Entwarnung bei den Risiken
Nano ist nicht gleich Nano und vor allem ist winzig nicht gleich gefährlich: Es ist vor allem die Struktur der Oberfläche, die dafür verantwortlich ist, ob die winzigen Partikel, wenn sie eingeatmet werden, für den Menschen gefährlich werden können.
Nanotechnologie boomt: Inzwischen sind über 800 mittels Nanotechnologie veredelte Produkte für den Endverbraucher erhältlich. Bislang stand die Frage ungeklärt im Raum, wie gefährlich diese winzigen Partikel für den Menschen sind, der sie zum Beispiel verschluckt oder auch einatmet. Das Verbundprojekt „Nanostrukturierte Materialien – Gesundheit, Exposition und Materialeigenschaft“ (nanoGEM) liefert derzeit auf seiner Abschlusskonferenz vom 11. bis 13. Juni 2013 in Berlin Antworten.
Und zwar beruhigende Antworten. Denn jetzt kann als sicher gelten, dass jemand, der Nanoteilchen verschluckt, keinem besonderen Risiko ausgesetzt ist. Das gilt sowohl für reine Nanopartikel als auch für die sogenannten funktionalisierten Nanopartikel, bei denen Moleküle auf der Oberfläche gebunden werden, um beispielsweise die Verarbeitbarkeit, die Löslichkeit oder die Stabilität der Produkte zu erhöhen. „Nanopartikel, die oral verabreicht werden, egal ob funktionalisiert oder nicht, zeigten keine signifikanten toxischen Effekte in allen unseren Untersuchungen“, erklärt der Leiter des Projektes, Dr. Thomas Kuhlbusch vom Institut für Energie- und Umwelttechnik (IUTA) e.V. in Duisburg, „ein Einfluss der Funktionalisierung der Partikel auf die Wirkung zeigte sich hingegen bei den Versuchen, in denen die Partikel eingeatmet oder auf Zellen direkt aufgebracht wurden.“ Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeutung der Partikeloberfläche für die Wirkung von Nanopartikeln.
Nanopartikel bringen völlig neue physikalische Eigenschaften mit sich
Diese Erkenntnis ist neu, denn bislang zielte alle Risikoforschung auf die Teilchengröße ab. Denn die Zwergpartikel – nanos heißt auf Griechisch Zwerg – sind in ihrem Durchmesser noch einmal eintausend Mal kleiner als ein menschliches Haar. Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter. Diese Größenordnung bezeichnet einen Grenzbereich, in dem die Oberflächeneigenschaften gegenüber den Volumeneigenschaften der Materialien eine immer größere Rolle spielen und zunehmend quantenphysikalische Effekte berücksichtigt werden müssen. Und genau diese extreme Winzigkeit macht sie so interessant für die Forschung und vor allem für die Materialtechnik. Bedingt durch ihre Winzigkeit bringen die Zwergpartikel plötzlich völlig neue physikalische Eigenschaften mit sich.
So wirkt Nanosilber antimikrobiell und kommt in kosmetischen Produkten wie Seifen, Cremes und Lotionen zum Einsatz. Nanosilber veredelt auch Textilien für den Sport, weil seine antimikrobielle Wirkung den Schweißgeruch verhindert. In modernen Sonnencremes besteht der Schutz vor ultravioletter Strahlung aus nanoskalinem Titandioxid. Im Automobil- oder Flugzeugbau sind es Nanomaterialien in Form von Nanokompositionsmaterialien für die energieeffiziente Fertigung, denn bei einem geringeren Gewicht lässt sich eine höhere Festigkeit erreichen.
Im Handel sind vor allem Lacke und ähnliche Produkte
Nanoobjekte sind häufig ein Zwischenprodukt der industriellen Herstellung von nanostrukturierten Materialien. In den Handel für Endverbraucher kommen aber Produkte aus Nanokompositen, also durch ihre interne Nanostruktur zum Beispiel durch eingelagerte Nanopartikel veredelte Thermoplasten, Lacke oder auch Membranen. Für die Arbeitssicherheit in industrieller Produktion und Weiterverarbeitung ist die Inhalation als kritischer Pfad zur Aufnahme zu benennen. Für den Endverbraucher steht hingegen Nanomaterialienhaltige Nahrung und eine dadurch mögliche Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt im Vordergrund.
