Intelligentes Gewebe misst, warnt, leuchtet und funkt
Outdoor-Shirts, die den Puls messen, Rucksäcke, deren integriertes Alarmsystem vor Langfingern warnt, Feuerwehrjacken, die bei Überhitzung ihres Trägers rot leuchten – mit diesen Prototypen demonstrierten Forschung und Industrie im Fraunhofer-Forum in München, wie sich künftig Intelligenz in Textilien integrieren lässt.
Flach und flexibel statt starr und spröde wird der Computer der Zukunft sein. Er wird dann nicht nur unsichtbar bleiben, der Mensch wird ihn auch auf der Haut tragen, denn seine Kleidung wird mit Mikroelektronik ausgestattet, so die Vision. Seit über einem Jahrzehnt beschäftigen sich Forscher mit „Smart Textiles“. Noch aber lassen marktfähige Produkte auf sich warten.
Möglicherweise könnte ihnen die Haute Couture jetzt den Weg bereiten. Im Fraunhofer-Forum, München, sorgte Ende Oktober ein Model im blauen Seidenkleid für Aufsehen, als dessen 32 Leuchtdioden (LED) ein kleines Feuerwerk aus weißem Licht zündeten. Die Technologie dahinter: Ein Beschleunigungssensor registriert die Bewegungen der Trägerin und ein Mikrocontroller wandelt diese in korrespondierende Lichtsignale um.
Das Projekt entstand in Zusammenarbeit der Weißensee Kunsthochschule Berlin mit dem Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM. Nach Ansicht von dessen Chef, Klaus-Dieter Lang, haben textile Mikrosysteme ein großes Potenzial. Allerdings nicht in der Haute Couture. Der Massenmarkt, meinen die Beteiligten, liege vielmehr in der Sicherheits-, Sport- und Freizeitbekleidung. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel im Design von Chips: Moderne Platinen sind dehnbar und lassen sich in Textilien einarbeiten. Wird die Mikroelektronik mit Lichtquellen und Funkmodulen kombiniert, verwandeln sich schlichte Fasern in „interaktives Gewebe“.
Ein Beispiel dafür ist ein neu entwickeltes Shirt des Fraunhofer IZM: Im Stoff befinden sich leitfähige Materialien, die die Aktivität des Herzmuskels messen und die Atemfrequenz registrieren, sowie ultraflache Chips, die elektrische Signale mithilfe von Algorithmen auswerten. Überschreiten Puls und Atmung einen bestimmten Wert, droht also eine Überlastung, wird der Träger über ein Lichtsignal gewarnt. Vorstellbar wäre, die Sensoren mit einem körpernahen Funknetzwerk zu verbinden. Auf diese Weise ist eine drahtlose Kommunikation mit der Außenwelt möglich.
„Textilien können auch therapeutische Funktionen übernehmen“, ist Koen van Os überzeugt. Der Entwicklungsmanager von Philips Research präsentierte einen neuartigen breiten Stoffgurt: In einem Schlitz auf der Innenseite lässt sich eine flache Lichtquelle von der Größe eines Mauspads unterbringen. Die darin integrierten LED sollen muskuläre Verspannungen am Rücken oder im Schulter-Nacken-Bereich lösen.
Eine Fototherapie mit kurzwelligem Licht könnte auch Neugeborenen helfen, die mit einer Gelbsucht auf die Welt kommen. Diese entsteht durch vermehrte Einlagerung von Bilirubin, einer Zwischenstufe des fetalen Hämoglobins, in die Haut. Üblicherweise werden die Säuglinge mit einer Lampe bestrahlt. Diese Funktion könnte eine Bettdecke übernehmen, die kurzwelliges blaues Licht abstrahlt. Dadurch wird das Bilirubin in das wasserlösliche Lumirubin umgewandelt und kann dann über die Nieren ausgeschieden werden.
Auch die Automobilindustrie ist an neuen Faserwerkstoffen interessiert. Ohne Textilien wird Elektromobilität nicht möglich sein, meinen Experten wie Manfred Wagner von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Daimler AG in Böblingen. Elektroautos müssen leicht sein, um die Akkus zu schonen. Dabei geht es aber nicht nur darum, textile Trägermaterialien mit Kunststoff oder Metall kombinieren.
Kopfzerbrechen bereiten den Autobauern vor allem Komfortfunktionen, die besonders viel Strom benötigen: beispielsweise die Beleuchtung oder die Heizung. Warum nicht ein Auto mit einer Textiloberfläche versehen, die Bänder aus Dünnschicht-Solarzellen enthält? Diese oberste Schicht könnte Sonnenlicht in Strom umwandeln, um etwa Schalter zu hinterleuchten oder die Sitzheizung zu speisen. Überhaupt könnten Sensoren im Textil Fahrer oder Beifahrer erkennen und den Sitz entsprechend seiner Größe einstellen. Sie könnten auch die Körperfunktionen des Fahrers erfassen – wenn er das denn will.
Die Anwendungsmöglichkeiten klingen vielversprechend, doch bei der Einbettung von Mikroelektronik in Textilien besteht noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf: So müssen elektronische Komponenten beispielsweise in Fahrzeugsitzen zuverlässig und robust sein, wenn es den Fahrer aufgrund schlechten Straßenbelags schüttelt und rüttelt und dadurch Messsignale verfälscht werden.
Generell sollten schlaue Stoffe dehnbar, umwelt- und waschbeständig sein. Sie stellen dabei ganz andere Anforderungen an Herstellung und Verarbeitung als die klassische Elektronik. „Wir benötigen flexible organische Substrate, etwa Kunststoffe, die sich durch Wärme verformen lassen, und zuverlässige Verbindungtechniken“, beschreibt Fraunhofer-Experte Lang die Herausforderung.
Elektronik und Textilien, haben die Experten herausgefunden, können mittels Laminierung (wie man das bei wasserbeständigen Fotos oder Dokumenten kennt) verbunden werden, Leiterbahnen werden durch wellenförmige Strukturen dehnbar. Bei elektrischen Kontaktierungen setzten sie auf das sogenannte mechanische Crimpen: Dabei werden zwei Komponenten durch Verformung elektrisch und mechanisch miteinander verbunden.
Das aber ist noch längst nicht das Ende der Möglichkeiten. Anregungen gibt wieder die Haute Couture, denn die Forscher wissen jetzt: Antennen lassen sich weben, Leiterbahnen und Kontakte genauso gut sticken. E. TSAKIRIDOU
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