Familie und Firma Krupp: Leben, Werk und Bedeutung
Gestern vor 200 Jahren wurde Alfred (Alfried) Krupp geboren. Das Ruhr Museum in Essen erinnert gleich mit zwei Ausstellungen an Leben, Werk und Bedeutung der Familie und der Firma Krupp. In der ehemaligen Kohlenwäsche der Zeche Zollverein wandelt man auf den Spuren des Mythos Krupp, zudem wird im Kleinen Atelierhaus auf der Margarethenhöhe die Ausstellung über eine besondere Siedlung, „Die Gartenstadt Margarethenhöhe“, gezeigt.
Im November 1806 leitete Napoleon I. mit dem Berlindekret die Wirtschaftsblockade des – weitgehend unter französischem Einfluss stehenden – europäischen Kontinents gegen Großbritannien ein. Durch diese Kontinentalsperre war der zum wirtschaftlichen Aufbau dringend benötigte „Sheffieldstahl“ nicht mehr verfügbar. Eine „Nacherfindung“ des englischen Gussstahlverfahrens musste her.
Diese gelang schließlich im Ruhrgebietsstädtchen Essen: Friedrich Krupp entwickelte das Verfahren für die fabrikmäßige Herstellung von qualitativ hochwertigem Gussstahl. Am 20. 11. 1811 wurde seine Fabrik notariell beurkundet. Die Erfindung forderte einen hohen Preis: Seine jahrelangen Experimente verzehrten das gesamte Vermögen einer der reichsten Essener Familien.
20.000 Menschen arbeiten bereits 1887 für das Unternehmen Krupp
15 Jahre nach Friedrichs Tod, im Jahre 1826, musste sein Sohn Alfried die Schule verlassen, um „seiner Mutter bei der Bewirtschaftung eines Kleinstunternehmens mit vier Arbeitern beizustehen, das Werkzeuge und Prägestempel herstellte“, so Heinrich Theodor Grütter, der Direktor des Ruhr Museums in Essen. Alfried nannte sich fortan Alfred und entwickelte das Unternehmen bis zu seinem Tod im Jahre 1887 zum größten deutschen Unternehmen mit 20.000 Arbeitern.
Es sind also zwei Jubiläen, die dem Ruhr Museum Anlass gaben zur Ausstellung „200 Jahre Krupp. Ein Mythos wird besichtigt“: Die Gründung der Gussstahlfabrik am 20. November 1811 und Alfred Krupps Geburtstag am 26. 4. 1812.
Das Anfang 2008 gegründete Ruhr Museum ist in der Kohlenwäsche der einstigen Zentralförderschachtanlage Zollverein XII untergebracht. Für die Krupp-Ausstellung hätte kein besserer Schauplatz gewählt werden können, wurde die Zeche doch 2001 in die Weltkulturerbe-Liste der Unesco aufgenommen als „repräsentatives Beispiel für die Entwicklung der Schwerindustrie in Europa“.
War es die Kontinentalsperre, die die Nacherfindung der Gussstahlherstellung zwingend notwendig machte, so geht der Name Zollverein auf ökonomische Straffungsbemühungen zurück. Er leitet sich von dem unter preußischer Vorherrschaft 1834 ins Leben gerufenen wirtschaftlichen Zusammenschluss 18 deutscher Staaten zum Deutschen Zoll- und Handelsverein ab. Dieser hatte das Ziel, die Binnenzollschranken abzuschaffen und ein einheitliches Zollgebiet mit allgemein verbindlichen Maß- und Gewichtseinheiten einzurichten, um die Wirtschaft Deutschlands gegenüber seinen europäischen Nachbarn zu stärken, wovon auch Krupp profitierte.
Das Projekt der Ausstellung erforderte eine dreijährige Vorarbeit seitens der Krupp-Forschung und entstand unter der Ägide von Ulrich Borsdorf, dem ersten Direktor des Ruhr Museums. So ist diesem auch der Katalog gewidmet. Das Ausstellungskonzept gliedert sich mit 18 Einzelkapiteln in die drei Stränge Krupp-Produkte, Familiengeschichte und Mythos der Kruppianer.
Die Ausstellung beginnt mit den „Krupps vor den Krupps“. Sie waren vermutlich Religionsflüchtlinge aus den Niederlanden: Arndt Kruipe wurde 1587 in die Essener Kaufmannsrolle aufgenommen. Friedrich gründete die fünf Generationen währende Dynastie der Industriellen. Gemeinsam war diesen die Bereitschaft, mit dem größtmöglichen Engagement, dem Einsatz ihres gesamten Vermögens und dem Verzicht auf privates Glück der Firma Krupp vorzustehen.
