafen entfernt. Zentraler geht es kaum, und sie genießt das Pkw-freie Leben: „Man bekommt viel mehr Kontakte, wenn man Straßenbahn oder mit dem Rad fährt, als wenn man die ganze Zeit allein im Auto sitzt.“

Wenn sie abends durchgefroren nach Hause kommt, dann gönnt sie sich ein heißes Bad, mehrmals pro Woche. Eine Umweltsünde, klar, aber darauf will die Kindergarten-Erzieherin nur selten verzichten. Dafür hat sie sich vorgenommen, an anderer Stelle ihre Klimabilanz zu verbessern: nämlich weniger Lebensmittel verschwenden.

Früher hatte die geschiedene Mutter dreier erwachsener Kinder einen großen Haushalt zu versorgen. Jetzt lebt sie allein, kauft aus alter Gewohnheit jedoch oft kiloweise ein. Immerhin: Ihre neue Küche ist auf Single-Maß geschrumpft, viel passt da ohnehin nicht mehr rein.

CO2 lässt sich auch bei Lebensmitteln ohne großen Aufwand einsparen

„Gut 21 % der Lebensmittel werden in Deutschland weggeworfen“, rechnet Verbraucherberaterin Sonja Pannenbecker vor , vor allem Fleisch und Fisch. Ihr Tipp: gezielter einkaufen, Reste einfrieren, mit den vorhandenen Zutaten auch mal improvisieren. „Und ein paar Freunde zum Essen einladen.“

Demnächst besorgt sich Yvonne Weickinat ein Strommessgerät bei der Verbraucherzentrale: Sie will selbst sehen, was die 13 Jahre alte Waschmaschine im Vergleich zu der Effizienzklasse A++ verbraucht. „Als die Kinder noch hier wohnten, hatte ich bis zu 400 € im Jahr Nachzahlungen für Strom“, sagt die Frau. „Die haben ständig mal eine Pizza in die Mikrowelle geschoben, für drei Paar Socken die Waschmaschine laufen lassen oder sich die Hände mit warmem Wasser gewaschen, sodass der Durchlauferhitzer dauernd ansprang. Für Energiesparen haben junge Leute kein Gespür!“

Dem würde Özlem Mani widersprechen. „Meine Bekannten, so Ende 20 bis Anfang 30, zeigen durchaus Interesse“, sagt die türkischstämmige Assistenzärztin. „Man darf halt, wenn man Umwelt- oder Klimaschutz sagt, die Leute nicht gleich erschrecken. Man muss mit kleinen Dingen anfangen. Und wenn der eine anfängt, macht der andere meistens mit.“ Der Wille sei vor allem bei den Frauen vorhanden.

Die junge Ärztin geht mit ihrer Beraterin Handan Anapa die Checklisten durch. Sie fährt täglich mit der Bahn zum Krankenhaus. Sie hat keinen Trockner, duscht lieber lauwarm und mag sogar das grelle Licht der Energiesparlampen, das vielen anderen ein Graus ist.

So weit, so gut. Aber was ist das? Bei ihr zu Hause läuft ständig der Computer. Umso wichtiger, diesen Stromfresser auf sparsamen Modus einzustellen und ab und zu den Stecker zu ziehen, denn Mani sitzt ja nicht die ganze Zeit davor. Sie sei einfach zu bequem, sagt die junge Frau: Aber man könnte es sich angewöhnen, so wie man sich daran gewöhnt, die Tür abzuschließen, wenn man morgens aus dem Hause geht. „Diese Automatismen muss man halt auch für den Umweltbereich nutzen.“

„Unsere Berater stellen schon fest“, so Frank Waskow , „dass sich viele Menschen doch Gedanken über Klimaschutz und Kosteneinsparungen machen, dass ihnen häufig aber das letzte Quäntchen Information, der letzte Impuls fehlt.“ Den soll der „KlimaAlltag“ eben auslösen.

Unterm Strich will das Projekt den CO2-Ausstoß in den drei Bereichen Energienutzung, Ernährung und Mobilität um ein Viertel senken. In der Summe, nicht bei jedem Einzelnen – zu unterschiedlich die Lebenslagen und die Motive, erklärt Waskow.

Wer auf Ökostrom umstellt, spart sofort 50 % CO2 ein. Die Fleischportion zu halbieren, bringt nur ein paar Prozent, fällt aber ungleich schwerer. „CO2-Zählen ist wie Kalorienzählen“, sagt Özlem Mani: „Irgendwann hat man raus, welche Diät wirkt.“ 

Ein Beitrag von:

  • Matilda Jordanova-Duda

    Die Schwerpunkte der freien Journalistin sind: Industrie 4.0, Digitalisierung, Existenzgründer, Mittelstand, Energiewende, Firmenportrais, Migration, Bildung.

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