Gastarbeit in Hannover – Geschichten vom Kommen, Gehen und Bleiben
14 Mio. so genannte Gastarbeiter kamen zwischen 1955 und 1973 nach Deutschland. Eine Ausstellung im Historischen Museum Hannover setzt sich mit diesem speziellen Kapitel deutscher Geschichte als Teil der Stadtgeschichte auseinander.
Die Ausstellung spürt den Geschichten der Menschen nach, die vor rund 50 Jahren nach Hannover kamen, ihren Motiven, sich als „Gastarbeiter“ zu verdingen, ihren Begegnungen und ihren Erfahrungen: Wie war es für sie, in einem fremden Land zu leben, in dem man zwar als Arbeitskraft willkommen war, aber nicht unbedingt als Mitbürger angesehen wurde?
Zahlreiche Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen der ersten Generation kommen zu Wort, mit ihren Geschichten vom Weggehen und vom Ankommen, von Schwierigkeiten und Erfolgen. Ein Kapitel ist dem Thema „Heimat“ gewidmet – der alten wie der neuen.
Durch das Wirtschaftswunder herrschte seit den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der Bundesrepublik praktisch Vollbeschäftigung: Eine Statistik für den Arbeitsamtsbezirk Hannover verzeichnet 1965 knapp 800 000 Einwohner, 992 Arbeitslose und 12 252 offene Stellen, für 1970 nennt sie 776 Arbeitslose und 16 081 offene Stellen. Während es in Deutschland an Arbeitskräften mangelte, war in vielen Mittelmeerstaaten zunehmende Arbeitslosigkeit das Problem.
Auf Initiative Italiens kam es 1955 zum ersten staatlichen Anwerbeabkommen. Fünf Jahre später folgten Spanien und Griechenland, dann die Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). „Die hatten den Überfluss, wir hatten die Männer“, wird einer der Zeitzeugen zitiert. Für die Anwerbeländer – zumeist Diktaturen – war der „Export“ von „Landeskindern“ eine willkommene Möglichkeit, den eigenen Arbeitsmarkt zu entlasten und Devisen ins Land holen. Ende 1966 lebten 5 Mio. Gastarbeiter in Europa und 1,3 Mio. davon in Deutschland. Sie schickten in diesem Jahr 2 Mrd. D-Mark in ihre Heimatländer. Motive für die Migration waren nicht nur wirtschaftliche Gründe („Arbeiten und sparen für eine bessere Zukunft“ oder Unterstützung der Familie), sondern auch politische Unterdrückung oder Abenteuerlust.
In Hannover waren es vor allem große Betriebe wie Bahlsen, Telefunken, Hanomag oder Continental, die Gastarbeiter einstellten, aber auch städtische Einrichtungen, wie z. B. das Fuhramt. 1962 waren 9382 ausländische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der Stadt Hannover beschäftigt. 1973, im Jahr des Anwerbestopps aufgrund der Ölkrise, waren es mehr als viermal so viele, nämlich 39 383.
Die Anwerbung wurde durch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung organisiert. In den Anwerbeländern richtete sie „Deutsche Kommissionen“ und „Verbindungsstellen“ ein, in denen die Bewerber auf ihre Qualifikation und gesundheitliche Eignung hin untersucht wurden – beschäftigt wurden sie zumeist in Bereichen, die mit schwerer körperlicher Arbeit oder gesundheitlichen Gefahren verbunden waren oder in denen Akkord- und Schichtarbeit zu leisten waren. Zusammen mit dem Arbeitsvertrag erhielten die Gastarbeiter zunächst eine ein Jahr gültige Einreise- und Aufenthaltserlaubnis. Per Sammeltransport ging es dann quer durch Europa.
In Köln-Deutz trafen Anfang der 60er-Jahre jeden Donnerstag rund 1000 Arbeiter aus Spanien und Portugal ein und wurden an ihre jeweiligen Arbeitsstätten weiterverteilt. Das „Ankommen“ in Deutschland war für die meisten von ihnen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Besonders die fehlenden Sprachkenntnisse bereiteten Probleme, aber auch die Trennung von der Familie und der Heimat oder die fehlende Privatsphäre durch die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften.
Dass ein längerer Aufenthalt der Angeworbenen nicht vorgesehen war, sondern sie als Übergangslösung angesehen wurden, solange die deutsche Wirtschaft ihren Bedarf an Arbeitskräften nicht auf dem heimischen Markt decken konnte, spiegelt schon der Begriff Gastarbeiter wider, aber auch das ursprünglich geplante „Rotationsprinzip“. Auf Druck der Unternehmen, die nicht immer wieder neue Mitarbeiter anlernen wollten, wurde vom Rotationsprinzip allerdings schnell wieder Abstand genommen.
Am Ende der Ausstellung geht es um die Frage „Vom Gastarbeiter zum Einwanderer?“. Der immer länger werdende Aufenthalt in Deutschland veranlasste viele, Ehepartner und Kinder nachzuholen.
„Zuerst haben wir gedacht, wir kommen für ein paar Jahre nach Deutschland. Und aus diesen paar Jahren sind 40 geworden. Die meisten wollten mit dem Rentenalter nach Spanien zurück. Aber aus verschiedenen Gründen sind wir hier geblieben. Es gibt Leute, die keine Familie mehr in Spanien haben, aber die meisten die hier bleiben, bleiben, weil die Kinder hier geblieben sind“, wird Tomas Calvo zitiert.
Bei der bevorstehenden Neugestaltung des Museums soll die Geschichte der Arbeitsmigration fester Bestandteil der Dauerausstellung werden. „Rund ein Viertel der Bevölkerung in Hannover hat heute einen Migrationshintergrund“, erklärt Direktor Thomas Schwark. „Sie sollen künftig ihre Geschichte bei uns im Museum wiederfinden können.“ Nach Meinung vieler Besucher sei die Aufarbeitung dieses Kapitels der Stadtgeschichte überfällig, berichtet Jan-Willem Huntebrinker, Leiter der Abteilung Bildung und Kommunikation. „Das Publikum spiegelt uns zurück: ‚Das wurde auch höchste Zeit’.“ A. SCHNELLER
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