Faszination Zeitung
Kein Abgesang – die Berliner Ausstellung „Art and Press“ belegt die Faszination vieler Künstler für das Medium Zeitung.
Die Zeitung lebt! Trotz allen Abgesängen, sinkenden Auflagen und technologischer Konkurrenz durch Internet, iPad und Smartphone. Das Papier als Träger von Informationen und Kommentaren fasziniert wie eh und je – im Guten wie im Bösen. Und faszinieren lassen sich auch Künstler, die sich mit dem Medium Zeitung auseinandersetzen, das Material Zeitungspapier verwenden oder Zeitungsfotos als Grundlage für eigene Werke nutzen.
Wie lebendig diese künstlerische Auseinandersetzung mit der Zeitung ist, zeigt eindrucksvoll die Ausstellung „Art and Press“ im Berliner Martin-Gropius-Bau, die Werke von 56 namhaften Künstlern aus den vergangenen 50 Jahren versammelt. Viele Arbeiten sind eigens für diese Schau entstanden – Geld aus der in Bonn ansässigen Stiftung für Kunst und Kultur sowie vom Energieriesen RWE machte es möglich. Als Medienpartner fungiert die Bild-Zeitung, was in der Kunstszene, die dem Massenblatt traditionell sehr kritisch gegenübersteht, für einige Unruhe gesorgt hat.
„Art and Press“ setzt sich künstlerisch mit dem Medium Zeitung auseinander
Der musealen Qualität der Exponate tat dies aber keinen Abbruch. Das fängt bereits im ersten von 30 Sälen der Ausstellung an. Drei große Künstlernamen sind hier versammelt: Andy Warhol, Joseph Beuys, Gerhard Richter. Von Richter ist der Zyklus „Acht Lernschwestern“ von 1966 zu sehen, der Pressefotos von den Opfern eines Serienmörders in seiner unnachahmlichen, verwischten Manier gemalt hat. Eine Manier, die hier völlig zutreffend wirkt, unterstreicht sie doch die Trauer über die grausame Tat, aber auch das rasche Vergessen, das nach der medialen Aufregung über solche Taten schnell eintritt.
Auch Warhol hat Pressefotos reproduziert – mittels Siebdruck auf Leinwand. Mordtaten und Autounfälle bildete er 1963 so ab, Motive, die in Zeitungen üblicherweise auf der Seite „Vermischtes“ landen, auf einer Leinwand aber wie ein „Memento mori“ wirken, eine Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens. Und Joseph Beuys hat Zeitungen genommen und überzeichnet und überklebt. Die aktuellen Nachrichten sind zum Teil noch zu lesen, durch die Verwandlung zum „Kunstwerk“ wird der zeitliche Bezug aber gekappt.
Diese frühesten Werke der Ausstellung stammen aus den 1960er-Jahren, als die Kunst die Auswahl ihrer Materialien und Arbeitsweisen massiv erweiterte. Zeitungen, die neben dem Rundfunk und dem aufkommenden Fernsehen noch ein unangefochtenes Leitmedium waren, drängten sich den zunehmend politisierten Künstlern als Thema und Material geradezu auf. Das gilt bis heute.
Konzeptkünstler On Kawara nutzt Zeitungen für seine Kunstwerke
Der Konzeptkünstler On Kawara malt seit dem 4. Januar 1966 Tag für Tag das jeweilige Datum auf eine Leinwand und baut für jedes Bild eine Schachtel, die er innen mit dem Titelbild (mit betreffendem Datum) einer Zeitung aus der Stadt beklebt, in der er sich gerade aufhält. Die Zeitung wird so zum Bestandteil einer Autobiographie und einer Art Selbstverortung in Raum und Zeit.
Damien Hirst, Jonathan Meese, Luc Tuymans, Jenny Holzer – die Berliner Ausstellung versammelt eine wahres „Who is who“ der zeitgenössischen Kunst. Dass die künstlerische Auseinandersetzung mit der Zeitung so alt wie das Medium selbst ist, zeigt ein Rundgang entlang der Empore im Obergeschoss des Lichthofes. Hier sind – bezeichnenderweise als Standbilder auf installierten iPads – Reproduktionen von historischen Kunstwerken mit Zeitungsbezügen zu sehen, von Karikaturen von Honoré Daumier über Malerei von Paul Cézanne bis zu modernen Collagen der Dadaisten und Kubisten.
Installation „Die Buchstaben“ von Anselm Kiefer: Abgesang auf die Epoche der Zeitung
Von hier oben fällt der Blick auch auf das großartigste Werk dieser großartigen Ausstellung: die mehrteilige Rauminstallation „Die Buchstaben“ von Anselm Kiefer, die der in Paris lebende Künstler speziell für diesen Raum konzipiert hat. Drei alte Druckerpressen sind zu sehen, an denen der Zahn der Zeit genagt hat. Fast brutal wachsen hohe Sonnenblumen aus den ausgedienten Maschinen, Filmrollen wuchern wild in den Raum, die alten Bleilettern sind über den Boden verstreut. Alles ist mit einer dicken Farbschicht überzogen, viel Grau, aber auch Schimmelfarben. Auf einer hohen, grauen Leinwand ist das Gedicht „Abend der Worte“ von Paul Celan in Handschrift wiedergegeben.
Die Installation ist ein Abgesang auf die Epoche des Buch- und Zeitungsdrucks, ein melancholischer, poetischer und pessimistischer Blick auf den Umbruch, den wir gerade miterleben und mitvollziehen. Kiefers Werk steht räumlich im Zentrum der Ausstellung. Mit dem in ihm formulierten zivilisatorischen Zweifel steht es in der Ausstellung allein. Denn die meisten Künstler belegen mit ihrem Interesse: Die Zeitung lebt!
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