Erneuerbare Energien versorgen uns vollständig: So stellt sich Forscherin Maike Schmidt das Jahr 2050 vor
Weltweite Naturkatastrophen, dafür kaum noch Luftschadstoff in den Städten und der Handel läuft nur noch online: Wie sich Maike Schmidt vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg die Welt im Jahr 2050 vorstellt.
2020 war so ein Jahr, in dem viele von uns sich in eine ferne Zukunft wünschten. Wie geht es weiter, wenn diese Krise erst einmal überstanden ist? Wird alles wieder so wie vorher oder sogar besser? Wie leben wir in 30 Jahren? Wir haben Menschen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gefragt, wie sie sich das Jahr 2050 vorstellen. In unserer neuen Serie „So sieht die Welt 2050 aus“ verraten wir Ihnen ihre Antworten.
Diesmal hat sich Maike Schmidt Gedanken über die Zukunft gemacht. Sie ist Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse beim Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW).
INGENIEUR.de: Frohes Neues Jahr, Frau Schmidt! Die Silvesternacht ist vorbei, 2049 war gestern. Wir schreiben jetzt das Jahr 2050. Erzählen Sie uns, wie die Welt heute aussieht.
Im Jahr 2050 ist die Welt …
eine andere: Infolge des Klimawandels häufen sich weltweit Wettereskapaden und Naturkatastrophen. Auch in Europa werden die Auswirkungen wie Nahrungsmittelknappheit und Wassermangels spürbar. Dies hat jedoch zu einem radikal veränderten Umgang mit endlichen Ressourcen geführt. Mobilität, Wohnen und industrielle Prozesse sind streng an den Kriterien der Klimaneutralität und Nachhaltigkeit orientiert. Eine stringente Kreislaufwirtschaft, Recycling und die konsequente Minimierung des Energiebedarfs ermöglichen weiterhin ein hohes Wohlstandsniveau. Erneuerbare Energien decken den Energiebedarf vollständig. Speicher, Back-Up-Kraftwerke auf Basis von Biomasse und synthetischem Gas sowie die europaweite intelligente Vernetzung der unterschiedlichen, mit hoher Flexibilität agierenden Verbrauchssektoren puffern die Fluktuation der erneuerbaren Stromerzeugung so optimal, dass die Versorgungssicherheit dauerhaft gewährleistet ist.
Wie werden wir nach der Coronakrise leben?
Autos sind…
aus dem Stadtbild größerer Städte verschwunden. Hier dominieren Fahrrad- und Fußverkehr sowie elektrisch betriebene Bus- und Bahnsysteme, die in Kombination eine ungeahnte Flexibilität ermöglichen. Auch der Güterverkehr erfolgt elektrisch auf speziellen Logistikrouten. Die Wandlung von Park- und Straßenräumen zu Lebensräumen und Begegnungszonen hat die Stadtbilder nicht nur verändert, sondern die Lebensqualität in Städten erheblich gesteigert. Luftschadstoff- und Lärmemissionen sind in Städten kaum noch relevant.
Autos sind außerdem in ländlichen Regionen weiterhin ein sehr wichtiges Element der Mobilität, fahren aber nahezu ausschließlich elektrisch. Für Oldtimer mit Verbrennungsmotor werden geringe Mengen an Kraftstoffen angeboten. Diese sind allerdings klimaneutral und fallen sozusagen als Nebenprodukte in der Chemieindustrie an.
In meiner Stadt leben im Jahr 2050…
mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft. Das kulturelle Leben hat nicht nur an Vielfalt gewonnen und wächst beständig, es wird auch wesentlich aktiver gelebt und erlebt, weil materieller Konsum (gezwungenermaßen) deutlich an Bedeutung verloren hat.
Es ist ein großes Problem in diesem Jahr, dass…
aufgrund der schlechten Witterungsbedingungen im Winter große Teile der Bienenvölker verendet sind. Dadurch ist die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln massiv gefährdet. Weltweit müssen freiwillige Helfer die Arbeit der Bienen – die Bestäubung von Obstbäumen, Raps etc. – so gut es geht übernehmen.
Jetzt weiß die Menschheit endlich, dass auf dem Mars…
Leben möglich war, bis die Atmosphäre so Kohlendioxid-haltig wurde, dass selbst der Rückzug des Lebens unter die Erde in den Boden keinen ausreichenden Schutz mehr bot. Damit ist der Mars der Erde diesbezüglich voraus. Er wird nicht als „Ersatzplanet“ herhalten können, weil die beobachtete Entwicklung der Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre nicht reversibel ist.
Google ist inzwischen…
eine gemeinnützige Stiftung zur Unterstützung der politischen Bildung.
Wenn ich etwas einkaufen will, brauche ich…
ein Smartphone, denn ein Großteil des Handels läuft vollständig online. Im Geschäft wird zudem nur noch per Smartphone ausgewählt, bezahlt und die Ware direkt nach Hause transportiert.
Mein Arbeitsplatz ist…
mobil. Ich arbeite in einem flexiblen Büroumfeld in einer hochmodernen Forschungseinrichtung, um mit Kolleginnen und Kollegen gemeinsame Ideen weiterzuentwickeln. Ich nutze Videokonferenzen zur weltweiten Kommunikation in der Forschungscommunity. Ich kann flexibel von zuhause oder jedem anderen Ort der Welt arbeiten, was besondere Herausforderungen an eine ausgewogene Work-Life-Balance stellt.
Wenn ich jetzt auf das Jahr 2020 zurückblicke, dann…
bin ich dankbar, weil das Corona-Virus erstmals gezeigt hat, dass die Menschheit in der Lage ist, auf eine weltweite Bedrohung mit entsprechenden Maßnahmen und einschneidenden Veränderungen des Verhaltens zu reagieren. Diese Fähigkeit musste angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel immer wieder unter Beweis gestellt werden.
Lesen Sie hier die vorherigen Teile der Serie:
Stationen auf dem Mars: So stellt sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das Jahr 2050 vor
So sieht Bestsellerautor Thomas Ramge die Welt 2050
So sieht Erik Marquardt die Welt 2050
So stellt sich Wirtschaftsphilosoph Anders Indset die Welt im Jahr 2050 vor
So stellt sich Astrophysikerin Suzanna Randall die Welt im Jahr 2050 vor
Fridays for Future: So stellt sich Aktivist Sebastian Grieme das Jahr 2050 vor
Ein Beitrag von: