Ingenieure entwickeln künstliche Krakenhaut
Roboter, die bei der Tierbeobachtung eingesetzt werden, könnten sich künftig deren Gestalt anpassen. Das ist aber nur eine mögliche Anwendung eines in den USA entwickelten Materials, das auch dem Militär nutzen könnte – und vielleicht irgendwann auch sehr stabile aufblasbare Möbel liefert.
Kephalopoden gehören zu den für Wissenschaftler faszinierendsten Tierklassen. Die „Kopffüßer“, zu denen Tintenfische, Kraken, Kalmare und etwa 1.000 andere Arten gezählt werden, gelten als besonders intelligent und wandlungsfähig. Neuerdings interessieren sich aber nicht nur Zoologen für die Tiere, sondern auch Physiker und Ingenieure. Das Hauptaugenmerk liegt auf ihrer Fähigkeit, in Sekundenschnelle ihre Gestalt und Farbe zu ändern und sich so der Umgebung anzupassen.
Forscher der Cornell University im US-Bundesstaat New York haben jetzt ein Material präsentiert, das diese besonderen Talente nachahmt. Zwar können schon heute viele Roboter ihre Gestalt verändern, aber die dafür notwendige Mechanik und Elektronik war den Wissenschaftlern viel zu kompliziert. „Wir wollten eine ganz simple Methode dafür“, sagt der Mechanik-Experte Rob Shepherd. Das Ziel: Eine ganz bestimmte Gestalt zu erreichen, indem man ein Material so einfach wie einen Luftballon aufbläst. Dazu muss man die Form eines weichen Materials kontrollieren. Wie aber geht das?
Wie ein mit Schnur umwickelter Luftballon
Die New Yorker Forscher nutzen ein Prinzip, das etwa einem Luftballon entspricht, um den man vorher Schnüre gewickelt hat. Dafür brauchten sie nach eigener Aussage die Inspiration aus der Tierwelt – und „eine gesunde Dosis Mathematik“.
Ein Kopffüßer ändert seine Gestalt, indem er Muskeln aktiviert, die die sie umgebenden Strukturen vertikal aufrichten und so etwa Vorwölbungen in der Haut erzeugen können. Die Forschergruppe hat diese Methode imitiert, indem sie zwei Materialien kombinierte: ein Fasergeflecht, das in verformbares Silikon eingebettet ist. Das Silikon wird in eine im 3D-Drucker erzeugte Mischung eingespritzt. Die Kombination von dehnbarem Silikon mit dem nicht dehnbaren Geflecht sorgt dafür, dass das Material beim Aufblasen exakt in die gewünschte Form kommt.
Möbelpacker haben vielleicht bald wenig zu tun
Mögliche Anwendungen für die Technik liegen vor allem bei mobilen Robotern. Sie werden zum Beispiel in der Tierbeobachtung eingesetzt. Damit die Tiere aber nicht vor dem fremden Objekt fliehen, könnte es sich der Umgebung und den Beobachtungsobjekten selbst anpassen. Interessant kann die Methode natürlich auch für die flexible Tarnung von Militärrobotern sein. Militärroboter, die man praktisch mithilfe einer gewöhnlichen Luftpumpe zum Leben erweckt.
Rob Shepherd sieht aber noch weitaus breitere Möglichkeiten. „Man könnte zum Beispiel flache Bögen eines Materials per Fracht verschicken, die erst vom Empfänger aufgeblasen wird“, sagt der Forscher. Zwar geht das mit jedem billigen Ballon, aber der Wissenschaftler spricht eben von viel stabileren Strukturen. Da könnte ein Hersteller etwa ein Stück Gummi zusammen mit einem zweiteiligen Polyurethan verschicken, das sich zu einem Schaum verbindet. Der Kunde füllt das Gummistück schließlich Zuhause mit dem Schaum – fertig ist der Sessel.
Beobachtung im Aquarium
Bis es so weit ist, dürfte es noch eine Weile dauern. Weil auch Shepherd das weiß, hat er sich ein mehr als 1.100 Liter fassendes Aquarium in sein Labor stellen lassen. Darin will er einen Kraken ganz in Ruhe beobachten. In Zukunft will er dann mit seinen Kollegen noch präzisere Formen herstellen und auch die Veränderung von Farbe und Oberflächenstruktur angehen.
Soft Robotics heißt seit einigen Jahren ein Zauberwort in der wissenschaftlichen Robotik. Statt einer Maschine aus Metall, die etwas ungelenk immer dieselben Bewegungen ausführt, sind die „weichen“ Roboter der Zukunft biegsam und dehnbar, passen sich ihrer Umgebung an und können sich erstaunlich komplex darin bewegen. Ein Robotiker-Team aus Pisa widmet sich seit 2009 einem Oktopus-Roboter und versucht, die geschmeidigen Bewegungen der Arme seines biologischen Vorbilds zu imitieren. Mehr dazu lesen Sie hier.
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