Forscher entdecken dünnstmögliches Glas
Dünner geht’s nicht: Forscher der Universität Ulm haben die dünnste Glasschicht der Welt entdeckt. Das bringt sie ins Guinness-Buch der Rekorde 2014 – und die Wissenschaft einen Schritt weiter bei der Lösung des Rätsels Glas.
Als „Wissenschaftskrimi“ beschreibt Ute Kaiser, Professorin für experimentelle Physik und Leiterin der materialwissenschaftlichen Elektronenmikroskopie an der Universität Ulm, die Entdeckung. Ihr damaliger Doktorand Simon Kurasch fand bei der Routine-Untersuchung einer Graphen-Probe – Graphen ist eine einlagige Schicht aus Kohlenstoff-Atomen – mit dem Transmissions-Elektronenmikroskop eine unerwartete und bislang unbekannte Struktur. Nahezu ein Jahr dauerte es und brauchte die Unterstützung von Wissenschaftlern der amerikanischen Cornell-Universität und der finnischen Alto-Universität, bis die Frage „Was ist das?“ beantwortet war. „Schritt für Schritt haben wir durch unsere Experimente und Überlegungen der Schichtnatur ihr Geheimnis abgerungen, das war unglaublich spannend“, sagt Ute Kaiser.
Wunderbar geordnet und völlig chaotisch zugleich
Die Frage, woraus die, so Simon Kurasch, „teilweise wunderbar geordnete, andererseits völlig chaotische“ Struktur bestand, die sich auf dem Graphen gebildet hatte, konnte zunächst nicht beantwortet werden. Auch das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, das die Probe geliefert hatte, hatte keine Erklärung für diesen Zufallsfund.
Erst die Forschungen an der Cornell-Universität gemeinsam mit David Muller, dem Leiter des Kavli Institute for Nanoscale, brachten die ersten Ergebnisse. Höchstauflösende spektroskopische Daten zur chemischen Beschaffenheit zeigten, dass es sich bei dem ultradünnen Stoff um Siliziumdioxid handelt: die Schicht besteht aus Glas.
Schicht ist faktisch zweidimensional
Die Forschungen waren damit aber nicht beendet. Glas ist ein amorphes Material. Das bedeutet, physikalisch ist es ein Feststoff, die Atomstruktur hat aber auch Eigenschaften von Flüssigkeiten. Die dünne Glasschicht war für die Wissenschaftler eine gute Gelegenheit, als erste genaue Einblicke in die atomare Struktur von Glas zu bekommen. Unterstützung bekamen Ute Kaiser und Simon Kurasch dabei aus Finnland. Arkady Krasheninnikov von der Alto Universität Helsinki, Experte für die Berechnung der Stabilität von Atombindungen, zeigte, dass das Siliziumdioxid in zwei Schichten, einer Doppellage, die stabilst-mögliche Konfiguration eingeht. „So stellte sich heraus, dass wir die denkbar dünnste Glasschicht gefunden hatten, die damit faktisch zweidimensional war“, so Kaiser.
Hypothese von 1932 bestätigt
Die Forscher bestätigten damit auch die Theorie, das Glas aus zufällig miteinander verbundenen kristallinen Grundmolekülen besteht.
Diese „Netzwerkhypothese“ hatte der norwegisch-amerikanische Physiker William Houlder Zachariasen bereits 1932 aufgestellt. Das Forscherteam war also doppelt erfolgreich: Es identifizierte das denkbar dünnste Glas und löste ein bisher ungeklärtes materialwissenschaftliches Rätsel. „Mit dem Eintrag ins Guinness-Buch erfährt diese Entdeckung nun eine besondere Würdigung“, so Ute Kaiser.
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