Cyborgs und virtuelle Realitäten 08.11.2017, 07:53 Uhr

Die (Technik-) Welt im Jahr 2030

Die Stiftung Weltwirtschaftsforum hat einen Blick in die Glaskugel gewagt und ihre Vorstellung des menschlichen Lebens im Jahr 2030 präsentiert. Wir haben uns angesehen, wie realistisch diese Visionen sind.

Foto: panthermedia.net/truelight

Heute sind VR-Brillen noch klobige Gadgets, aber ihr Potenzial wächst, je kleiner sie werden.

Foto: Friso Gentsch/dpa

Bei Gentechnik denken viele Menschen an Mais. Das WEF dagegen denkt auch an Embryos und Haustiere.

Foto: Norbert Försterling/dpa

Ein 3D-Drucker stellt Knorpelgewebe her. US-Forschern ist es jetzt gelungen, mit ein und demselben Gerät verschiedene Organe wie Niere, Herz oder Lunge in nur 30 Minuten herzustellen. 

Foto: Wake Forest Institute for Regenerative Medicine

Die österreichische Post testet mit Zustellfahrzeugen wie diesem das Potenzial autonomer Fahrzeuge.

Foto: Erwin Scheriau/APA/dpa

Cyborgs sind Menschen, die sich technisch modifizieren lassen. Wie der sehbehinderte britische Avantgarde-Künstler Neil Harbisson, der eine Antenne in seinen Schädel implantieren ließ, um Farben hören zu können.

Foto: dpa

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In einem beachtenswerten Artikel hat das Weltwirtschaftsforum, kurz WEF, die (Technik-)Welt im Jahr 2030 vorgestellt und einen Ausblick auf die möglichen technologischen Entwicklungen von morgen gegeben. Wir haben diese Vorhersagen unter die Lupe genommen und ihre Wahrscheinlichkeit genauer untersucht. Denn 2030 ist nicht so weit weg, wie manch einer noch denken mag.

Die fünf Vorhersagen des Weltwirtschaftsforums im Überblick

Das Weltwirtschaftsforum hat mit seinen Vorhersagen für die Technik-Welt im Jahr 2030 sehr weit ausgeholt und sowohl die persönlichen Lebensumstände als auch die gesellschaftlichen Veränderungen zu erfassen versucht. Neben vielen kleineren Entwicklungen rücken vor allem fünf besonders bedeutsame Punkte in den Blick, die unser aller Leben nachhaltig und dauerhaft verändern könnten.

1. Die Welt der Bildschirme gehört der Vergangenheit an

Bildschirme und Displays sollen im Jahr 2030 bereits obsolet geworden sein und durch VR-Lösungen ersetzt werden, die das benötigte Bild direkt auf unsere Retina projizieren. In diesem Zuge würden die bisher angebotenen klobigen VR-Brillen deutlich weiterentwickelt und verbessert, sodass die modernen Lösungen problemlos in einer Sonnenbrille oder einer normalen Brille Platz finden werden.

Damit einhergehen würde eine deutliche Veränderung der Produktionsbedingungen, sodass alle Arbeiter, die in der heutigen Zeit mit der Konstruktion und Montage von Bildschirmen und Bildschirmgeräten beschäftigt sind, nicht mehr in diesem Bereich benötigt werden würden.

Wir meinen: Insgesamt ein durchaus denkbarer Vorgang und eine technische Lösung, die sich bereits heute abzeichnet. Ob sich das alles allerdings bis zum Jahr 2030 realisieren lässt, ist stark zu bezweifeln. Betrachtet man hierfür nur die Entwicklungen der aktuellen VR-Brillen wie der Oculus Rift und deren technischer Ausgestaltung, so müsste die Entwicklung bis zum Jahr 2030 erhebliche Fortschritte machen und sich deutlicher vom Umfeld der Spiele-Industrie lösen, als das aktuell der Fall ist. Auch wenn natürlich erste Anwendungsfälle wie der Autokauf per VR-Brille in der Erprobung sind.

2. Genetische Veränderungen bei Lebewesen

Im Jahr 2030 soll die genetische Veränderung von Lebewesen zum Alltag gehören. Nicht nur, dass es möglich sein soll, Haustiere nach den eigenen Vorstellungen zu entwickeln, auch das Ausmerzen von Krankheiten und genetischen Störungen bereits im Mutterleib soll in Zukunft möglich sein. Somit soll der Mensch von klein auf zu mehr Effizienz und Leistungsfähigkeit gebracht werden, was ihm wiederum einen wirtschaftlichen und sozialen Vorteil verschaffen würde.

Wir meinen: Kaum eine Vorstellung des Weltwirtschaftsforums ist so erschreckend wie diese. Auch wenn es technisch und anhand der Forschung sicherlich möglich wäre, Haustiere im Pelz eines Minitigers zu erschaffen oder Menschen genetisch zu optimieren, so dürften gerade diesem Punkt ethische Grenzen im Wege stehen. Allein die ethisch-moralischen Diskussionen um die Grundlagen einer solchen Entwicklung und die genaue Abschätzung der Gefahren bei Arbeiten mit dem menschlichen oder tierischen Genom dürften länger als bis ins Jahr 2030 hinein andauern. Auch wenn an Software, mit der Eltern ihr Wunschbaby konfigurieren können, bereits heute gearbeitet wird: Eine solche Zukunftsvision ist wohl aktuell nur eine Dystopie und wird bis zum Jahr 2030 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur Realität.

