Nutzung des Magnus-Effekts 07.08.2024, 16:00 Uhr

Der Flettner-Rotor: Eine fast vergessene Erfindung

Der Flettner-Rotor trieb vor rund 100 Jahren Schiffe an, ist dann aber schnell in Vergessenheit geraten. Nun wird er wiederbelebt. Grund genug für uns, ihn einmal etwas genauer anzuschauen.

Flettner Rotor

So könnten die neuen Frachtschiffe von Airbus mit Flettner-Rotor aussehen.

Foto: Airbus

Vor rund 100 Jahren sorgte eine seltsam anmutende Erfindung für Furore: der Flettner-Rotor. Wie ein Schornstein (nur ohne Dampf und Rauch) ragte er aus Schiffen heraus und trieb sie mit Windkraft an. Doch der Hype währte nur wenige Jahre. Jetzt hat ihn Airbus wieder aus der Mottenkiste geholt und will damit künftig Frachtschiffe antreiben. Wir werfen einen Blick auf die rotierenden Zylinder, die den Magnus-Effekt nutzen und eine Alternative zum umweltschädlichen Schiffsantrieb mit Schweröl werden könnten.

So sah der ursprüngliche Flettner-Rotor aus

Mit dem umgebauten Dreimastschoner Buckau, der in der Germaniawerft Kiel zum Rotorschiff umgerüstet wurde, machte Flettner seine ersten praktischen Erfahrungen mit seiner innovativen Antriebstechnologie. Das besondere Merkmal: Zwei riesige schornsteinartige Gebilde an Deck des Schiffes. Die hohlen Zylinder waren aus einem Millimeter dickem Stahlblech gefertigt und innen durch eine Gitterkonstruktion ausgesteift. Die rund 15 Meter hohen Zylinder hatten einen Durchmesser von etwa 2,8 Metern und waren drehbar auf einer Art Zapfen gelagert – ähnlich, wie man es von Kranen kennt.

In diesen Unterbau war ein Elektromotor eingebaut, der 11 Kilowatt bei 750 Umdrehungen pro Minute leistete. Für ein Schiff ist das ein lächerlicher Wert und nicht vergleichbar mit Schraubenschiffen, bei denen die Antriebsleistung in Tausenden von Kilowatt gemessen wird. Zurück zum Flettner Rotor: Die größeren Endscheiben halten die Strömung am Rohr und verhindern dadurch eine sonst deutliche Verringerung des Wirkungsgrades am Ende des Rotors. Gedreht wird der Rotor mit einer an die herrschende Windgeschwindigkeit angepasste Geschwindigkeit.

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Die Buckau wurde bei Windstille und eingeschränktem Fahrwasser von einem Hilfsmotor angetrieben, der einen Propeller betrieb. Nach diversen Tests unter unterschiedlichen Wetterbedingungen erreichte Flettners Rotorschiff, das inzwischen in Baden-Baden umbenannt worden war, nach einer erfolgreichen Atlantiküberquerung am 9. Mai 1926 New York.

So funktioniert der Flettner-Rotor?

Schauen wir uns an, wie der Flettner-Rotor funktioniert: Ein starrer Zylinder, der von Luft umströmt wird, erzeugt eine Kraft in Strömungsrichtung. Diese Kraft entsteht durch den Windwiderstand der überstrichenen Fläche. Ein rotierender Zylinder hingegen nutzt den Magnus-Effekt. Dabei entstehen Sog- und Staudruckkräfte, die eine viel größere Kraft quer zur Strömungsrichtung erzeugen.

Bläst der Wind gegen einen rotierenden Zylinder, wird die Luft auf der Seite beschleunigt, auf der Drehrichtung des Zylinders und Windrichtung übereinstimmen. Auf der gegenüberliegenden Seite wird die Luft abgebremst. Dadurch entsteht auf der beschleunigten Seite ein Unterdruck und auf der abgebremsten Seite ein Überdruck. Die resultierende Kraft wirkt quer zur Strömungsrichtung und erzeugt dynamischen Auftrieb. Dieser Effekt ist vergleichbar mit dem Auftrieb an einem Flugzeugflügel, aber wesentlich effizienter – etwa zehnmal stärker als bei einem Segel oder einem starren Flügel mit gleichem Windwiderstand.