Den Patriarchen zur Seite standen starke Frauen: Alfreds Frau Bertha, deren Schwiegertochter Margarethe und schließlich die Alleinerbin des größten deutschen Industriekonzerns – und wohl mächtigste Frau ihrer Zeit – Bertha, die 1906 Gustav von Bohlen und Halbach heiratete und damit den Adelstitel in den Familiennamen brachte.
Nach Friedrichs Erfindung des Verfahrens zur Herstellung hochwertigen Tiegelstahls wuchs das Werk beständig. Der Eisenbahnbau beschleunigte die Expansion. Es wurden Achsen, Stoßfedern und Kurbelwellen hergestellt. Der nahtlose Eisenbahnradreifen wurde zum Markenzeichen der Firma: die drei Ringe.
Krupp-Stahl: Von der Eisenbahn über die Kanone bis zum Gebiss
Aber nicht nur der Verkehrssektor mit der Eisenbahn benötigte Stahlprodukte: Die Bandbreite von Kruppstahl reichte von der Kanone bis zum Gebiss. Nach den Weltkriegen gelang jeweils die Umstellung von Rüstungsgütern auf zivile Produkte. Die Ausstellung zeichnet dies detailliert nach.
Gestaltet wurde die Schau vom Architekten Hannes Bierkämper. Die Gliederung gab dabei der Wechselausstellungsraum des Ruhr Museums vor. Dieser befindet sich auf der 12-m-Ebene im Inneren der ehemaligen Kohlenbunker. Durch Herausschneiden der meterdicken Wände tut sich ein erhabener Raum auf, einer „dreischiffigen Hallenkirche“ ähnlich, zur Rechten und zur Linken gesäumt von kleinen, intimen „Seitenkapellen“.
„Die basilikale Raumstruktur bestimmt die Gliederung der Ausstellung: Um das Zentrum mit der Darstellung der Firma und Familie sowie des Mythos Krupp gruppieren sich in Nischen und Seitenräumen Themen und Aspekte, die in ihrer Gesamtheit den Kosmos Krupp abbilden“, erläutert Bierkämper. Herausgearbeitet werden soll die Doppeldeutigkeit, Janusköpfigkeit der Krupps.
Hauptagens des Kruppschen Mythos war Krupp selbst. Aber, so Bierkämper, es gibt keinen einheitlichen Mythos, sondern viele Geschichten und zu jeder die entsprechende Gegengeschichte. Und weil es kein eindeutiges Bild gibt, ist „Unschärfe“ die gestalterische Metapher. Die Ausstellung will nicht bewerten, ob Krupp, sein Verhalten, seine Produkte gut oder schlecht waren, sondern eine möglichst vollständige Bestandsaufnahme zeigen, deshalb wurde auch der Titel gewählt: Ein Mythos wird „besichtigt“. Die Schau sucht nach Antworten auf die Frage „Was sagt uns Krupp heute?“ Grütter nennt als erstes den Innovationsgeist. Das Unternehmen war nie ein Massenhersteller, sondern von Beginn an Technologieführer und Spezialist. „Forschung, Verwissenschaftlichung, Innovation: Darum existiert Krupp noch.“
Genauso wichtig war die – heute hochaktuelle – Bindung der Facharbeiter an die Firma durch Ausstattung mit Privilegien. Der typische Kruppianer wurde geboren im Kruppschen Krankenhaus, verdiente gutes Geld im Stahlwerk, wohnte in einer Kruppschen Wohnsiedlung, kaufte im Kruppschen Konsum und verbrachte seinen Lebensabend in einem kostenlosen Alterswohnsitz. Kurz: Das Unternehmen prägte sein Leben „Von der Wiege bis zur Bahre“.
Bei Krupp gilt bis heute das Prinzip des Alleininhabers
Der dritte Grund für die Lebendigkeit des Unternehmens bis heute ist laut Grütter das Prinzip des Alleininhabers, der jede Verantwortung trägt und sein Vorbild vorlebt. So galt Krupp auch als Vorbild für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft. Vorbildlich und europaweit einmalig ist auch das Kruppsche Mäzenatentum, in dessen Tradition heute die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung steht.
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