Computerspiele nehmen die Zukunft vorweg
Die Tüftler in den Studios der Computerspielentwicklung sind einfallsreich. Sie entwickeln neue Techniken und Produkte für ihre Spiele, die Forscher in aller Welt herausfordern, sie in die Realität umzusetzen. Seien es Technologien für die Unsichtbarmachung, T-Shirts, deren Material kugelsicher verhärtet oder Assistenten in der Industrieproduktion.
Der Soldat in dem Actionspiel „Crysis 3“ ist ein echter Supermann – er kann meterhoch springen, sich für eine begrenzte Zeit unsichtbar machen und für kurze Augenblicke ungeheure Kräfte entwickeln. Möglich macht das ein spezieller Kampfanzug mit hochmoderner Nanotechnologie – der sogenannte „Nanosuit“. Er hält sogar ein paar Kugeln aus dem Maschinengewehr ab. So einen Kampfanzug gibt es in der Realität nicht – das heißt: noch nicht.
Inwieweit sich Spiel, Fiktion und Forschung gegenseitig beeinflussen, zeigen auch die „biotischen“ Fähigkeiten aus dem Computerspiel „Mass Effect“ von Bioware. Darin lassen sich allein mit geistiger Kraft Feinde besiegen. Auch hier gibt es einen realen Hintergrund: In den 60er-Jahren gab es tatsächlich die „New Earth Army“, eine private Initiative einiger US-Offiziere, die ein parapsychologisches militärisches Forschungsprogramm mit ähnlichem Ziel verfolgten.
Allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Lustig gemacht hat sich darüber der Film „Männer, die auf Ziegen starren“ mit George Clooney. In der Parodie konnten geschulte Militärs Ziegen so mit den Augen fixieren, dass diese schließlich zusammenbrachen.
Forscher arbeiten an Technik für Gedankensteuerung
Bislang werden noch die meisten virtuellen Figuren per Maus oder Joystick auf dem Monitor gesteuert – Computerfiguren machen alles, was ihnen der Spieler vorgibt, so als seien es ihre eigenen Gedanken gewesen. Weltweit arbeiten Forscher für Nutzer von Computerspielen und Unterhaltungselektronik schon an einer Technik für Gedankensteuerung.
Ein Beispiel ist eine Schnittstelle, die die Spieleindustrie revolutionieren könnte. Denkt der Spieler daran, in einem Spiel eine Kiste anzuheben, so geschieht dies auf dem Monitor wie von Geisterhand. Lächelt der Spieler, so lächelt auch seine Actionfigur. Möglich macht dies ein futuristisch aussehendes Kopfgestell namens Epoc, das die australische Firma Emotiv Systems entwickelt hat. Epoc soll sogar Gefühle wie Zorn oder Aufregung unterscheiden können und sowohl bewusste Gedanken als auch unbewusste Gefühle verarbeiten.
Im zivilen Umfeld wird an Dingen geforscht, die die menschlichen Fähigkeiten unterstützen und verbessern, etwa beim Esslinger Automatisierungsspezialisten Festo. Dort hat man im vergangenen Jahr eine sogenannte „Exohand“ entwickelt. Auf den Fingern dieser Hand sitzen metallene Glieder, Schläuche sind daran befestigt. Über pneumatische Aktoren wird der Griff eines Menschen verstärkt, was ihm mehr Kraft und Ausdauer verleiht. Anwendungen dafür gibt es beispielsweise im industriellen Umfeld – zum Beispiel bei Tätigkeiten, die wiederholende Handgriffe verlangen. Hier kann die Exohand den Menschen unterstützen.
Solche Entwicklungen sind deshalb alles andere als Spielerei. Ihr Einsatz wird immer häufiger in der Computerspielwelt vorweggenommen, wie die Entstehungsgeschichte um die „Crysis“-Trilogie zeigt.
Wirklichkeit und Fiktion inspirieren sich gegenseitig
Es ist eine Computerspielserie aus Deutschland über die Invasion von Aliens auf der Erde. Sie gehört zu den wichtigsten Spielentwicklungen weltweit, weil sie sowohl software- als auch hardwaretechnisch die Entwicklungen in der Spielbranche vorangetrieben hat.
