Forschende untersuchen mögliche Mutationen von Tschernobyl-Hunden
Im Gebiet des ehemaligen Kernkraftwerks in Tschernobyl streunen zahlreiche wilde Hunde herum. Was macht die Strahlenbelastung mit ihnen?
Fast 40 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl leben Hunde in der verlassenen Umgebung der Stadt und des nahegelegenen Kernkraftwerks. Eine neue Studie untersucht, wie sich diese Tiere an die Umweltbedingungen angepasst haben. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob genetische Mutationen durch die radioaktive Strahlung entstanden sind oder andere Faktoren die Unterschiede zwischen den Populationen beeinflusst haben.
Forschende der North Carolina State University und der Columbia University Mailman School of Public Health analysierten genetische Daten von Hundepopulationen innerhalb der Stadt Tschernobyl und aus dem Umfeld des Kernkraftwerks. Dabei arbeiteten sie mit zwei Gruppen, die nur rund 16 Kilometer voneinander entfernt leben, aber genetisch deutlich unterschiedlich sind. „Wir versuchen herauszufinden, ob eine langjährige Exposition gegenüber Umweltgiften wie Strahlung, Blei oder anderen Stoffen diese Unterschiede erklären könnte“, sagt Matthew Breen, Professor für Onkologie-Genetik an der North Carolina State University.
Der genetische Blick in die Tiefe
Bereits in einer früheren Studie identifizierte das Team 391 genetische Unterschiede zwischen den beiden Hundepopulationen. Einige dieser Unterschiede betrafen Gene, die mit der Reparatur von DNA-Schäden in Verbindung stehen. In der aktuellen Untersuchung gingen die Forschenden noch tiefer ins Detail. Sie analysierten, ob Mutationen in der Keimbahn-DNA aufgetreten sind – also in der Erbinformation, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Megan Dillon, Doktorandin und Hauptautorin der Studie, erklärt: „Die genetischen Unterschiede zwischen den Hunden aus Tschernobyl und anderen Populationen in Russland und Polen sind gering. Daher konnten wir die Hunde aus der Stadt als Kontrollgruppe nutzen, um sie mit den Tieren am Kraftwerk zu vergleichen.“
Mit moderner Technologie untersuchte das Team die Genome auf verschiedenen Ebenen. Sie begannen mit einer Analyse chromosomaler Strukturen, gingen zu kleinen Genomabschnitten über und konzentrierten sich schließlich auf einzelne Nukleotide – die Bausteine der DNA. Dabei fanden sie keine Beweise für Mutationen, die durch Strahlung entstanden sein könnten. Breen erklärt: „Selbst nach 30 Generationen hätten solche Mutationen sichtbar sein müssen, wenn sie einen Überlebensvorteil geboten hätten. Doch wir haben keine solchen Hinweise gefunden.“
Selektionsdruck oder Isolation?
Die Forschenden betonen, dass ihre Ergebnisse die Rolle von natürlichem Selektionsdruck nicht ausschließen. „Möglicherweise hatten die Hunde, die nach der Katastrophe überlebten, bereits genetische Merkmale, die sie widerstandsfähiger machten“, so Dillon. Ein extremer Selektionsdruck zu Beginn könnte dazu geführt haben, dass sich genetisch robustere Tiere fortpflanzten. Später trennten geografische Barrieren die Hunde des Kraftwerks von der städtischen Population.
Dieser Selektionsdruck könnte auch erklären, warum die genetischen Unterschiede heute sichtbar sind, ohne dass Strahlung direkt für Mutationen verantwortlich ist. Die Erforschung dieser Mechanismen wird ein wichtiger nächster Schritt sein.
Mehr als nur Strahlung
Norman Kleiman von der Columbia University weist darauf hin, dass der Unfall in Tschernobyl nicht nur eine radiologische Katastrophe war. „Viele giftige Stoffe, darunter Schwermetalle, Pestizide und Asbest, wurden während der Aufräumarbeiten freigesetzt“, erklärt er. Diese Schadstoffe könnten ebenfalls die Gesundheit der Hunde und anderer Lebewesen beeinflusst haben.
Obwohl in der Zone heute keine Menschen mehr dauerhaft leben, arbeiten Tausende an Projekten zur Sanierung und Überwachung. Die Untersuchung der Hunde gibt Einblicke, welche Gesundheitsrisiken möglicherweise auch für Menschen bestehen.
Krankheitsüberträger im Fokus
Neben genetischen Analysen untersuchten die Forschenden auch die Zecken, die die Hunde tragen. Unterschiede in den Zeckenarten und den von ihnen übertragenen Krankheitserregern könnten weitere Hinweise auf unterschiedliche Lebensbedingungen liefern. Diese Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Parasites and Vectors veröffentlicht.
Die Studie zeigt, wie wichtig es ist, die langfristigen Auswirkungen von Umweltkatastrophen zu untersuchen. „Angesichts unserer immer stärker industrialisierten Gesellschaft wird es in Zukunft weitere Katastrophen geben. Wir müssen die möglichen Gesundheitsrisiken verstehen und wissen, wie wir Menschen schützen können“, betont Kleiman.+