Der schnellste Wasserkocher der Welt
Kürzer als ein Wimpernzucken: In beeindruckenden 75 billiardstel Sekunden haben Forscher Wasser von Zimmertemperatur auf 100.000 Grad Celsius gebracht. Für den täglichen Gebrauch in der Küche ist der schnellste Wasserkocher der Welt nicht geeignet. Und das Wasser nicht zum Trinken: Für kurze Zeit wird daraus Plasma.
Wenn das Wissenschaftler-Team von Carl Caleman stolz vom schnellsten Wasserkocher der Welt spricht, dann darf man sich natürlich kein herkömmliches Haushaltsgerät vorstellen. Auch die Art und Weise und der Grad der Erhitzung sind nicht gerade das, was man üblicherweise unter Wasserkochen versteht. Das spektakuläre Experiment, von dem hier die Rede ist, fand im Teilchenbeschleuniger SLAC, dem Stanford Linear Accelerator Center in Kalifornien statt und benötigt wird außerdem ein Röntgenlaser. Damit brachten die Wissenschaftler das Wasser in sensationellen 75 Femtosekunden von Zimmertemperatur auf 100.000 Grad Celsius. Für kurze Zeit wird daraus Plasma – ein exotischer Zustand, den es in der Natur so nicht gibt. Von weiteren Experimenten mit dem schnellsten Wasserkocher der Welt versprechen sich die Forscher neue Einblicke in die besonderen Eigenschaften von Wasser. Zudem haben die Beobachtungen praktische Bedeutung für die Untersuchung winziger Proben mit Röntgenlasern.
Mit Röntgenblitzen beschossen
Forschungsleiter Carl Caleman und sein Team vom Center for Free-Electron Laser Science bei DESY in Hamburg und der Universität Uppsala in Schweden schossen mit dem Freie-Elektronen-Laser LCLS im kalifornischen Teilchenbeschleuniger ultrakurze und hochintensive Röntgenblitze auf einen feinen Wasserstrahl. „Das ist sicherlich nicht der übliche Weg, Wasser zu kochen“, sagt Caleman. „Normalerweise rüttelt man quasi immer stärker und stärker an den Wassermolekülen, wenn man Wasser erhitzt.“
Auf der molekularen Ebene ist Hitze gleich Bewegung. Je heißer, desto stärker bewegen sich die Moleküle eines Stoffs. Das lässt sich durch Wärmeübertragung auf einer heißen Herdplatte erreichen, oder im Fall von Wasser direkter mit einem Mikrowellenofen, der die Wassermoleküle dazu anregt, im Takt der Mikrowellen zu schwingen.
Im Experiment von Caleman schlägt der energiereiche Röntgenblitz die Elektronen aus den Wassermolekülen hinaus und zerstört so die Balance der elektrischen Ladung. Die Atome spüren plötzlich eine starke abstoßende Kraft und beginnen, sich heftig zu bewegen. In weniger als 75 Femtosekunden – das sind 0,000 000 000 000 075 Sekunden – durchläuft das Wasser eine Phasenumwandlung von flüssig zu einem Plasma. Plasma ist ein Aggregatzustand der Materie, bei dem die Elektronen von den Atomen gelöst wurden, so dass eine Art elektrisch geladenes Gas entsteht.
Wasser-Plasma ist heißer als der Erdkern
„Während aus dem flüssigen Wasser ein Plasma entsteht, behält es jedoch die Dichte des flüssigen Wassers bei, da die Atome noch keine Zeit hatten, sich nennenswert zu bewegen“, erläutert Olof Jönsson von der Universität Uppsala. Dieser exotische Zustand kommt auf der Erde nirgends natürlicherweise vor. „Er hat ähnliche Eigenschaften wie einige Plasmen in der Sonne und im Gasriesen Jupiter, hat aber eine geringere Dichte“, sagt Jönsson. „Dabei ist er heißer als der Erdkern.“
Die Forscher nutzten nun ihre Messungen, um Computersimulationen des Prozesses zu bestätigen. Mit den Messungen und Simulationen kann der spezielle exotische Zustand des Wassers besser untersucht und damit können auch die allgemeinen Eigenschaften von Wasser besser verstanden werden. „Wasser ist eine merkwürdige Flüssigkeit, und ohne ihre besonderen Eigenschaften wären viele Dinge auf der Erde nicht so, wie sie sind – insbesondere das Leben“, betont Jönsson. Abgesehen von ihrer grundlegenden Bedeutung haben die Ergebnisse auch direkte Konsequenzen für die Forschung mit Röntgenlasern, mit denen Wissenschaftler unter anderem die atomare Struktur winziger Proben untersuchen.
Wasser besitzt verschiedene Anomalien, etwa bei der Dichte, der Wärmekapazität und der Wärmeleitfähigkeit. Unter anderem diese Anomalien sollen im Rahmen des künftigen, bei DESY geplanten Centre for Water Science (Zentrum für Wasserforschung) genauer untersucht werden, und Beobachtungen wie die jetzt vorgestellte sind für diese Vorhaben bedeutsam. Ihre Arbeit haben die Wissenschaftler jetzt in den „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) vorgestellt.
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