Die stillen Stars der Materialwissenschaften
„Extreme Materialien in extremen Anwendungen“ sind in der Ausstellung „Stille Stars“ zu sehen, die noch bis Ende Februar im Bremer Wilhelm Wagenfeld Haus zu sehen ist. Nicht mit einem Stern, aber mit dem in der Design-Szene sehr begehrten „red dot“ des International Forum Design (iF) wurden Ende Januar die Ausstellungsmacher ausgezeichnet.
Für die von der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) in Auftrag gegebene Ausstellung hat das i/i/d Institut für Integriertes Design Bremen an der Hochschule für Künste Bremen unter der Leitung von Detlef Rahe eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte zusammengetragen, die aufgrund ihres besonderen Materials über bisher nicht da gewesene Qualitäten verfügen und dadurch völlig neue Einsatzmöglichkeiten erschließen.
Das Spektrum der mehr als 100 Exponate reicht von Haushaltsgeräten bis zu Hightech-Lösungen und von Alltagsgegenständen bis zu Zukunftsvisionen. Zu entdecken gibt es u. a. sich selbst schärfende Bleistiftanspitzer und selbstreinigendes Fensterglas, lichtdurchlässigen Beton, Extremkleber für die Flügel von Windkraftanlagen, magnetische Flüssigkeiten, die zur Tumordiagnose eingesetzt werden sowie Plastik, das sich falten lässt wie Papier, aber so reißfest ist wie Gummi.
„Spannende, neue und innovative Materialien gibt es in Hülle und Fülle“, erklärt Detlef Rahe, „aber Erfinden macht nur Sinn, wenn es auch zur Nutzung kommt. Die Frage ist nicht ‚Was können wir?’, sondern ‚Was brauchen wir?’ In der Ausstellung zeigen wir daher keine Forschungsergebnisse oder reine Materialerfindungen, sondern, wie innovative Werkstoffe zu erfolgreichen Produkten führen – und wie stark in den letzten 20 Jahren neue Materialien unser Leben verändert haben.“
„Wir wollen keine Grundlagenforschung zeigen, sondern verdeutlichen, welchen Nutzen Innovationen in der Materialentwicklung für Gesellschaft und Wirtschaft liefern“, ergänzt Sonja Pösel (WFB). Nicht selten bedarf es kreativer Ideen von Designern, um aus technologisch perfekten Erfindungen (Inventionen) anwendungsreife, marktfähige Produkte (Innovationen) zu machen. Ebenfalls nicht selten beruht der Erfolg eines Produkts auf den verwendeten Materialien. „Sie sind die eigentlichen Stars“, sagt Kai Stührenberg, Innovationsmanager bei der WFB, aber eben „stille Stars“, weil sie im Verborgenen wirken. „Mit diesem Titel signalisieren wir, wie wichtig, aber trotzdem weitgehend unbekannt solche Zukunftsmaterialien sind.“
Mit der Ausstellung, die sich bewusst an der Schnittstelle von Wissenschaft, Produktdesign und Industrie bewegt, „wollen wir Ideen für neue Produkte anschieben“, erklärt Rahe. Ergänzt wird sie daher um visionäre, aber realistische Entwicklungen und Entwürfe von Designstudenten der Hochschule für Künste. Zum Konzept gehört auch, dass viele der Ausstellungsstücke angefasst und getestet, also im wahrsten Sinne des Wortes „begriffen“ werden dürfen. Als „roter Faden“ ziehen sich Bergsteigerseile – natürlich aus Hightech-Material – durch die Ausstellung, an denen Texttafeln mit detaillierten Beschreibungen und Hintergrundinformationen aufgehängt sind.
Zu Beginn des Ausstellungsrundgangs betritt der Besucher einen Raum voller bunter Anzüge: Overalls für Astronauten und Formel-1-Rennfahrer, verschiedene Taucheranzüge, eine Feuerwehrmontur und eine Motorradkombi, ein Schwimmanzug für Hochleistungssportler und ein „Wingsuit“, ein für die MIG-Piloten entwickelter Druckanzug und ein Bundeswehr-Schutzanzug gegen chemische Kampfstoffe, ein Überlebensanzug für die Arbeit auf Bohrplattformen, ein Reinraumanzug, ein Chemikalien- und ein Wespenschutzanzug. „Jeder dieser Anzüge ist genau auf einen bestimmten Einsatz spezialisiert“, erklärt Sonja Pösel, „und aus dem dafür optimal geeigneten Material hergestellt.“
Gegliedert ist die Ausstellung nach Eigenschaften und Gegensatzpaaren wie zum Beispiel „weich + hart“, „leicht + schwer“, „heiß + kalt“, “ glatt + rau“, „flexibel + fest“.
Beim Thema „flexibel + fest“ sind so unterschiedliche Exponate wie ein Fahrrad aus Hanf und ein lichtdurchlässiger Betonklotz zu sehen. „Die Exponate sind zwar aus unterschiedlichen Materialien hergestellt, haben aber die gleichen Eigenschaften oder sind aus dem gleichen Material, haben aber ganz unterschiedliche Einsatzgebiete – technische Keramiken werden sowohl für künstliche Hüftgelenke als auch für Mahlwerke von Pfeffermühlen verwendet“, erläutert Sonja Pösel.
„Materialwissenschaften sind mit der bedeutendste wissenschaftlich-technologische Schwerpunkt in Bremen“, berichtet Hans-Georg Tschupke, Abteilungsleiter Innovation bei der WFB, „und die Materialwissenschaft in Bremen ist stark anwendungsorientiert – wir haben ja auch die Anwenderbranchen direkt vor der Haustür: Automobilbau – früher Borgward, heute Daimler, Flugzeugbau – Airbus – und Windkraftanlagenbau. Die Kooperation zwischen den Großunternehmen, den Bremer Wissenschaftseinrichtungen, aber auch den Forschungsinstituten untereinander funktioniert sehr gut. Sie beschäftigen sich nicht nur mit neuen Werkstoffen, sondern auch mit dem Engineering, also der industriellen Umsetzung in den für die Produktion nötigen Maschinen- und Anlagenbau.“
Wichtigster Innovationstreiber sei die Flugzeugindustrie mit ihrem Mega-Thema Leichtbau. Bei CFK habe sich in den letzten Jahren hinsichtlich der Fertigungsprozesse sehr viel getan. In der Ausstellung ist der Verbundwerkstoff in Form einer Flugzeug-Landeklappe und einer Bierbank vertreten.
ANNE SCHNELLER
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