Uraltes Rätsel 21.03.2025, 20:59 Uhr

Mpemba-Effekt: Einem heiß-kalten Paradoxon auf der Spur

Warum gefriert heißes Wasser manchmal schneller als kaltes? Japanische Physiker sind dem Mpemba-Effekt auf der Spur.

Mpemba-Effekt

Ein Mann schleudert kochendes Wasser in den arktischen Himmel und erzeugt Schnee. Das wird häufig als Mpemba-Effekt bezeichnet, beruht allerdings hauptsächlich auf der Verdunstung des Wassers und der daraus resultierenden Eisbildung.

Foto: PantherMedia / bublik_polina

Der Mpemba-Effekt beschreibt das scheinbar paradoxe Verhalten, dass heißes Wasser unter bestimmten Bedingungen schneller gefrieren kann als kaltes. Trotz jahrtausendelanger Beobachtung ist das Phänomen bis heute nicht vollständig erklärt. Neue Forschungsansätze bringen jedoch Licht ins Dunkel – mit potenziellen Anwendungen in Thermodynamik, Kühltechnik und sogar der Quantenphysik.

Ein uraltes Rätsel trifft auf moderne Physik

Der Mpemba-Effekt hat eine lange Geschichte. Schon Aristoteles notierte vor mehr als 2000 Jahren, dass warmes Wasser in bestimmten Situationen schneller gefriert als kaltes. In der modernen Wissenschaft sorgte dieses Phänomen jedoch erst 1963 für Aufsehen. Damals beobachtete der tansanische Schüler Erasto Mpemba bei der Eisherstellung, dass heißes Wasser schneller zu Eis wurde als kälteres.

Mpemba ließ sich nicht beirren. Trotz anfänglicher Skepsis seiner Lehrkräfte verfolgte er seine Beobachtung weiter. Schließlich arbeitete er mit dem Physiker Denis Osborne zusammen. 1969 veröffentlichten die beiden ihre Ergebnisse – und lieferten damit die erste moderne Untersuchung des Effekts.

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Mehr als nur Wasser: Der Effekt in verschiedenen Systemen

Seitdem wurde der Mpemba-Effekt in zahlreichen Experimenten untersucht. Dabei zeigte sich, dass er nicht auf Wasser beschränkt ist. Auch in anderen physikalischen Systemen lässt sich das Phänomen beobachten – etwa in bestimmten Kristallen oder magnetischen Materialien. Forschende sprechen daher nicht mehr nur vom „Gefrieren“, sondern allgemein von einem schnelleren thermischen Relaxationsprozess: Ein System kehrt nach einer Temperaturänderung schneller in den Gleichgewichtszustand zurück, wenn es anfänglich heißer war.

Doch ein zentrales Problem blieb: Der Effekt ließ sich nicht immer zuverlässig reproduzieren. Mal trat er auf, mal nicht – je nachdem, wie genau die Experimente durchgeführt wurden. Das weckte Zweifel an seiner Existenz und an der Seriosität der Beobachtungen.

Warum heiß nicht immer langsamer ist

Die Vorstellung, dass heißes Wasser schneller gefrieren kann als kaltes, wirkt zunächst widersprüchlich. Schließlich muss das heiße Wasser ja zuerst die Temperatur des kalten erreichen – warum sollte es dann früher einfrieren?

Verschiedene Erklärungsansätze wurden im Laufe der Zeit diskutiert:

  • Verdunstung: Heißes Wasser verdampft stärker. Dadurch verringert sich die Gesamtmenge an Flüssigkeit – weniger Masse muss abkühlen.
  • Entgasung: Gase, die im Wasser gelöst sind, entweichen bei höheren Temperaturen. Dies könnte die Kristallisationsprozesse beeinflussen.
  • Konvektion: Wärmere Flüssigkeiten weisen stärkere Strömungen auf, was zu einer besseren Wärmeverteilung führt.
  • Salzgehalt: In heißem Wasser können Salze ausfallen. Dies verändert den Gefrierpunkt.
  • Grenzflächeneffekte: Ein neuerer Ansatz verweist auf physikalische Vorgänge am Übergang zwischen Glasboden und Kühlfläche. Dabei spielt eine Eisschicht auf der Stellfläche im Gefrierschrank eine entscheidende Rolle.