Das Projekt nanoGEM hat sich exemplarisch 16 verschiedene Nanopartikel vorgenommen und diese zahlreichen toxikologischen Untersuchungen unterzogen. Es wurde geprüft, was mit den verschiedenen Nanopartikeln passiert, wenn sie eingeatmet oder verschluckt werden. Ebenfalls Gegenstand der Untersuchungen war die Frage, wie sich diese Nanopartikel, einmal verschluckt oder eingeatmet, eigentlich im Körper verteilen und verhalten. Testsubstanzen waren Siliziumdioxid (SiO2) und Zirkoniumdioxid (ZRO2), die zum Beispiel in Lacken eingesetzt werden, um deren Kratzfestigkeit zu erhöhen, sowie Silberpartikel (AG), die in Drucktinten für die Solartechnik zum Einsatz kommen.
Nanopartikel werden eingebunden im Kunststoff freigesetzt und sind nicht toxisch
Eine entscheidende Frage für die Risikobeurteilung von Nanoteilchen ist die Freisetzung der Winzlinge. Denn nur dann, wenn sie frei in der Luft herumschwirren, können sie zum Beispiel vom Menschen eingeatmet werden.
Im Rahmen von nanoGEM gab es deshalb umfangreiche Schleif- und Verwitterungsuntersuchungen von nanopartikelhaltigen Kunststoffen. Dabei zeigte sich, dass die ursprünglich eingebrachten Nanopartikel fast ausschließlich eingebunden im Kunststoff freigesetzt werden. In den nachgeschalteten separaten toxikologischen Untersuchungen ließ sich daher keine spezifische Toxizität nachweisen.
Einen innovativen Weg einer Messstrategie für Nanopartikel in der Atemluft hat das Projekt nanoGEM auch entwickelt. Bisher gleicht das Hantieren am Arbeitsplatz mit Nanopartikeln einer Art von Russischem Roulette, wo niemand sicher sein kann, sich keiner gesundheitlichen Gefährdung auszusetzen.
Im Rahmen von nanoGEM ist nun ein dreistufiger Ansatz entwickelt worden: In der ersten Stufe werden Informationen gesammelt, in der zweiten Stufe werden orientierende Messungen durchgeführt. Erst in der erweiterten dritten Stufe geht es um die genaue Beurteilung der Belastung. Diese dritte Stufe ist dann die Intensivmessung. Das dreistufige Verfahren ermöglicht auch kleineren Betrieben eine solche Sicherheitsuntersuchung, weil die beiden ersten Stufen nur relativ niedrige Kosten verursachen.
nanoGEM ist ein Verbund aus 19 Partnern
Das Projekt nanoGEM ist ein Verbund aus 19 Partnern – Universitäten, Forschungsinstitute, Behörden und Industrie – der sich in den letzten drei Jahren intensiv mit der Frage der Sicherheit von Nanomaterialien befasst hat. Die Liste der beteiligten Partner ist ziemlich exklusiv. Da sind seitens der Industrie BASF und Bayer mit den Töchtern Bayer Technology Services GmbH und Bayer Material Science AG dabei. Als Behörden und Institute sind das Bundesinstitut für Risikobewertung und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit im Forschungsboot. Auch die Universität Saarland und das Universitätsklinikum Münster sind mit dabei. Das alles sind Partner, die sich schon viele Jahre mit den Risiken der Nanotechnologie beschäftigen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Industrie haben insgesamt rund 6,5 Millionen Euro in dieses Projekt investiert. Damit ist nanoGEM das größte Projekt, das vom Forschungsministerium im Rahmen der NanoCare-Ausschreibungen gefördert wird. NanoCare war ein BMBF-Projekt, welches von 2006 bis 2009 lief und das Ziel hatte, eine allgemeine Informations- und Wissensbasis über eine mögliche Gefährdung der Menschen durch Nanomaterialien zu schaffen. Mit nanoGEM ist es gelungen, diese große Wissenslücke ein Stück weit zu schließen.
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