Bereits im Jahr 2007 war der erste Teil von Crysis erschienen. „Über die Jahre haben wir intensiv die internationale technologische Entwicklung verfolgt und haben mittlerweile ein gutes Gespür dafür, was in ein paar Jahren Realität sein könnte“, sagt Cevat Yerli, einer der drei Firmengründer des Programmierstudios Crytek mit Sitz in Frankfurt am Main. Er ist sich sicher: Wirklichkeit und Fiktion inspirieren sich längst gegenseitig. Vorstellbar sei zum Beispiel ein Material, das weich ist wie Baumwolle, aber hart wie Stahl wird, sobald eine Kugel darauf trifft – ein weites Themenfeld etwa für Materialforscher.
„Wir lassen uns da aus vielen verschiedenen Richtungen inspirieren, zum Beispiel aus Science-Fiction-Filmen, Technik- und Wissenschafts-Magazinen, Internetforen und den alltäglichen Nachrichten“, ergänzt Dennis Schwarz, Senior Game Designer von Crysis 3.
Ein Beispiel für eine fortschrittliche Waffentechnologie, die es so derzeit noch nicht gibt, die aber durchaus realistisch ist, ist der sogenannte „Predator-Bogen“ in dem Spiel.
„Für uns stand im Vordergrund, den lautlosen Bogenkampf in unser Spiel zu integrieren. Gleichzeitig sollte der Kampf aber so dynamisch sein, dass er mit unseren restlichen Feuerwaffen konkurrieren kann“, sagt Schwarz. Damit ein Pfeil-Bogen-Gespann neben einer Maschinenpistole bestehen könne, haben die Entwickler den Bogen daher um allerhand Eigenschaften erweitert. Herausgekommen ist eine Bogen-Waffe, die automatisch nachlädt, mit ausziehbaren Teleskoppfeilen aufwarten kann und die für den geräuschlosen Kampf zusammenklappbar ist.
Nanosuit nur eine Frage der Zeit
„Die Wissenschaft schreitet derzeit so rasant vorwärts, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass viele Dinge, die wir uns heute für Spiele ausdenken, langfristig in der einen oder anderen Form Realität werden können“, ist Schwarz überzeugt.
Bei Crytek glaubt man daher, dass so etwas wie ein Nanosuit nur eine Frage der Zeit ist. Viele Komponenten, wie Unsichtbarkeit durch Lichtkrümmung oder Exoskelette mit künstlichen Muskeln, sind schließlich in der Tat bereits in der Entwicklung.
Ein Beispiel findet sich in der Unsichtbarkeitsforschung. So können Tarnkappenbomber längst vom Radar verschwinden. Doch bisher beruhten Tarnkappen immer auf Wellenleitern, die praktisch zweidimensional sind. Sobald man jedoch aus der dritten Dimension auf die Struktur schaut, verfliegt die Wirkung.
Ein neuartiges Verfahren entwickelten bereits im Jahr 2010 Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des Imperial College in London. Resultat war eine optische Tarnkappe für dreidimensionale Objekte.
Das sogenannte Metamaterial, ein speziell entwickelter Stoff, leitet elektromagnetische Wellen um ein Objekt so herum, dass der Eindruck einer Luftspiegelung an einem warmen Tag entsteht. Zahlreiche Labore weltweit arbeiten heute an verschiedenen Tarnprinzipien, die Gegenstände unsichtbar machen sollen.
Was dabei für elektromagnetische Lichtwellen gilt, lässt sich auch auf anderes wie Schallwellen übertragen: Einem Forscherteam des KIT gelang Ende 2011 sogar die erste Demonstration einer Tarnkappe für elastische Wellen, wie sie auch in Gitarrensaiten oder Trommelmembranen auftreten. Ergebnis: ein Tarnumhang, der zudem unhörbar macht – für Computerspiele wäre das wahrscheinlich ein wenig zu viel des Guten, denn schließlich hätte der Gegner dann gar keine Chance mehr, der Spielspaß ginge verloren.
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