Arktische Arche Noah der Pflanzenvielfalt: 15 Jahre Saatguttresor auf Spitzbergen
Damit Nutzpflanzem in all ihrer Vielfalt niemals von der Erdfläche verschwinden, wurde im Jahr 2008 auf Spitzbergen der Saatguttresor eröffnet. Seidem werden dort Millionen Saatgutproben von rund 6.000 Pflanzenarten aus aller Welt tiefgefroren gebunkert.
Die Arche Noah sicherte in biblischen Zeiten von der Sintflut bedrohten Arten das Überleben, so die Überlieferung. Am 26. Februar 2008 hat das moderne Gegenstück eröffnet: Auf der Insel Spitzbergen, rund 1000 km vom Nordpol entfernt, nimmt seitdem ein tief in den Permafrost-Felsen getriebener natur- und nuklearkatastrophensicherer Bunker Millionen Samenproben von Kulturpflanzensorten aus aller Welt auf, die von Kahlschlag, Klimawandel und Turbolandwirtschaft bedroht sind. Zur Feier des 15-jährigen Bestehens gibt es 20.000 neue Samenproben aus aller Welt – auch aus Deutschland.
Was ist die Idee hinter dem Saatguttresor?
Der Saatguttresor in Spitzbergen ist sozusagen das Notfallprogramm für unsere Nutzpflanzen. Sollten sie aus irgendeinem Grund aussterben oder von auf andere Weise von der Erde verschwinden, sichern sie die Ernäherung im 21. Jahrhundert. So sagt Stefan Schmitz, Exekutivdirekter des in Bonn ansässigen Welttreuhandfonds gegenüber dpa:
„Svalbard ist für uns eine Lebensversicherung, die wir vielleicht nie in Anspruch nehmen werden. Es ist eine Lebensversicherung für die Ernährung der Welt im 21. Jahrhundert.“ Insbesondere bedrohte Arten sind in Spitzbergen eingelagert.
Betroffen sind vor allem Wildformen und traditionelle Sorten. Sie benötigen länger für die Reifung und der Fruchtansatz fällt nicht so üppig aus. Das Manko machen sie aber oft mit einem höheren Gehalt an Vitaminen wieder wett. In einer vorwiegend auf Ertragsoptimierung ausgerichteten Landwirtschaft drohen sie jedoch buchstäblich von schnellwüchsigen Hochleistungssorten untergepflügt zu werden.
Nach Schätzungen der UN-Welternährungsorganisation gibt es an die 250 000 Samenpflanzenarten, von denen etwa 4000 der Ernährung des Menschen dienen. Davon decken zurzeit rund 30 Arten 90 % der aus Pflanzen gewonnen Nährstoffe ab, wobei Weizen, Reis und Mais die Hauptenergielieferanten sind.
75 Prozent der Arten sind zwischen 1900 und 2000 verloren gegangen
Ein Problem: Innerhalb der Arten hat die Vielfalt drastisch abgenommen und zwar seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts um 75 Prozent. So werden gegenwärtig weniger als 10 Prozent der ursprünglich zur Verfügung stehenden Kohl- und Erbsensorten angebaut. Bei Kartoffeln ist von einigen Dutzend Varietäten nur noch eine Handvoll handelsüblicher Sorten übrig geblieben. In Mexiko, der Heimat von Mais, fürchten Agrarforscher, dass es durch den sich ausweitenden Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu Einkreuzungen mit dem Wildtyp kommt und dieser für immer verloren gehen könnte.
Eine zentrale Aufgabe von Genbanken und des Tresors auf Spitzbergen ist es daher, die Diversität zu bewahren. „Ziel der Genbanken und des Saatgutdepots auf Spitzbergen ist die Erhaltung der genetischen Vielfalt für künftige Forschung und künftige Züchtung, und wenn Sie es global sehen, auch für die künftige Ernährung der Menschheit“, sagt Andreas Börner, Leiter der Arbeitsgruppe Ressourcengenetik und Reproduktion am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben in Sachsen-Anhalt, der größten Genbank Deutschlands und der gesamten EU.
Spitzbergen gilt als idealer Ort für die Saatgüter
„Es ist der perfekte Platz, um Samen über Jahrhunderte sicher aufzubewahren. Wir wollen so den Rückgriff auf die Vielfalt der natürlichen Genressourcen sichern“, sagte Cary Fowler 2008 bei der Einweihung des Saatguttresors. Er war damals der Direktor des Global Crop Diversity Trust (GCDT). Crop Trust zählt neben der norwegischen Regierung und dem nordischen Agrarforschungsinstitut NordGen zu den drei Betreibern des Saatguttresors.
Der „Tresor des Jüngsten Gerichts“, wie Fowler gern den Samen-Safe nannte, liegt am Rande des Städtchens Longyearbyen. Eine aus dem Felsen ragende Betonnase markiert den mit einer schweren Stahltür und Bewegungsmeldern gesicherten Einstieg in die Unterwelt. Ein 5 m hoher und 120 m langer Tunnel führt ins Innere des Felsens. Am Ende des Ganges liegen drei Kühlkammern. Sie bieten Platz für insgesamt 4,5 Mio. Probenboxen. Sie beherbergen den eigentlichen Schatz: vakuumverpackte Aluminiumtütchen mit jeweils einigen hundert Körnern Saatgut. Jede Probe stammt von einem anderen Feld oder einer anderen Farm.
Kühlaggregate halten die Temperatur der Pflanzensamen konstant bei minus 18 Grad Celsius. Selbst wenn der Strom ausfallen sollte, sorgt der Permafrost für Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. So könnten die Samen viele Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte oder Jahrtausende überdauern. Ein tiefgefrorenes Vermächtnis, das nur für den Fall entnommen werden darf, wenn andere Saatgutquellen erschöpft oder zerstört sind.
Gab es bereits einen Notfall in den vergangenen 15 Jahren?
Der Saatguttresor in Spitzbergen wurde eingerichtet, um bei Notfällen Saatgüter von ausgestorbenen Nutzpflanzen bereitstellen zu können. Gab es solch einen Notfall bereits einmal im Verlauf der vergangenen 15 Jahren? Einmal mussten die Wächter über den Saatgutschatz von Spitzbergen auf ihre eisigen Reserven zugreifen. Das internationale Forschungsinstitut Icarda konnte im Zuge des Syrischen Bürgerkriegs nicht mehr auf seine Genbank in Aleppo zugreifen – doch zum Glück hatte das Institut schon 2012 Samen aus seiner Sammlung in Spitzbergen einlagern lassen.
Åsmund Asdal, der Betriebskoordinator der Anlage sagte gegenüber dpa: „Wir konnten damals 116 000 Samenproben zu Icarda im Libanon und in Marokko schicken, mit denen neue Einheiten in diesen Ländern aufgebaut wurden. Es ist natürlich eine traurige Geschichte über Syrien, aber es ist ein exzellentes Beispiel für die Bedeutung des Saatguttresors.“ Mittlerweile konnte das Icarda wieder über 100.000 Proben in den Saatguttresor zurückschicken.
Ende Februar 2023 feierte der Samentresor in Spitzbergen seinen 15. Geburtstag. Zur Feier des Tages wurden auch 20.000 neue Samenproben aus aller Welt aufgenommen. Vom IPK stammen dabei 2761 Saatgutproben, das Julius-Kühn-Institut aus Quedlinburg steuerte ein Tütchen mit wildwachsenden Erdbeeren hinzu.
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