Diese Faktoren wirken zum Teil gleichzeitig – oder auch gegeneinander. Das macht es so schwierig, den Effekt unter kontrollierten Bedingungen zuverlässig nachzustellen.

Ein neuer Blick auf ein altes Phänomen

Ein Forschungsteam der Universität Kyoto ist das Problem nun auf eine neue Weise angegangen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzten auf ein mathematisches Konzept namens Thermomajorisierung. Es erlaubt die gleichzeitige Betrachtung vieler unterschiedlicher „Abstandsmaße“ – also Kriterien dafür, wie weit ein System vom thermischen Gleichgewicht entfernt ist.

Bisherige Studien verließen sich meist auf ein einzelnes Maß, etwa die Temperatur. Doch das reicht offenbar nicht aus, um den Mpemba-Effekt systematisch zu erfassen. Tan Van Vu, einer der beteiligten Forschenden, erklärt: „Unsere Studie beweist, dass die Verwendung der Thermomajorisierung gleichbedeutend ist mit der gleichzeitigen Berücksichtigung aller monotonen Maße.“

Mit diesem Ansatz konnten die Forschenden ein allgemeingültiges Kriterium formulieren, das unabhängig vom verwendeten Abstandsmaß funktioniert. Das macht es möglich, den Effekt in verschiedenen physikalischen Systemen zuverlässig zu analysieren.

Jenseits von Wasser: Mpemba in Quanten- und Biophysik

Die Ergebnisse aus Kyoto legen nahe, dass der Mpemba-Effekt kein Einzelfall ist. Vielmehr scheint er Ausdruck eines tieferliegenden Prinzips zu sein. Vu spricht von einem „universelleren Mechanismus“. Tatsächlich wurde das Phänomen mittlerweile auch in Systemen beobachtet, die nichts mit Flüssigkeiten zu tun haben – etwa in der Quanteninformatik oder in der Biophysik.

Die Forschung könnte langfristig sogar praktische Anwendungen ermöglichen. Etwa bei der Optimierung von Kühlprozessen oder Wärmekraftmaschinen. Wenn sich der Effekt gezielt nutzen lässt, könnten bestimmte Systeme schneller in einen stabilen Zustand gebracht werden – mit potenziellen Vorteilen für die Energieeffizienz.

Kritik und Skepsis bleiben bestehen

Trotz dieser neuen Erkenntnisse bleibt der Mpemba-Effekt umstritten. Besonders kritisch äußerten sich 2016 Henry Burridge und Paul Linden von der Universität Cambridge. In einer umfassenden Analyse kamen sie zu dem Schluss: Keine der untersuchten Studien (außer Mpembas Originalarbeit) liefert verlässliche Beweise für die Existenz des Effekts.

Ihre eigenen, sehr sorgfältig geplanten Experimente bestätigten den Effekt ebenfalls nicht. Sie vermuten daher, dass viele frühere Beobachtungen auf Fehlern beruhten – etwa auf unvollständigem Gefrieren oder unzureichender Temperaturkontrolle.

Eine Frage der Bedingungen

Neuere Modelle, wie das von Ren Tier von der Ohio State University, bieten jedoch plausible Erklärungen – zumindest für bestimmte Bedingungen. Demnach spielt die Grenzschicht zwischen Glas und Stellfläche im Gefrierschrank eine entscheidende Rolle. Heißes Wasser kann durch seine Wärme die Eiskristalle an der Kontaktfläche kurzzeitig schmelzen, wodurch eine gleichmäßige Wärmeleitung entsteht. Dies ermöglicht eine schnellere Abkühlung.

Allerdings ist dieser Mechanismus sehr empfindlich. Schon das Verschieben des Gefäßes kann den Effekt verhindern. Auch die genaue Geometrie und das Material der Behälter spielen eine Rolle. Der Mpemba-Effekt könnte also real sein – aber nur unter ganz bestimmten, schwer kontrollierbaren Bedingungen.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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