Die Germaniawerft, die 1924 mit dem Umbau der Buckau begann, hatte große Zweifel, ob das so funktionieren würde. Kaum war der erste Rotor montiert, ließ man ihn mit Werftstrom anlaufen – nur um zu sehen, ob sich die Halteseile ein wenig strafften. Schon nach wenigen Umdrehungen wollte sich das Schiff in Bewegung setzen. Flettner erhielt einen aufgeregten Anruf von der Werftleitung, aber er antwortete nur cool: „Ja, was haben Sie denn anderes erwartet?“ Die Zweifel sind verständlich: Die beiden Zylinder stellten dem Wind eine Querschnittsfläche von 85 Quadratmetern entgegen, bei den damals üblichen Segelschiffen war die Takelage zehnmal so groß.

Das ist der Magnus-Effekt
Der Magnus-Effekt ist nach dem deutschen Physiker und Chemiker Heinrich Gustav Magnus benannt. Das Phänomen beschreibt die Querkraft, die ein rotierender Körper wie ein Zylinder oder eine Kugel in einer Strömung erfährt. Obwohl Benjamin Robins den Effekt bereits rund 100 Jahre vor Magnus vermutete, lieferte Magnus 1852 den ersten experimentellen Nachweis und erklärte das Phänomen physikalisch.
Magnus beschrieb den Effekt mit Hilfe der Bernoulli-Gleichung. Diese stellt eine Beziehung zwischen Druck- und Geschwindigkeitsfeldern in einer reibungsfreien Strömung her. Magnus kombinierte zwei Geschwindigkeitsfelder: die symmetrische Umströmung eines nicht rotierenden Zylinders und die Zirkulationsströmung um einen rotierenden Zylinder. Auf der Seite des Zylinders, die sich mit der Strömung dreht, ist die Geschwindigkeit höher und der Druck niedriger.
Lord Rayleigh lieferte 1877 eine theoretische Begründung für den Magnus-Effekt, obwohl die Grundlagen bereits von Robins gelegt worden waren. Später, 1959, erweiterte Briggs die Erklärung durch die Grenzschichttheorie von Ludwig Prandtl. Bis ins 21. Jahrhundert wird an der Optimierung von Geschossformen unter Berücksichtigung des Magnus-Effekts gearbeitet.

Wie effizient ist der Flettner-Rotor?

Die Effizienz eines Flettner-Rotors hängt von mehreren Faktoren ab: der Anströmungsgeschwindigkeit, der Drehgeschwindigkeit des Rotors und dem Verhältnis beider zueinander. Typischerweise liegt die Geschwindigkeit der Rotoroberfläche beim Drei- bis Vierfachen der Windgeschwindigkeit. Das ermöglicht einen sehr effizienten Antrieb, mit Rotordrehzahlen von etwa 100 Umdrehungen pro Minute bei Schiffsantrieben.

Ändert man die Drehrichtung des Rotors, kehrt sich auch die erzeugte Kraftkomponente um. Eine zweite Kraftkomponente entsteht durch den Windwiderstand in Strömungsrichtung. Die Gesamtkraft, die aus diesen beiden Komponenten resultiert, wird zur Fortbewegung des Schiffes genutzt.

Trotz der vielen Vorteile gibt es Einschränkungen. Die quer zum Wind wirkenden Antriebskräfte der Rotoren liefern keinen Vortrieb bei Kursen direkt gegen den Wind und wenig bei Kursen vor dem Wind. Die Drehzahl des Rotors muss an die Windgeschwindigkeit angepasst werden. Bei hohen Windgeschwindigkeiten ist die Effizienz hoch, doch bei niedrigen Windgeschwindigkeiten ist der Betrieb des Rotors relativ aufwändig.

Flettner Rotor

Der Magnus-Effekt am Flettner-Rotor sorgt für Vortrieb am Schiff. Rechts, wo die Stromlinien eng stehen, herrscht Unterdruck. In diese Richtung zieht die Querkraft.

Foto: Dominik Hochwarth

Wofür wurde und wird der Flettner-Rotor verwendet?

Wie bereits erwähnt, fuhren die ersten Rotorschiffe in den 1920er Jahren. Neben der Buckau wurden auch andere Schiffe mit dem Flettner-Rotor ausgerüstet. So war die Flettner-Jacht mit einem sechs Meter hohen Rotor ausgestattet.

1925 verlor eine von Flettner gebaute Rennyacht mit einem 5,8 Meter hohen Aluminium-Rotor ein Rennen auf dem Wannsee gegen ein Segelboot. Generell konnte sich der Rotorantrieb jedoch nicht durchsetzen. Dampfmaschinen und Dieselmotoren boten einfach wirtschaftlichere Alternativen. So geriet der Flettner-Rotor nach 1930 fast in Vergessenheit.

