Hamburger Wissenschaftler vermessen gefährliches dünnes Eis in der Arktis
Zu einer Bedrohung für Schiffe in der Arktis wird derzeit dünner werdendes Eis, das sich unvorhersehbar zu riesigen Hindernissen auftürmt. Wissenschaftler aus Hamburg haben dieses dünne Eis in einer Expedition vermessen und die Grundlage für sichere Navigationssysteme gelegt. Unterstützt wurden sie von Flugzeugen und Helikoptern.
Es sind oftmals nicht die dicken Bretter, sondern das dünne Eis, welches Probleme bereitet. Genau deshalb war ein Team von Wissenschaftlern jetzt zwei Wochen lang in der Arktis auf dem Forschungsschiff RV Lance unterwegs. Ziel der eiskalten Reise war eine Vermessung der dünner werdenden Eisdecke und damit eine sichere Navigation in diesem verlassenen Gebiet des Planeten. Denn es mag paradox klingen, doch gerade dünnes Eis kann Schiffen in der Arktis gefährlich werden.
„Dünnes Eis ist das Eis der Zukunft“
„Wind und Meeresströmungen schieben die vergleichsweise dünne Eisdecke zusammen“, berichtet Prof. Lars Kaleschke vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg (CEN). „Wo es vorher gut voranging, türmen sich plötzlich hohe Presseis-Rücken und schließen Schiffe und Mannschaften ein.“
Gleichzeitig ist die exakte Bestimmung der Eisdecke schwierig. Satelliten im Weltall liefern zwar jede Menge Daten, bisher allerdings nur in brauchbarer Qualität bei Eisdicken ab einem Meter. „Das saisonale Eis, das sich jährlich neu bildet und sich im Zug des Klimawandels massiv verändert, ist jedoch meist dünner“, erläutert Kaleschke. „Die globale Erwärmung wirkt sich auf die Menge des Eises in der Fläche, aber auch auf die Dicke aus. Dünnes Eis ist das Eis der Zukunft.“
Entscheidende sind Eisdicken von unter einem Meter
Es galt, die Eisdicken von unter einem Meter exakt zu bestimmen. Dazu nutzten Kaleschke und die Kollegen vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung am Alfred-Wegener-Institut (AWI) die Daten des SMOS-Satelliten der Europäischen Weltraumagentur ESA, der dort oben im All stationiert ist, um den Salzgehalt der Ozeane zu vermessen. SMOS steht dabei für Soil Moisture and Ocean Salinity.
Mit der zweiwöchigen Messfahrt des von der Universität Hamburg gecharterten Forschungsschiffes RV Lance konnten die Wissenschaftler die Genauigkeit der Satellitendaten verifizieren. Mittels elektromagnetischer Wellen wurde während der gesamten Messfahrt die Dicke des durchquerten Eises vermessen und mit den SMOS-Daten verglichen. Die exakte Vermessung des dünnen Eises ist ein Gemeinschaftsprojekt des AWI, der ESA und der Technischen Universität Dänemark (DTU).
Der AWI-Meereisphysiker Dr. Stefan Hendricks setzt mit seinen Kollegen Emirad ein. Dabei handelt es sich um ein Messgerät, welches auf den gleichen Prinzipien wie SMOS beruht, aber ein sehr viel detailreicheres Bild liefert. Unterstützt wurden diese Messungen von einem neuartigen Radar, mit dem ergänzend die Dicke der Schneeschicht gemessen wurde.
Helikopter und Forschungsflugzeug Polar 5 flankierten die Messungen
Flankiert wurden diese Radar-Vergleichsmessungen durch mehrere Einsätze des bordeigenen Helikopters, der abseits des Schiffes einen weiteren elektromagnetischen Sensor über das Eis schleppte. Das Forschungsflugzeug Polar 5 des AWI begleitete die Messkampagne und lieferte Daten aus größerer Höhe.
Zwei der Messflüge fanden kombiniert mit Helikopter und Polar 5 statt, ein weiterer sogar direkt unter der Flugbahn des Satelliten Cryosat-2. Dieser Satellit misst ebenfalls Eisdicken, allerdings nur über einem Meter Dicke. „Bei der Auswertung liegt der Schwerpunkt darin, die Daten der beiden Satelliten Cryosat-2 und SMOS zu vergleichen und wenn möglich zu kombinieren – und so zu einer noch besseren Beobachtung des Eises aus dem Weltraum zu kommen“, erklärt Hendricks das Ziel der Messkampagne.
Es geht um sichere Routen durch die Arktis
IRO-2 steht für Ice-Routing Optimization und ist eine aufwändige Messkampagne, die Voraussagen darüber liefern soll, welche Routen durch die arktischen Meeresregionen zu welcher Jahreszeit sicher zu passieren sind. Es sind viele wissenschaftliche Institute, die an IRO-2 mitwirken – unter anderem die Universitäten Hamburg und Bremen, das AWI und die ESA. Das Verbundprojekt IRO-2 wird koordiniert von der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA).
„Eine Art Stauwarnsystem“
Grundlage für das Vorhersagemodell ist ein von der Universität Hamburg entwickeltes Rechenmodell. Zweimal täglich liefern die Wissenschaftler mit diesem Rechenmodell Angaben zur Ausdehnung, Dicke und Bewegung des Eises an die HSVA. Von dort aus werden die Daten aktuell an die Schiffe übermittelt, die gerade in der Arktis kreuzen – zusammen mit einer individualisierten Routenempfehlung.
„Das Ganze funktioniert wie eine Art Stauwarnsystem“, berichtet Dipl.-Ing. Peter Jochmann von der HSVA. „Nur dass es hier nicht Verkehrsdichte geht, sondern darum, wann und bei welcher Geschwindigkeit das Schiff die Eiskante erreicht, wie dick die Schollen sind und welche Alternativrouten infrage kommen.“
Die Messfahrt der RV Lance war dabei gleichzeitig der Praxistest für die Tauglichkeit der IRO-2. Der Abgleich der am grünen Tisch geplanten Fahrtroute mit den vom System vorgeschlagenen Fahrtwegen zeigte die Überlegenheit des Systems. Alle vorgeschlagenen Routen führten schneller zum Ziel und vor allem waren diese Routen sicher.
Einmal allerdings hatte die Lance große Probleme mit dem Eis: Da wich das Schiff von der vorgeschlagenen Route ab, um auf dem schnellsten Weg zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Prompt steckte die Lance schon nach wenigen Kilometern fest und musste umkehren.
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