Olympia 2012: Porträt 20.07.2012, 11:00 Uhr

„Die Rückkehr zum Ingenieur wäre ein Cut“

Der deutsche Vorzeige-Schiedsrichter im Basketball, Robert Lottermoser, reist nach London. Was den deutschen Basketballern um Dirk Nowitzki nicht glückte, gelang dem gelernten Bauingenieur aus Bernau. Es ist der bisherige Höhepunkt seiner sportlichen Karriere, die er nicht zuletzt einer einzigen mutigen Entscheidung zu verdanken hat.

Als einsamer Repräsentant des deutschen Basketballs wird in London Robert Lottermoser einlaufen. Er wird jedoch nicht bei der Eröffnungsfeier die Fahne schwenken, sondern abseits der Fernsehkameras und außerhalb des olympischen Dorfes in Ruhe sein Quartier beziehen. Der 36-jährige Bauingenieur hat sich als Unparteiischer für das sportliche Großereignis qualifiziert. Dass er trotz seines sportlichen Erfolges kaum in Erscheinung tritt, stört ihn nicht.

Lottermoser: “Es ist eine große Ehre, bei Olympia dabei sein zu dürfen”

„Es ist eine große Ehre, bei Olympia dabei sein zu dürfen“, berichtet Lottermoser sichtlich stolz. „Für jeden Schiedsrichter, Sportler und Trainer ist es das höchste sportliche Ziel, das man erreichen kann! Mich hat dabei immer die Freude motiviert“, sagt der 36-Jährige. Ohne diese, so Lottermoser, hätte er es nicht so weit geschafft.

Lottermoser kam als Schüler zum Basketball. „Mit etwa 16 Jahren hatten einige Freunde die Idee, aus Spaß einen Schiedsrichterlehrgang für Basketball zu machen. Einen Sport, den wir bis dahin nur aus der Schule kannten“, schmunzelt Lottermoser, der damals noch kickte. Die Begeisterung für den Basketballsport setzte sich jedoch fest und brachte ihm mit 24 Jahren die höchste deutsche Referee-Lizenz ein.

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Trotz dieses raschen Aufstiegs blieb der Sport ein Hobby. „Nach meiner Ausbildung im Stahl- und Betonbau bei Hochtief, habe ich Bauingenieurwesen an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin (FHTW) studiert. „Ich komme aus einer Ingenieurfamilie und mag diesen Beruf einfach sehr gerne“, sagt der langjährig auch als Ingenieur tätige Lottermoser heute.

Erfolg als Basketball-Schiedsrichter bedeutet Aus als Ingenieur

Als seine ehemalige Fachhochschule FHTW 2009 in HTW umbenannt wurde, hatte der sportliche Erfolg des Schiedsrichters bereits sein Aus als Ingenieur besiegelt. „Die Anforderungen der Schiedsrichterei wurden 2008 so groß, dass ich mich zwischen dem Sport und dem Ingenieurberuf entscheiden musste.“ Eine schwierige Wahl, wie er sagt, bei der ihn auch sein Arbeitgeber nicht unterstützen konnte.

Bis dahin hätten sie ihm immer viele Freiheiten gelassen. „Für meine Arbeitgeber hatte meine nebenberufliche Tätigkeit einen hohen Wert. Sie waren stolz, jemanden zu haben, der auch außerhalb des Büros erfolgreich ist und sich in der Öffentlichkeit wiederfindet.“

Dann waren die beiden Welten nicht länger vereinbar: Der Ingenieur entschied sich, seinen Beruf aufzugeben und sich als Sportschiedsrichter selbstständig zu machen. „Ab einer gewissen Liga kann man Sport weder als Sportler noch als Schiedsrichter mal eben nebenbei betreiben.“

Um davon leben zu können, muss aber alles passen. Unverzichtbar sei eine breite Basis von nationalen und internationalen Einsätzen und ein guter Ruf. Diesen muss sich jeder Schiedsrichter „durch ein hohes Maß an Konzentration und Kondition“ erkämpfen, erklärt Lottermoser. „Wenn man am Ende der Spielzeit nicht mehr laufen kann, nutzt einem die ganze Konzentration nichts – und umgekehrt.“

Für Lottermoser ist das Spiel jetzt Arbeit. Von Dienstag bis Donnerstag jettet er quer durch Europa. An den Tagen, an denen er als Ingenieur sein Wochenende genoss, tingelt er nun durch die Arenen der Bundesliga. „Ich verbringe sehr viel Zeit auf Flughäfen und in Zügen oder mit Konditionsarbeit, wie Laufen und Fahrradfahren.“ Neben dem Sport sei viel Arbeit zu Hause nötig.