3. Bio-Fertigung: Technologie von morgen

Biotechnologie hingegen wird einen großen Teil der Wirtschaftsleistung im Jahr 2030 generieren, meint das Weltwirtschaftsforum. Sei es beim Züchten von künstlichen Organen für kranke Menschen, bei der Erzeugung von künstlichem Fleisch für die Ernährungsindustrie oder durch den Einsatz von Bakterien, Algen oder Nano-Technologie bei der Fertigung von Bauteilen, Gebäuden oder Werkstücken.

Wir meinen: Dieser Gedanke ist durchaus nachvollziehbar und in der aktuellen Entwicklung sichtbar. Unternehmen wie Memphis Meats oder auch Beyond Meat, aber auch Wissenschaftler weltweit arbeiten bereits sehr erfolgreich an der Entwicklung künstlichen Fleisches zu Nahrungszwecken. Und auch die künstliche Züchtung von Organen ist auf einem sehr guten und innovativen Weg. Die Entwicklungen in der Nanotechnologie und die Nutzung von vorhandenen natürlichen Ressourcen etwa als Baumaterialien werden ebenfalls mit großen (Fort-)Schritten vorangetrieben, sodass hier bis zum Jahr 2030 wirkliche Erfolge zu erwarten sind.

4. Das autonome Fahren wird zum Standard

Im Jahr 2030 sollen Fahrzeuge ausschließlich autonom und vom Computer gesteuert bewegt werden. Eigene Fahrzeuge gehören der Vergangenheit an. Denn wenn Fahrzeuge nur noch on demand geordert werden können, wird jedes einzelne Fahrzeug wirtschaftlicher genutzt. Die Antriebe der autonomen Fahrzeuge werden nach WEF-Vorstellung zum größten Teil elektrisch sein und damit „emissionsfrei“ (zur Umweltfreundlichkeit von Elektroautos) arbeiten.

Wir meinen: Eine durchaus attraktive These, die tatsächlich in die bereits eingeschlagene Richtung weist. Allerdings ist es fraglich, ob sich diese Entwicklung bis zum Jahr 2030 abschließen lässt. Denn ohne eine deutliche Weiterentwicklung der aktuellen Akkutechnologie und eine Lösung der ethischen Entscheidungsprobleme automatisierter Fahrsysteme wird diese Vision erst in ferner(er) Zukunft Wirklichkeit.

Ein echter Durchbruch in diesen beiden Bereichen könnte die Karten jedoch schlagartig neu mischen: Es würde ausreichen, um die Entwicklung in diesem System stark genug anzustoßen und die Vorstellungen des Weltwirtschaftsforums umsetzbar erscheinen zu lassen.

5. Implantate zur Verbesserung der körperlichen Möglichkeiten

Im Jahr 2030 sollen viele körperliche Unzulänglichkeiten durch verschiedene Implantate ausgeglichen werden können. Neben dem medizinischen Nutzen wird die Implantologie vor allem genutzt, um die Möglichkeiten des menschlichen Körpers zu erweitern und ihn mit neuen Funktionen auszustatten.

Wir meinen: Betrachtet man bereits heute Biohacker, die als erste Schritte USB-Speicher, NFC-Chips und ähnliche Verbesserungen in den eigenen Körper implantieren, oder Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Mikrochip-Implantate versetzen, so ist diese Entwicklung nicht unbedingt von der Hand zu weisen. In welchem Maße die verschiedenen Implantate in der Lage sein werden, die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers zu erweitern, bleibt allerdings aktuell noch sehr fraglich.

Wie realistisch sind diese Aussichten wirklich?

Viele der Voraussagen des Weltwirtschaftsforums für das Jahr 2030 lassen einen eine ungeheure Veränderung innerhalb weniger Jahre erwarten. Doch sie sind mit Vorsicht zu betrachten. Es werden vor allem technische Möglichkeiten aufgezeigt, die anhand der aktuellen Entwicklungen durchaus realistisch und möglich erscheinen. Die dabei aufkommenden ethischen und moralischen Fragen werden jedoch nicht berücksichtigt, obwohl sie für die Verwirklichung dieser Visionen von entscheidender Bedeutung sind. Die politischen, ethischen und moralischen Entscheidungen der kommenden Jahre werden die oben genannten Entwicklungen maßgeblich beeinflussen, sie verzögern oder stoppen.

Was bei vielen Gedanken über die Möglichkeiten und Optionen in der Zukunft nicht bedacht wird, ist die Tatsache, wie nah manche Szenarien bereits gerückt sind. Wir befinden uns heute näher am Jahr 2030 als am Jahr 2000. Dementsprechend bleibt für viele der Entwicklungen nur ein sehr begrenzter Zeitraum. Von der technischen Machbarkeit einmal abgesehen, spielen außerdem Regularien, Zulassungsbedingungen und ethische Fragen eine große Rolle. Dementsprechend mögen im Jahr 2030 eventuell die technischen und mechanischen Möglichkeiten vorhanden sein, um einen großen Teil der Visionen des Weltwirtschaftsforums zu erfüllen, doch ob und in welchem Maße sie umgesetzt werden dürfen, steht auf einem gänzlich anderen Blatt.

Ein Beitrag von:

  • ingenieur.de

    Technik, Karriere, News, das sind die drei Dinge, die Ingenieure brauchen.

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