Das Rotorschiff „Barbara“ zeigte, dass dieser Schiffstyp wirtschaftlich betrieben werden konnte. Das Schiff war 93 Meter lang, 13 Meter breit und 8 Meter hoch. Es konnte 3000 Tonnen Nutzlast transportieren und wurde im Liniendienst als Frachter für Südfrüchte im Mittelmeer eingesetzt. Bei Windstärke 5 erreichte die Barbara mit Propeller und Rotoren eine Geschwindigkeit von 13,5 Knoten, ohne Propeller, nur mit Rotoren und Wind, immerhin noch 9,5 Knoten. Die Wirtschaftskrise führte jedoch dazu, dass das Schiff keine Ladung mehr hatte und das Schicksal des Flettner-Rotors besiegelt war.

Neuanfang in den 1980er-Jahren

In den 1980er Jahren wurde das Prinzip des Magnus-Effekts, auf dem der Flettner-Rotor basiert, erneut aufgegriffen. Lucien Malavard, Bertrand Charrier und Jacques-Yves Cousteau entwickelten ein neues Segelkonzept. Ihr Ziel war es, die Vorteile des Magnus-Effekts für die Schifffahrt nutzbar zu machen.

Cousteau ließ 1982 einen Katamaran namens Moulin à Vent mit einem Prototypen des neuen Segels ausstatten. Drei Jahre später folgte das Forschungsschiff Alcyone. Diese Schiffe nutzten das sogenannte Turbovoile-System, das als Hilfsantrieb konzipiert war. Anders als der Flettner-Rotor, der durch Rotation arbeitet, maximiert das Turbovoile-System den Luftstrom durch spezielle Strömungsabweiser und Saugvorrichtungen.

Moderne Anwendungen

Am 2. August 2008 wurde in Kiel ein Schiff mit dem Namen E-Ship 1 vom Stapel gelassen. Dieses Schiff nutzte Flettner-Rotoren in einer bisher nicht dagewesenen Größe. Diese Rotoren dienen nicht nur als Hilfsantrieb, sondern tragen auch zur Stabilisierung des Schiffs bei. Durch die Rotation der Rotoren wird ein zusätzlicher Vortrieb erzeugt, der den Treibstoffverbrauch reduziert. Dies macht den Flettner-Rotor zu einer wichtigen Komponente in der Entwicklung energieeffizienter Hybridantriebe.

Im Jahr 2023 kündigte Airbus an, dass es drei Frachtschiffe mit Flettner-Rotoren bauen lassen möchte. Das erste Schiff soll bereits 2026 vom Stapel laufen. Der CO2-Ausschuss für den Transatlantiktransport sinkt dadurch von aktuell 68.000 Tonnen pro Jahr auf 33.000 Tonnen, so das Unternehmen in einer Pressemitteilung.

Anton Flettner – der Ingenieur hinter den Rotorschiffen

Der Ingenieur, Lehrer und Erfinder Anton Flettner wurde 1885 in Eddersheim bei Frankfurt am Main geboren. Zwischen 1912 und 1960 meldete er über 1000 Patente an, darunter den Flettner-Rotor. Bereits im Alter von 29 Jahren stellte er seine erste Erfindung, einen steuerbaren Torpedo, dem damaligen Reichsmarineamt vor. Der Torpedo wurde jedoch ebenso wie seine nächste Erfindung, ein ferngesteuerter Panzer, als technisch nicht realisierbar abgelehnt.

Nach dem Ersten Weltkrieg machte sich Flettner Gedanken darüber, wie man den Personal- und Zeitaufwand für den Antrieb von Segelschiffen verringern könnte. Er plante, die herkömmlichen Segel aus Tuch durch Metallsegel zu ersetzen, die mit einem Hilfsruder versehen werden sollten. Noch bevor in Kiel ein Schiff mit diesen Metallsegeln umgebaut wurde, erfuhr er von Experimenten mit rotierenden Zylindern an der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen. Auf der Grundlage dieser Versuchsergebnisse entwickelte er den so genannten Flettner-Rotor.

Später arbeitete Flettner in der Luftfahrt und konstruierte zum Beispiel ein Flugzeugruder mit Hilfssteuerfläche. Auch an der Entwicklung eines neuartigen Hubschraubers war der Ingenieur in den 1930er-Jahren beteiligt. Im Jahr 1947 ging er in die USA und gründete dort die Flettner Aircraft Corporation. Das Unternehmen beriet hauptsächlich die US Navy bei neuartigen Flugzeugkonzepten und war in der Weiterentwicklung des Flettner-Doppelrotors tätig. Dieser ist nicht mit dem Flettner-Rotor zu verwechseln, denn es handelt sich um eine Rotorkonfiguration für Hubschrauber. Ende 1961 starb Flettner in New York City.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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