Nach jedem Spiel setzt sich Lottermoser hin und reflektiert seine Leistung. In der Bundesliga werden zudem in etwa 60 % der Spiele Observer eingesetzt, die einen Leistungsvergleich zwischen ihm und seinen 31 Kollegen vornehmen. Für diesen Wettkampf kann man mit Videoarbeit und „viel, viel Erfahrung“ trainieren – „um Situationen vielleicht einen Tick vorhersehen zu können“. Der einzige selbstständige Basketballschiedsrichter Deutschlands weiß, wovon er spricht. Da er bei keiner Liga angestellt ist, muss er sich über seine Leistung qualifizieren.

Auch bei Olympia ist Dabeisein nicht alles. „Die Spieler haben das Recht auf eine gute Schiedsrichterleistung – adäquat zu dem Level, das sie spielen.“ Wenn er dieser Erwartung nicht gerecht wird, wären wohl nicht nur die Spieler, sondern vor allem er selbst enttäuscht. Darum möchte er in London seine „bestmögliche Leistung abrufen, unabhängig davon, ob es ein Vorrundenspiel ist oder eines in der K.-o.-Runde“.

Olympia 2012 ist der Karrierehöhepunkt für den Basketball-Schiedsrichter

Kurz vor dem Start des absoluten Höhepunktes seiner Karriere ist Lottermoser vor allem eins: unglaublich ruhig. Er scheint in seinem persönlichen Olymp angekommen zu sein und sich richtig wohlzufühlen. Was nach Olympia kommt, darüber denkt er noch gar nicht nach. „Es wird sicherlich eine große Herausforderung, von diesem Großereignis wieder in den Alltag zu finden und dort genau die gleiche Motivation aufzubauen“, überlegt er.

Ist da an eine Rückkehr in den Ingenieurberuf zu denken? „Wenn ich morgens aufstehe und mich zwingen muss, aufs Feld zu gehen, dann wird es Zeit darüber nachzudenken.“ Wenn er diesen Schritt zurück wagen würde, sei ihm aber bewusst, dass er sich erst einmal weiterbilden müsste, um auf den neuesten Stand der Technik zu kommen. „Die Tätigkeiten als Schiedsrichter und Ingenieur haben einfach zu wenige Schnittmengen.“ Vorteile bei der Arbeitssuche rechnet er sich daher nicht aus, könnte sich aber eine Rückkehr vorstellen.

Größtes Lob für einen Schiedsrichter: Während des Spiels unbemerkt bleiben

Bis dahin wäre es für Lottermoser „das größte Lob, als Schiedsrichter nicht bemerkt zu werden während des Spiels“. Das ist weniger Bescheidenheit als Kalkül. „Natürlich erhält man gerne Lob, aber gerade als Schiedsrichter geht es noch viel schneller in die andere Richtung“, greift er eine nie enden wollende Diskussion um die Verantwortung eines Schiedsrichters auf. „Das Spiel muss im Vordergrund stehen“, fügt er noch an, wohl wissend, dass auch Basketball längst nicht mehr nur ein Spiel ist.

„Sportvereine sind längst Wirtschaftsvereine, die auf Profit aus sind und letztlich von unserer Entscheidung abhängen“, sagt Lottermoser. Wer das nötige Verantwortungsbewusstsein nicht an den Tag lege, sei „fehl am Platz“. Robert Lottermoser hat sich für den Sport entschieden. In Olympia wird er wieder zeigen können warum.   

Ein Beitrag von:

  • Lisa Diez-Holz

    Die Autorin war von 2017 bis Ende 2019 Content Managerin für das TechnikKarriere-News-Portal des VDI Verlags. Zuvor schrieb sie als Redakteurin für die VDI nachrichten.

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