Cyanobakterien sind wie primitive Augäpfel und bewegen sich zum Licht
Können Einzeller sehen? Genau so ist es. Forscher haben entdeckt, dass jedes Cyanobakterium wie ein winziger Augapfel funktioniert. Lebendige Nanotechnologie.
Sie gelten als Verursacher der „Großen Sauerstoffkatastrophe“, die Cyanobakterien, denn erst sie haben den Sauerstoff in die Atmosphäre gebracht. Diese Winzlinge haben vor etwa 2,5 Milliarden Jahren durch eine primitive Form der Photosynthese die Atmosphäre der Erde derart nachhaltig verändert, dass sich all das heutige Leben entwickeln konnte. Cyanobakterien kommen überall dort vor, wo es Licht gibt: im Eis, in Wüsten, Flüssen und Seen, aber auch an Hauswänden und in Aquarien. Die Photosynthese liefert ihnen die Lebensenergie.
Cyanobakterien können sehr präzise auf eine Lichtquelle zuströmen
Lange war ungeklärt, welcher Mechanismus es dieser primitiven Lebensform ermöglicht, direkt und präzise auf eine Lichtquelle zuzuströmen. Ein internationales Wissenschaftler-Team vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Universität Freiburg, der Queen Mary University London (QMUL) und weitere Institutionen aus Großbritannien und Portugal hat nun dieses Rätsel gelöst. Jedes einzelne der kleinen Cyanobakterien funktioniert wie ein winziges Linsenauge. So können sie die Lichtrichtung wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren. Die Studie wurde jetzt in der wissenschaftlichen Zeitschrift „eLIFE“ veröffentlicht.
Kollege Zufall half mit
Wie so oft bei wissenschaftlichen Durchbrüchen half Kollege Zufall mit beim Erkenntnisgewinn. „Die Zusammenarbeit begann bei einem Mittagessen in Freiburg“, berichtet Jan Gerrit Korvink, Leiter des Instituts für Mikrostrukturtechnik (IMT) am KIT. „Conrad Mullinieux, Professor an der QMUL, besuchte gerade die Freiburger Arbeitsgruppe um Professor Annegret Wilde und fragte mich, ob ich einen Weg wüsste, den Brechungsindex eines winzigen Bakteriums zu messen. Der Brechungsindex beschreibt eine wesentliche optische Eigenschaft von Linsen, die das Licht brechen.“
Geeignete Messgeräte fehlten
Jan Gerrit Korvink musste passen. „Bakterien mit einem Durchmesser von drei Mikrometern – also drei Millionsteln eines Meters – sind so klein, dass schlicht geeignete Geräte fehlen, um so eine Messung vorzunehmen.“ Doch dann kam ihm eine Idee.
Er und sein Team am KIT beschichteten eine flache Scheibe aus Silizium mit einer sehr dünnen Schicht eines Photo-Polymers. Dieses härtet unter ultraviolettem Licht aus. Auf dieser so lichtempfindlich präparierten Platte platzierten sie einige Cyanobakterien und schalteten den UV-Strahler ein.
Bakterium bündelt Licht
Mit überraschend eindeutigen Ergebnis: „Überall, wo keine Bakterien platziert waren, fiel das Licht gleichmäßig auf die Scheibe und auch das Polymer härtete gleichmäßig aus. Aber in Bereichen mit Bakterien wurde das Licht gebündelt. Es formte einen konzentrierten Nanojet aus Photonen, so dass das Polymer unterhalb der Bakterien in einem bestimmten Muster aushärtete“, erläutert Jan Gerrit Korvink.
Das so belichtete Polymer fixierten die Forscher chemisch und bestimmten dann die Oberflächenstruktur mit einem Rasterkraftmikroskop. So wurde nachvollziehbar, wie die Bakterien das Licht gebrochen haben. „Schließlich konnten wir mithilfe einer Simulation die genauen Lichtbündelungseigenschaften von Cyanobakterien bestimmen und vorhersagen“, berichtet Korvink.
Fadenförmige Fortsätze außerhalb der Zelle
Jedes Cyanobakterium funktioniert tatsächlich wie ein winziger Augapfel. Das Licht trifft auf die runde Oberfläche, wo es wie durch eine mikroskopisch kleine Linse gebrochen wird. Es entsteht auf der gegenüberliegenden Seite der Zelle ein Brennpunkt. Genau in diesem Brennpunkt ist die Lichtintensität am größten. Und dort werden jeweils winzige fadenfömige Fortsätze außerhalb der Zelle aktiviert, die das Bakterium zielgenau in Lichtrichtung vorwärtstreiben. Ein simples, aber geniales Prinzip der Evolution.
Ein Beitrag von: